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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 6.1903

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Heft 10
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Frey, Adolf: Arnold Böcklin und Gottfried Keller
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https://doi.org/10.11588/diglit.45537#0206

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Wilhelm Balmer.
Kinderporträt.
und schattig, und lässt auf dem in die Luft ge-
streckten Bein das Junge reiten, das aus vollem
Leibe lacht. Neben ihm liegt die Frau in völligem
Müssigsein auf dem Rücken. Mit menschlichen
Beinen begabt statt den Fischschwänzen, in
modische Kleider gesteckt und nach Paris ver-
setzt, würde die bildschöne Person bald im
eigenen Wagen fahren; hier hat sie nichts zu
tun, als eines der reizenden und geheimnisvollen
Farbenepigramme Böcklins darzustellen. Denn
wo der ,schlohweisse‘ Menschenkörper in den
Fisch übergeht, trifft ein durchbrechender Sonnen-
strahl die Fischhaut, dass diese im schönsten
Schmelze beglänzter Perlmutterfarben irisiert.
Sowie dieser Sonnenblick hinter die Wolken tritt,
wird das Märchen wieder im Wellenschaum
vergehen, aus dem es gestiegen.
Es heisst, dass Böcklin nur einmal in seiner
Jugend zahlreiche und sorgfältige Studien nach
der Natur gemalt habe und seither sich mit
Spazierengehen und Anschauen begnüge. In
diesem Falle ist die Kraft, die man Phantasie
nennt, zugleich die Schatzmeisterin, Ergänzerin

und Neuhervorbringerin, und mit dem
Gedicht des Gegenstandes ist auch
schon das Licht- und Farbenproblem
und die Logik der Ausführung ge-
geben.“
Damals sah Keller in Luzern auch
Böcklins „Landschaft mit maurischen
Reitern“. Sie machte ihm keinen Ein-
druck, wie sich Rudolf Koller deut-
lich entsinnt. Aus diesem Grunde wohl
beschweigt er sie in dem Aufsätzchen.
Bezeichnend ist eine spätere Äusse-
rung, die er gegenüber einem zulällig
mit ihm vor dem Bilde „Frühlings
Erwachen“ im Künstlergütchen zu
Zürich zusammentreffenden Bekannten
tat. Dieser hielt sich über die auf-
fallende Länge der weiblichen Figuren
auf. ,Ja,“ meinte Keller, „das kommt
von seiner Originalitätssucht.“
Kurz und gut, der Altstaatsschrei-
ber von Zürich besass, ehe er ihn
kennen lernte, von Böcklins künstle-
rischen Vorzügen keine zureichende
und von seinen menschlichen kaum
irgend eine Vorstellung. Die letztere
konnte er auch schwerlich haben, liess
sich’s auch nicht träumen, dass der
Unbekannte einst in seinen Gesichts-
kreis treten und ihm nahe rücken
würde. Als der Jüngere und besonders
als der stärker nach persönlicher Be-
rührung Verlangende unternahm Böck-
lin den ersten Schritt und stellte sich
an einem Sommerabend 1885 auf der
„Meise“ ein, wo er ziemlich sicher war, den
Gesuchten zu finden.
Diesen freute es aufrichtig, den Maler von
Angesicht zu sehen, und sie behagten sich von
Stund an. Einige weitere Begegnungen und
etliche Besuche im Atelier öffneten dem Dichter
die Augen über den stolzen Seelenfang, den er,
einigermassen ahnungslos, getan. Der Mensch
nahm ihn ein, der Maler erfüllte ihn mit Be-
wunderung. Dankbar pries er jetzt die Fügung,
die ihm den lange gehegten Wunsch nach dem
Umgang mit einem wahrhaft schöpferischen
Künstler erfüllte und ihm dadurch den Lebens-
abend erhellte.
Was den Verkehr kräftigte und bald zu einem
fast täglichen Bedürfnis beider gestaltete, das
war der Respekt. Es lebte auf Erden kein
Künstler irgendwelcher Art, vor dem Böcklins
Kritik Halt machte und vor dem er in Ehr-
erbietung den Hut gezogen hätte. Nur eine Aus-
nahme gab es, und das war eben Gottfried
Keller, auf dessen Schöpfergaben er so gewaltige
Stücke hielt, dass er mehrmals die merkwürdige
Behauptung aufstellte, Keller würde, wenn ihm
die äusseren Umstände die Erlernung des Tech-
nischen gestattet hätten, ebenso gross als Maler

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