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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Editor]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 15.1908

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Heft 5
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Pfälzer, Karl: Warum?
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https://doi.org/10.11588/diglit.26458#0164

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arum?
Andlau ist ein Städtchen im Elsaß, hat knapp
2OOO Einwohner und aus der guten alten
Zeit diesen Marktplatz. Wer fragt da nicht mit Bitter-
keit: warum? Wenn das in einem Landstädtchen
früher möglich war, vor einen solchen Giebel solche
Häuser und solchen Brunnen aufzurichten: warum will
dies heute selbst in den größten Städten und mit den
reichsten Mitteln nicht gelingen? Die Antwort muß nur
immer wieder lauten: weil damals die Kunst noch nicht
erfunden war, d. h. die künstlerische „Bildung" nicht.
Weils damals ein Handwerkerstück war, solchen Giebel
aufzurichten oder solche Säule zu steinmetzen. Weil die
Veränderungen im Geschmack noch wie die Jahreszeiten
von selber kamen und nicht durch tausend Schulen ein-
getrichtert wurden. Und weil die Sparsamkeit noch Mittel
für die Schönheit übrig hatte, die heutzutage im Über-
fluß durch Prunk und Protzerei verschämt beiseite steht.
Da hängen in allen Schulen die Tafeln mit den
Paradebauten der ganz zerforschten Stile, da werden
Kirchen und Fassaden von vorn und hinten im „Meß-
bild" ausgenommen und für die Wissenschaft in jedem
Monat neu gerettet: Und solche Plätze liegen da und
warten, bis einmal ein Maler kommt oder sonst einer,
der sein Gefühl nicht aus Lehrbüchern und Kunstleit-
fäden dressiert hat und betroffen und entzückt vor einem
solchen Brunnen stehen bleibt und wehmütig fragt: Kann
das Gefühl für solche schlichte wundervolle Baukunst nicht
wieder eine selbstverständliche Eigenschaft der Menschen
werden? Sollte man nicht alle Stile und Stilparade-

pferde (was hat dieser wissenschaftlich angeklebte Stil
mit der Schönheit zu tun?) einmal zum wenigsten
aus der Schule entfernen können? Aber nein: es geht
ja immer tiefer hinein, die dümmsten Bengel, am
Einmaleins gescheitert, wissen schon vom Stand- und
Spielbein, vom Übergang und Spätbarock und werden
täglich bombardiert mit Kunst und Dichtung, wie wenn
die extra zur Pädagogik auf die Welt gekommen wären.
Da wissen wirs mit einemmal, warum bei uns nach
deutscher Renaissance der Jugendstil und danach ganz
behaglich wieder die Biedermeierzeit anrücken muß; wie
lange noch und wir hopsen wieder im Rokoko einher: Weil
wir den historischen Erziehungsdrehwurm haben, und weil
ein jeder, der mit brauchbaren Sinnen zu behandeln ist,
in seiner Jugend so zerschlagen wird mit Kunsterziehung
und dergleichen, daß es sehr zu verwundern ist, wie
noch immer hausbackene Menschen mit Schinken, Kohlen
oder Litzen handeln, sägen oder sonst ein Handwerk tun,
fürsprechen oder doktern lernen.
Wo soll eine mit den Glanzstücken aller Stile voll-
gepfropfte Menschheit den Mut hernehmen, solche
Häuschen mit den schiefen Dächern und diesem simplen
Brunnenrand mit seiner Säule noch schön zu finden?
Ist dies verbittert? Man suche in unserm lieben
Vaterland »ach einem modernen Brunnen, der diesem
unscheinbaren und vergessenen Ding an Schönheit gleich
wäre, der so von selber dazustehen vermöchte, wie diese
Säule der Kaiserin Richardis inmitten des Städtchens
Andlau steht, das sie gegründet hat. K. Pfälzer.



Marktplatz zu Andlau im Elsaß.
 
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