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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 15.1908

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Heft 1
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Rüttenauer, Benno: Herbstwanderung im Elsaß
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https://doi.org/10.11588/diglit.26458#0025

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erbstwandenmg im Elsaß.
Von Benno Rüttenauer.
,^)ie Deutschen sind in Sprachsachen das fackeligste
Volk der Welt. Elsaß-Lothringen haben sie zurück-
erobert; ob sie aber ,der Elsaß^ oder ,das Elsaß^ sagen
sollen, darüber werden sie sich wohl in Ewigkeit nicht
einigen". So habe ich vor zehn Jahren geschrieben,
und natürlich hat sich unterdessen nichts daran geändert.
Gebrauchen wir aber kecklich, um dem schönen Land eine
Ehre anzutun, das Masku-
linum, das wenigstens vor
dem Neutrum seinen Vor-
rang einstweilen noch be-
haupten dürfte, wenn ihm
nicbt das Femininum mit
der Zeit immer mehr „über
wird".
An der deutschen Sprach-
sackeligkeit hat sich nichts
geändert, an den elsässer
Verhältnissen aber Manches,
und davon wird gelegent-
lich die Rede sein. Meine
Wanderung ging von Kol-
mar aus, ich wanderte von
da am Nachmittag nach
Kaysersberg hinaus. Eine
kleine Strecke suhr ich mit
der Straßenbahn, um
schneller dem Weichbild der
Stadt zu entkommen; denn
wo alte schöne Städte sich
beute strecken lind dehnen,
werden sie gleich häßlich bis
zur Gemeinheit. Ich weiß
nicht eine einzige Ausnahme
von dieser wie es scheint
fatalen, ich meine („fatal"
von Fatum abgeleitet) unab-
wendbaren Regel. Aber
damit stoße ich bereits aus
eine Eigentümlichkeit des
Elsaß. Nur die Hauptstädte
erfreuen sich hier der ge-
dachten^ hypertrophischen
Auswüchse in einigermaßen
beträchtlichem Umsang, die
mittleren und kleineren Städte sind davon noch kaum
verunstaltet. Dies berührt zunächst angenehm; aber
indem man den Gründen und Ursachen nachdenkt,
kommt man doch zu dein Schluß, daß diese Erscheinung
im^Grunde nur aus sehr bedauerlichen Hemmungen zu
erklären sei. Darauf näher einzugehen, ist hier nicht
der Ort.
An einer Haltestelle meiner Straßenbahn, während
eines beträchtlich langen Aufenthalts, glaubte ich mich
plötzlich in eine der äußersten Vorstädte von Paris ver-
setzt. Auf dem Bahnsteig standen drei bereits ältliche
Mädchen (vielleicht auch Frauen), sie standen Arm in

Arm, wie man das an Sonntagen hier allgemein so
sieht, und eine von ihnen, die etwas weniger „bürger-
lich" aussah als die beiden andern, führte mit einem
Insassen der Bahn, der sich breit zum Fenster hinaus-
lehnte, ein lautes Zwiegespräch, das sie ihrerseits un-
ausgesetzt mit lautem Lachen und Kreischen unterbrach,
so daß man den Eindruck bekam, als ob es sich fort-
während uni die derbsten Späße handle. Ich habe
von der langen und lauten Unterredung auch nicht ein
Wort verstanden, und ich dachte, wie gesagt, an ver-
wilderten Pariser Vorstadtjargon. Wahrscheinlich aber
warS ein einheimischer fran-
zösischer Ur-Dialekt aus ir-
gend einem versteckten Vo-
gesenwinkel. Und wahrschein-
lich war auch das Gespräch,
das anscheinend roh klang,
ganz harmlos, nur eben
ländlich - lustig. Überhaupt
muß man sich im Elsaß hüten,
alles für bewußte und ge-
wollte Französischtuerei zu
nehmen, was sich im ersten
Augenblick so ausnimmt.
Der Gruß ist überall zuerst
französisch, am ausschließlich-
sten von solchen Leuten, die
nicht Französisch können.
Wieviel können es aber?
Man darf daraus keine
falschen Schlüsse ziehen. Es
ist eine Gewohnheit, die auch
in Baden, der Pfalz und
andern angrenzenden Län-
dern schon einmal allgemein
Sitte war. Sogar in den
besten Kreisen. Der Elsässer
hält die Anreden „Monsieur"
und „Madame" für unend-
lich feiner als „Herr" und
„Frau". Er gebraucht sie
nicht aus Trotz, er glaubt
einen damit zu ehren. Und
war das nicht einmal in
ganz Deutschland so? Der
Elsässer ist eben darin ein
echter Deutscher, daß ihn
das Fremde vornehmer
dünkt als das Eigene, daß
er den Deutschen deutsch zu grüßen für unhöflich hielte.
Nichts gleicht so sehr dem Trotz, als Schüchternheit,
hier wie überhaupt im Leben.
Es gibt freilich auch viel bewußte Abkehr und Ab-
wehr, aber sie ist anderswo zu suchen als im Volk.
Doch ist noch das zu sagen: Verletzt wird unser deutsches
Ohr in hohem Grade von der ewigen Einmengung fran-
zösischer Brocken in den alten alemannischen Dialekt. Der
Durchschnittsreisende macht sich lustig über den garstigen
Sprach-Mischmasch und karikiert ibn, was aber kaum
nötig ist; besonders im Badischen drüben tut man sich
daraus was zugute. Ich meinerseits niag die Sache



Elsäsfisches Fachwerkhaus.

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