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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 15.1908

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Heft 2
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Lur, Joseph August: Wie ich Töpfer wurde
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https://doi.org/10.11588/diglit.26458#0062

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Wie ich Töpfer wurde.

sofort in die Werkstatt. Was er sich dachte, war mir
gleichgültig.
Ein tschechischer Töpsergeselle, der nur wenig Deutsch
konnte, erteilte mir die notwendigsten Anweisungen. Er
hieß nach dem Erzengel Gabriel, was ebenfalls legendär
anmutct und bei einem Handwerk, das wie bekannt
direkt vom lieben Herrgott abstammt, doppelt hübsch ist.
Seine ganze Ausdrucksfähigkeit lag in den Händen, wie
sichs für einen rechten Töpfer gehört; seine Finger waren
so gefühlsam wie die einer Hebamme. Ich zog mein
Arbeirsgewand an, Leinenhose und Schurz, und setzte
mich, barfuß natürlich, wie es die Arbeitsweise erfordert,
an die Töpferscheibe. Es sind eigentlich zwei horizontale
Scheiben, durch eine Achse miteinander fest verbunden
und in einem Gestänge hängend, so daß, wenn man
die untere Scheibe am Fußende antreibt, die obere, die
sich etwa in Sitzhöhe befindet lind auf der inan arbeitet,
sich mitdreht. Der Töpfer arbeitet buchstäblich mit Händen
und Füßen. Wenn die untere Scheibe mit den Füßen
in rasch kreisende Bewegung gesetzt und auf die um-
kreisende obere Scheibe ein Stück woblgcknetctcn Tons
im Scheibenmittelpunkt aufgesetzt wird, kann die Arbeit
des Formens losgehen. Durch Eindrücken des Daumens
oder eines Stück Leders wird der um seine eigene Achse
kreisende Tonkloß hohl, und unter fortwährendem Be-
feuchten und raschem Umkreisen der Scheibe zieht man
den Ton zwischen den fühlenden und formenden Fingern
hoch, baucht ihn ein und aus, je nach Absicht und Ge-
schicklichkeit. Gabriel sah, daß ich begriff und fühlte,
und überließ mich bald meinem Instinkt. Er machte
auf seiner Scheibe fortwährend riesige Milchtöpfe für
die Bauern in der Umgebung des Töpferstädtchens. Ich
machte anfänglich die berühmten Gartengeschirre, bis ich
Material und Technik recht ins Gefühl bekam. Alsdann
aber regte sich mein Formcnsinn, der mich ins Hand-
werk trieb, und ich begann statt der Gartcngcschirre und
statt der Milchtöpfe Vasenformen zu drehen, die mir
im Geiste vorgeschwebt hatten und die ich in ihrer be-
sonderen Art selbst Herstellen wollte. Gabriel hatte in
seinem Leben nur Milchtöpfe und ähnliche nützliche Ge-
schirre gedreht, er hatte nie daran gedacht, daß die Welt
vom Töpfer auch was anderes verlangen könne. Ich
hatte gar bald die Genugtuung, daß mich der Töpfer-
meister und seine Gesellen mit Hochachtung behandelten
und nicht mehr mitleidig über meine Versuche lächelten.
Ich hatte nicht geahnt, daß die manuelle handwerkliche
Arbeit ein solches Glücksempfinden gewähren könne, wie
ich es bei dieser Arbeit tatsächlich empfand. Im goldenen
Zug flogen die Stunden vorüber und jede hatte ein
Lächeln. Das erlösende Gefühl der Ruhe und der Aus-
geglichenheit trat in die Seele. Es kommt wohl daher,
daß die Gedanken und Gefühle bald mit dem Werkzeug
und mit dem Material in eins verwachsen und alles
Geistige von der Arbeit der Hände absorbiert wird. Das
macht frei und leicht. Dazu kommt der Stolz und die
Freude des Gelingens. Dann tritt die Hoffnung herein,
daß dem Leben ein neuer Schönheits- oder Glückswert
auf diesem Wege verliehen werden könne. So entstehen
freundliche, lichtvolle Gestalten, indem der nasse Lehm
herumfliegt, daß alsbald das Arbeitskleid wie mir einer
Erdkruste davon bedeckt ist. Immerzu gilt es bei der

Arbeit geistig tätig zu sein. Aber diese geistige Tätigkeit
vollzieht sich in einer selten empfundenen Harmonie mit
der Übung der materiellen Kräfte und Geschicklichkeit.
Während auf der fliegenden Scheibe die Form unter
den Händen wächst, fließen alle Gedanken und Ideen
mählich ein, durch die das Werk sinnvoll wird. In-
spirationen gehen ihren Weg durch die Hände in die
Form, die zwar ein Geistiges und Empfindungsmäßiges
darftellen, aber zugleich von der Technik und vom Werk-
zeug hervorgerufen werden. Auf dem Zeichenpapier können
wir uns jeden Unfug erlauben. Wenn es aber zur prak-
tischen Arbeit kommt, ist das Material mit uns rasch
fertig. Unsere Hilflosigkeit ist kläglich, wenn wir cs nicht
verstanden baben, aus dem Geist der Handwerklichkeit
unmittelbar zu schöpfen. Der Weg, auf dem die Kunst-
werke entstehen, geht nicht über das Zeichenpapier, sondern
durch den Stoff und durch die Arbeitsweise. Die schönsten
Entwürfe, zur Ausführung gebracht, sind starr und leblos,
wenn ihnen die Handspur der persönlichen Werkarbeit
fehlt, anderseits haben die Meister, die handwerklich
arbeiten, vielfach aufgehört in formaler oder künstlerischer
Hinsicht schöpferisch oder selbsttätig zu wirken. Sie be-
sitzen die Tradition der Handwerkstechnik, aber auch die
Tradition einer ererbten Formensprache, die schließlich zu
einer mechanischen Wiederholung geworden ist und nichts
mehr von dem geistigen Lebe» des Herstellers verrät.
Das ist eine der Ursachen, warum die vielen kleinen
Töpfermeister, die auf ihre Art gut und handwerkstreu
arbeiteten, so schwer unter der Teilnahmlosigkeit des
kaufenden Publikums zu leiden haben, so daß sich für
die meisten der Betrieb nicht mehr verlohnt. Wo eine
sehr originelle keramische Volkskunst noch zu Hause ist,
und der eine oder andere Meister Formen weiter übt,
die neuerdings wieder die Aufmerksamkeit erregt haben,
ist es einigermaßen besser bestellt. Im allgemeinen aber
ist die schöpferische Fähigkeit des Neugestaltens und Neu-
crfindens in diesem Klcinhandwerk erloschen und mit ihm
das einzige Mittel verloren, wodurch sich der kleine Meister
als Kunsthandwerker gegen das wirtschaftliche Übergewicht
der Fabriken siegreich behaupten kann. Soll eine alte
Meisterkunst im Sterben sein? Es ist ganz unsinnig,
das zu glauben. Gerade im Zeitalter der Fabriken werden
die Meisterkünste mehr und reichlicher leben als in früheren
Zeiten, denn neben dem Massenbedürfnis, dem die fabriks-
weise Herstellung genügt, erwacht als natürliche Reaktion
das Qualitätsbedürfnis, dem künstlerisch nur die Meister-
hände entsprechen können. Allerdings wird sich die Ver-
jüngung der Mcisterkunst auf einer neuen künstlerischen
Grundlage vollziehen. Alte Techniken mit neuem Geist
und mit dem unveränderlichen Sinn für die Güte und
Gediegenheit zu erfüllen, ist die Aufgabe eines neuen
deutschen Kunsthandwerker
Von der Scheibe weg geht es nach dem Brennofen.
Der Raum ist heiß wie eine Backstube, wo die Töpfe
nach dein ersten Brand mit Farben überzogen und von
neuem in den Ofen kommen, wo die Bleifarben durch
die Hitze ihren Glanz, ihre Härte und Schönheit be-
kommen. Schon an der Drehscheibe beschäftigten mich
die Gedanken an das Glasieren und an das lustige
Kapitel von den Farben. Daß ein Töpfer durch seine
Scheibe mit einem großen Stück Welt in Verbindung

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