Blick in den Hauptchor der Wiesenkirche
Wahr ist, dass diese gepriesene Kirche an Kühnheit,
Leichtigkeit und Schlankheit des Baues ihresgleichen sucht,
und dass ihre in weiten Abständen gestellten dünnen Pfeiler,
im Verein mit der Höhe der Gewölbe und der Pracht der Fenster,
die grossenteils ihre alten Glasmalereien bewahrt haben,
namentlich aber mit dem in den drei Chören wunderbar reich
und lebendig bewegt schliessenden Ganzen auf den Beschauer
einen ebenso überraschenden, als imponierenden Eindruck
macht. Dennoch hält dieser nicht lange und stark genug
vor, um die Unverhältnismässigkeit der Höhenentwicklung
zur Längenrichtung, sowie die teils auf spielender Willkür,
teils auf einer nicht minder spielenden nüchternen Berech-
nung basierenden Absonderlichkeiten und Unschönheiten der
Formation damit zu bedecken. Eigentümlich, kühn, pikant,
fesselnd können wir dies Bauwerk wohl nennen: zur Schön-
heit aber sehlt ihm jenes edle Maasshalten, jenes besonnene
Durchbilden der Gesamtanlage, jenes Hindurchleuchten eines
zu Soest. Aufnahme Hartkopff, Soest.
einigen festen Formgesetzes durch alle Einzelheiten hindurch,
das den besten Werken dieses Stiles eigen ist. Gleichwohl
ist nicht zu leugnen, dass die Kirche, abgesehen von dem
Kühnen und Grossartigen der Gesamtverhältnisse, Einzel-
heiten von bewundernswürdiger Vollendung besitzt. Dahin
gehören namentlich die drei Chöre, die durch den lebendigen
Wechsel der Gliederungen, die kräftig vortretenden, zierlich
profilierten Bündelpseiler, die hohen, mit prachtvollen Glas-
malereien geschmückten Fenster ein Ganzes von bezaubern-
der, harmonischer Wirkung bilden. Dazu kommt, dass an
den Pfeilern des Hauptchors die Statuen der Apostel unter
Baldachinen aufgestellt sind, Gestalten von würdig gross-
artiger Haltung, edlem Faltenwurf und teilweise vortresf-
lichem Ausdruck der Köpfe, so dass dieser dreisache Chor
von keiner andern Chorarchitektur in Westsalen an Schön-
heit der Anlage wie der Durchführung erreicht wird.
(Lübke.)