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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Editor]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 15.1908

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Heft 1
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Rüttenauer, Benno: Herbstwanderung im Elsaß
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https://doi.org/10.11588/diglit.26458#0030

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Herbstwanderung im Elsaß.

noch solcher Dienst. Und ich äußerte meine Verwunde-
rung und Bewunderung. Aber der Wirt meinte: Ganz
traue er der Herrlichkeit doch nicht mehr. Die „Alte"
sei auch nur noch mit ganz Minderwertigem gestillt,
und er trage sich mit dem Gedanken, daö seltene Altertum
dem Kaiser zu schenken für die Hohkönigsburg . . .
Und da soll man noch sagen, daß die Elsässer nicht
loyal wären!
Eine eigentümliche Geschichte haben im Elsaß auch
die Landstraßeil. Sie wurden schon zweimal völlig um-
gedreht. Alle Hauptstraßen ursprünglich gingen parallel
mit dem Rhein. Das war nur natürlich. Die Fran-
zosen aber haben sie dann um einen rechten Winkel
umgedreht; denn wie in der ganzen Welt bekanntlich
„alle Wege nach Rom führen", so müssen in Frankreich,
nur noch viel wörtlicher und eigentlicher, alle Straßen
nach Paris weisen. Die neue Verwaltung nach 1871
mußte darum eine ganze Reihe
von Längsstraßen wieder neu an-
legen. Und es wurde hierin Groß-
artiges geleistet. Besonders der
ganze obere Straßenzug zwischen
Rappolswciler und Molöhcim, über
Kestenholz, Dambach, Barr, Otrott,
Börsch und Rosheim ist eine im
höchsten Grade rühmenswerte
Schöpfung und einer der schönsten
Ruhmestitel der deutschen Neu-
gestaltung des Landes. Aus ein-
zelnen Strecken ist diese Straßen-
anlage auch für den nachdenklichen
Fußwanderer ein geradezu idealer
Weg. Man genießt da fast un-
ausgesetzt und mit immer neuen
Verschiebungen und wechselnden
Beleuchtungen daö grandioseste Land-
schastsbild, das man sich denken
kann: links kühne Bcrglinicn mit
immer neuen Überschneidungen und
ruinengekrönten Gipfeln, vor sich
schimmernde Rebhügel und da-
zwischen sanftes Wiesengelände mit
schönen Pappelgruppen und den
Silhouetten kleiner Städte, bildhaft
zusammengepackt wie aus alten Holzschnitten, rechts
hinaus aber, weit hinaus, aus fast mystischer Tiefe sich
emporhebend, die Rheinebene und in verwebender dunstiger
Ferne die großen ruhigen Hochlinien des badischen
Belchen, des Feldbergs, des Kandels . . .
Zn meinen Tagen war gerade die Färbung entzückend
schön: die Vorberge der Vogesen in warmem Brau»,
Rot und Violett, über den Weinhügeln und den Pappeln
der Wiesentäler goldenes Geleucht, die weite Ebene
hinaus in den stärksten Kontrasttönen moduliert, in
Schwarz und schwärzlichem Grün.
* *
*
Die letzte Nacht blieb ich in Oberehnheim. Auch
eine alte Reichsstadt mit bedeutender Geschichte. Von
den vielen monumentalen Brunnen elsässischer Städte,
fast alle aus dem 16. Jahrhundert, hat Oberehnheim

den schönsten. Leider hat man eine so ungeschickte Photo-
graphie davon gemacht - ein rechter Philister hat sich
wichtig und breitspurig vor das preziöse Kunstwerk
gestellt — daß ich daraus verzichtet habe.
Oberehnheim hat der deutschen Literatur in dem
Kapuziner Thomas Murner einen Charakterkopf hervor-
stechendster Art gegeben, den seine Gegnerschaft gegen
Luther für lange Zeit mehr als billig verdunkelt hat.
Heut läßt man seiner dichterischen Begabung Gerechtig-
keit widerfahren, gibt sogar zu, daß sie bedeutender ist
als die des Sebastian Brand, meint aber, daß er sonst
ein schlechtes Luder war, ein sittlicher Lump durch und
durch. Wenn man aber seine Verteidigung des Meß-
opfers gegen Luther liest und die warmherzige kindliche
Frömmigkeit und aufrichtige Glaubensüberzeugung sieht,
wird man an solchen Urteilen etwas irr. Bedenkt man
dann, daß derselbe Mann die verlotterten Zustände des
Mönchtums und besonders seines
eigenen Ordens schärfer gegeißelt
hat als irgend einer, wird man
erst recht irre. Große Freiheiten
hat sich der Kuttenmann freilich
hcrausgenvmmen. Um die Hälfte
bekäme er es heut mit dem Staats-
anwalt zu tun. Nicht nur die
Kirche, auch andere Gewalten hatten
damals noch Humor, man ver-
stand noch Spaß. Wie merk-
würdig; damals machte man Straf-
gesetze gegen den Kleiderlu.rus, gegen
„ungeziemende" allzu üppige Klei-
dungsstücke, was wir kaum mehr
begreifen; heut dagegen haben wir
einen Strasparagraphen gegen „un-
geziemende" und allzu üppige
geistige, will sagen literarische Klei-
dungsstücke, als Wörter, Wendungen
und dergleichen. Damals war in
solchen Dingen allein der Geschmack
Richter. Und was für ein Frei-
geist und Libertiner war der? Und
bis zu welcher steifen Korrektheit
hat er es unterdessen gebracht!
Dennoch brauchen wir heut den
Strafrichter ... O heiliger — Thomas Murner, und
Lutherus, bittet für uns.
Es lebe der Fortschritt!
* *
*
Meinen Abschied von Elsaß feierte ich in Straßburg,
in einer München-Pilsener Bierkneipe. In einer vor-
nehmen natürlich. So vornehm war sie, daß eine Menge
Offiziere da verkehrten. Aber noch mehr „Einjährige".
Und jedesmal, wenn ein Offizier den Raum betrat, war
es, als ob der Eintretende aus den Knopf eines geheimnis-
vollen Uhrwerks getreten hätte: so schnellte es von allen
Seiten und in allen Ecken schnurstracks und steckensteis
in die Höhe. Mir lies dabei jedesmal ein patriotischer
Schauder den Rücken hinunter; wahrlich,
„Lieb Vaterland, magst ruhig sein,
Fest steht und treu die Wacht am Rhein!"


Aus Reichenweier.

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