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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 15.1908

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Heft 5
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Gors, L.: Daß Goethes Prosa langweilig ist
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https://doi.org/10.11588/diglit.26458#0173

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Daß Goethes Prosa langweilig ist.

oder ganz verwandelt ist. Hierdurch erhält seine Prosa
den fremdeir und unbehaglichen Ton, den man manieriert
genannt hat: der Leser muß einen Teil seiner Auf-
merksamkeit der Bedeutung der Worte zuwcndcn, der
sonst dem Bedenken des Inhaltes zugute käme.
Goethes ganzes Wesen war vom Charakteristischen,
Individuellen weg aufs Typische gerichtet und Goethe
war ein ganz ungewöhnlich intensiver Denker. Einzel-
heiten haben ihn nie als solche interessiert, als Ab-
wechselung und Vielgestaltigkeit, wie sich naive Menschen
an der bunten Mannigfaltigkeit der Erscheinungen freuen.
Eine Einzelheit ist ihm nur interessant, soweit sich etwas
Typisches in ihr entdecken läßt, soweit sie sinnvoll,
bedeutend ist. Er ignoriert alles schlechterdings Zu-
fällige; allerdings scheint ihm nicht alles zufällig, was
gewöhnlichen Menschen so vorkommt. Er war nicht
das, was man sich in Romanbesprechungen einen Be-
obachter zu nennen gewöhnt hat: ein Mensch, der alles
bemerkt und alles beschreibt. Goethe war zu sehr
Denker, zu sehr Philosoph, um sich mit dem bloßen
Registrieren von Einzelheiten begnügen zu können. Er
sucht das Allgemeine im Einzelnen, den Sinn im an-
scheinend Sinnlosen, Zufälligen. Und was ich oben als
meine Auffassung der Kunst auseinandergesetzt habe, wäre
ihm ein fürchterlicher Greuel gewesen, unerhörte Barbarei.
Denn er hat vor Werken der bildenden Kunst tiefer Ge-
danken gepflogen, einen Sinn, eine „Bedeutung" gesucht
und gefunden, aber konnte nicht immer zwischen guten
und schlechten Bildern unterscheiden — man denke an
alles, was er über die zeitgenössische Kunst geschrieben und
wie er ihr helfen wollte mit Preisaufgaben usw. — und
er konnte nicht zeichnen und nicht malen trotz heißein Be-
mühen. Er hat eben anders gesehen, als Künstler sehen.
Goethes Prosa ist von seinem Wesen nun durchaus
beeinflußt, mehr als die Prosa irgendeines andern Autors
vielleicht, denn keiner ist vorn Sprachgebrauch seiner
Zeit so weit abgewichen wie er. Er liebt es, einen
Gedanken so abstrakt wie möglich auszudrücken; er will
immer etwas Allgemeines sagen, er vermeidet charakte-
ristische Worte, die einen einzigen absonderlichen Zug
herausheben; es gelingt ihm nie eine witzige oder
humoristische Bemerkung, obschon er'ö hie und da pro-
biert; er drückt sich nie scharf aus, andere Möglichkeiten
ausschließend, sondern immer vorsichtig, alles erwägend,
aber niemals anschaulich, selten eine Erscheinung, einen
Gedanken deutlich und leicht verständlich machend, ohne
besondere Denkleistungen vom Leser zu beanspruchen;
seine L-ätze hasten schlecht im Gedächtnis, weil sie nie
pointiert ausgedrückt sind, mit Worten, die überraschen
und sich deshalb von selbst einprägen.
Ganz anders sind die Verse. Der Unterschied zwischen
seiner Prosa und seinen Versen ist im höchsten Grade
ausfallend, in den Versen läßt er sich gehen, drückt
seine Gedanken pointiert, mit charakteristischen, oft popu-
lären, der Umgangssprache entnommenen Worten aus,
unvorsichtig und durchaus nicht alle Möglichkeiten sorg-
fältig erwägend, wie in seiner Prosa. Seine Verse
klingen modern, seine Prosa immer altertümlich und
wie vom Throne des Philosophen gesprochen. Seine
Verse sind manchmal amüsant, seine Prosa ist nie
amüsant, aber beinahe immer langweilig.

Es hängt nun durchaus von der geistigen Konstitution
des Lesers ab, wie sebr ihn Goethes Prosa langweilt
oder ermüdet. Philosophische Temperamente in der Art
des goetheschen sind äußerst selten. Selbst ein Mann
nun mit ähnlichem Temperament wird Goethes Prosa
noch ermüdend finden; und das kommt daher, daß es
immer Mühe macht, einen abstrakt auögedrückten Ge-
danken mit den Erfahrungen deS eigenen Lebens und
Denkens zu füllen oder zu vergleichen, und daß es
recht oft nicht gelingt, in der eigenen Erfahrung etwas
aufzufinden, was den abstrakten Satz des fremden
Autors illustrieren würde, so daß mir dieser Satz eben
leer bleibt lind mein Denken nicht bereichert. Dieses
Geschäft, zu dem abstrakt ausgesprochenen Satz in der
eigenen Erinnerung eine Analogie zu finden, ist für
alle Leute mühsam und unerfreulich, für manche klare
Köpfe aber außerdem noch recht unbehaglich, denn
Goethes Sätze sind zwar grammatisch höchst klar und
vollkommen verständlich und der Sinn der einzelnen
Worte ist nicht zweifelhaft, aber es ist bei einem solchen
allgemeine» Satz immer ganz unbestimmt, woraus er
sich eigentlich bezieht und aus welchen Erfahrungen
Goethe sich diese allgemeine Ansicht gebildet hat, das
heißt aber, man weiß nicht, was der Satz nun eigent-
lich bedeutet.
Auch wenn einem der Satz einigermaßen einleuchtet,
aus Grund mehr oder weniger verschwommener Er-
innerungen, so wird inan doch noch sehr weit davon
entfernt sein, an die genaue Richtigkeit eines derartigen
Satzes zu glauben, wenn anders man imstande ist,
selbständig zu denken. Ein Genuß bleibt beim Lesen
Goethescher Prosa meistens ganz auö: das Gefühl der
Eklatanz, der Evidenz eines Gedankens, die Freude, den
Zusammenhang einer Sache mit einer andern plötzlich
ganz klar und deutlich zu übersehen. Sehr allgemeine
Sätze sind nicht leicht evident; inan liest den Satz und
denkt: Hm, das ist vielleicht richtig, aber man hat nicht
jenes sublime Gefühl der Sicherheit, der Evidenz, daß
etwas so und so und nicht anders ist. Dieses Gefühl
findet man bei Lessing und bei Schopenhauer, auch bei
Bismarck und bei Mommsen, die alle an Wortkunst und
an Wortbeherrschung mit Goethe nicht entfernt zu ver-
gleichen sind, aber inan findet eS nicht bei Goethe.
Es ist nun höchst merkwürdig, daß Faust heute
eigentlich nicht inehr populär ist; denn die Verleger
stellen moderne Luxusausgaben des Faust heute nicht
mehr her, während der Büchermarkt mit Goethebriefen
und -gesprächen geradezu überschwemmt wird. Es mag
das daher kommen, daß die deutschen Schriftsteller, die
augenblicklich die öffentliche Meinung beherrschen, eine
Abneigung aus Unvermögen gegen pointiert ausgedrückte
Gedanken haben, wie sie im l. Teile des Faust sich
fiiiden. Pathetische und allgemeine Sätze sind ihnen
lieber, da verschwommene Köpfe sich dabei eher etwas
denken zu können scheinen. Anders kann ich mir
den vor einigen Jahre» ganz plötzlich ausgebrochenen
Goethekultus nicht erklären. Denn dem großen Publi-
kum sind die dramaturgischen Bemerkungen etwa im
Briefwechsel mit Schiller nicht interessant, die allgemeinen
Gedanken nicht verständlich und das Anekdotische zu
mager.
 
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