Die Gefilde der Seligen.
Cordes ging unterdessen mit unbehaglichen Gefühlen
weiter. Er war verletzt, so sehr er sich bemühte, es
nicht zu sein. Dieser formlose Abschied war wie der
Mensch und wie die Stadt und wie diese ganze trost-
lose Landschaft, in die ihn seine Karriere verschlagen
hatte. Als ihm die breite Straße entgegen gähnte,
darin nicht einmal ein Jagdhund mehr zu sehen war,
brach ihm der Angstschweiß aus.
4- *
*
Cordes hatte alle Besuche gemacht und wurde mit
Einladungen überschüttet. Heute war ein „warmes
Abendessen" bei Oberstleutnant a. D. Helbig. Wer dort
verkehrte, konnte sich getrost der oroms äs la orßins
von Havelburg beirechnen. Gesellschaftlicher Schliff,
unverbindliche Verbindlichkeit, pikante Histörchen, Über-
hebung über die lieben Nächsten in harmloser Selbst-
verständlichkeit, viel gelernte Grazie und wenig Geist,
darin brillierte dieser Kreis um Oberstleutnant a. D.
Helbig. Er selber war eine vornehme Erscheinung von
tadelloser Korrektheit, der sich niemals, auch nicht zu
Hause, gehen ließ. Sein starker Schnurrbart zeigte hart-
gedrehte, schwertfischartige Enden, sein graues Haar lag
dicht und glatt über dem fleckenlosen, gleichmäßig weißen
und rundlichen Gesicht. Die Nägel der kleinen Finger
waren sehr lang, und die Hände erschienen zu jeder
Tageszeit wie eben aus dem Wasser getaucht, blüten-
weiß und zart.
Die echten Havelburger Philister glaubten lächeln
zu müssen, wenn er in seiner eleganten Korrektheit an
ihnen vorüberging. Es war ein Lächeln, wie sich die
Auguren zugelächelt haben mochten, so überlegen, so
verständnisinnig.
Der Oberstleutnant war viele Jahre Witwer gewesen,
hatte dann aber eine lange und dürre ältere Dame
geheiratet, die für ihn verschiedene Vorzüge besaß, deren
nicht geringster war, daß sie über ein Barvermögen
verfügte, das der Oberstleutnant gebrauchen konnte.
Außerdem entstammte sie einem alten Adelögeschlechte
und hatte in Berliner Hofkreisen verkehrt. In Havel-
burg wunderte man sich anfangs und hatte deö Spottens
kein Ende, als der schöne Oberstleutnant mit dieser Frau
erschien. Wo Schönheit nur durch ihr Erscheinen siegt,
muß Häßlichkeit erst bitter kämpfen.
Heute erschienen zum Abendessen: „Sanitätsratö",
„Superintendents", „Baurats", Apotheker Hollerberg
mit Frau, „Direktors vom Gymnasium", Amtsrichter
Cordes, Töchter und Söhne der genannten Ehepaare
und mehrere unwichtige Gäste, deren Auszählung nicht
nötig ist, wie man ja auch bei Hoffestlichkeiten nur die
glänzendsten Namen aufführt. Und für Havelburg war
jede Gesellschaft bei „Oberstleutnants" ein kleines Hoffest.
Der Hausherr küßte soeben Frau Baurat Gruneliuö
galant die Hand, und sein zehnjähriger Sohn Lothar
paßte genau auf, wie Papa sich dabei benahm, um sich
nachher mit der gleichen verbindlichen Liebenswürdigkeit
über Frau Sanitätörats Hand zu beugen. Die schöne
Frau war entzückt und rief, mit ihren prachtvollen
schwarzen Augen rollend: „Ihr Lothar ist wirklich ein
Muster an Wohlerzogenheit, Herr Oberstleutnant. Ein
kleiner Ritter vom Scheitel bis zur Sohle." Dabei
reichte sie ihm ebenfalls die Hand, die er beglückt an
seine Lippen führte. Frau Apotheker Hollerberg und
Frau Superintendent tauschten einen Blick miteinander
aus, der Frau SanitätsratS rollenden Augen nicht ent-
ging. Sie steuerte dann auch gleich auf die Damen
zu und ein mokantes Lächeln umspielte sekundenlang drei
Augenpaare. Und während sich die Damen anscheinend
freundlich und harmlos begrüßten, flüsterte Frau Sani-
tätsrat: „Wie schrecklich, wenn schon Kinder so dressiert
werden."
„Man sieht ja die Folgen an diesem altklugen
Jungen," tönte es ebenso wispernd zurück.
Inzwischen hatte Cordes der Frau Oberstleutnant
sein Kompliment gemacht und wurde nun von ihrem
Manne herzlicher als andere begrüßt. Er brachte Groß-
stadtluft mit und war tadellos gekleidet. In seiner
Nähe mochten schmerzlich süße Gefühle nach der großen
Welt in ihm erwachen.
Lothar wurde durch einen Blick herbeigerufcn. Er
klappte die Hacken mit dezentem Schlag zusammen, hielt
die Hand in gemessene Höhe und verneigte korrekt den
wohlfrisierten Kopf. Dann steckte er zwei Finger
zwischen die Westcnknöpfe und schloß sich den Beiden
zu einem kleinen Rundgange an, während der Hausherr
seinen Arm in den des Gastes schob.
Nach einigen nichtssagenden Redensarten blieb Helbig
plötzlich stehen und fragte: „Sagen Sie, Verehrtester Herr
Amtsrichter, wie kommen Sie mit Ihrem Kollegen aus?"
Cordes kannte schon das schlechte Verhältnis, das
zwischen Oberstleutnants" und „AmtSgerichtsrats"
bestand. Er sagte daher vorsichtig: „Ich bin reizend
dort ausgenommen worden."
Der Oberstleutnant lachte, und über Lothars Gesicht
flog ein verstehendes Lächeln, als er verächtlich sagte:
„Sie werden die Sachlage ja sofort durchschaut haben.
Gesellschaftsfähig im besten Sinne sind die Leute eben
nicht. Die Frau . . ." Der Oberstleutnant vollendete
nicht, sondern zuckte nur vielsagend die Achseln, und
Lothar streckte mit undurchsichtiger Miene die Nase in
die Luft, wobei er aus den Zehen wippte.
Cordes war peinlich berührt und nur, um etwas zu
sagen, fragte er: „Die Frau Amtsgerichtörat ist ja wohl
hier geboren? Aus welcher Familie stammt sie eigentlich?"
Da blies Lothar durch die Lippen: „Kleine Beamten-
tochter."
Cordes konnte ein Lächeln nicht unterdrücken, und
der Oberstleutnant sagte: „Mein lieber Junge, man
wird es dir nicht übelnehmen, wenn du dich zurück-
ziehst. Du hast wohl noch zu arbeiten."
Lothar begriff sofort, daß er eine Dummheit gemacht
hatte, aber ohne einen Augenblick verlegen zu werden,
machte er die Abschiedsrunde. Das war dann wieder
eine reizende Unterbrechung für die Gäste.
Man ging zu Tisch, heiter, angeregt, sorglos und mit
Stoff für reichliche Medisance geladen. Gute Küche und
vorzügliche Weine sorgten für Erhöhung der Lebensfreude.
Die Politik mußte ein Weilchen als Gesprächsstoff
dienen, war aber bald abgetan, da man nur unter sich
war. Man hatte gemeinsame Anschauungen, gemein-
same Verachtung, gemeinsame Verehrung, also gab es
keine Reibungsflächen und man war bald fertig. Die
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Cordes ging unterdessen mit unbehaglichen Gefühlen
weiter. Er war verletzt, so sehr er sich bemühte, es
nicht zu sein. Dieser formlose Abschied war wie der
Mensch und wie die Stadt und wie diese ganze trost-
lose Landschaft, in die ihn seine Karriere verschlagen
hatte. Als ihm die breite Straße entgegen gähnte,
darin nicht einmal ein Jagdhund mehr zu sehen war,
brach ihm der Angstschweiß aus.
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*
Cordes hatte alle Besuche gemacht und wurde mit
Einladungen überschüttet. Heute war ein „warmes
Abendessen" bei Oberstleutnant a. D. Helbig. Wer dort
verkehrte, konnte sich getrost der oroms äs la orßins
von Havelburg beirechnen. Gesellschaftlicher Schliff,
unverbindliche Verbindlichkeit, pikante Histörchen, Über-
hebung über die lieben Nächsten in harmloser Selbst-
verständlichkeit, viel gelernte Grazie und wenig Geist,
darin brillierte dieser Kreis um Oberstleutnant a. D.
Helbig. Er selber war eine vornehme Erscheinung von
tadelloser Korrektheit, der sich niemals, auch nicht zu
Hause, gehen ließ. Sein starker Schnurrbart zeigte hart-
gedrehte, schwertfischartige Enden, sein graues Haar lag
dicht und glatt über dem fleckenlosen, gleichmäßig weißen
und rundlichen Gesicht. Die Nägel der kleinen Finger
waren sehr lang, und die Hände erschienen zu jeder
Tageszeit wie eben aus dem Wasser getaucht, blüten-
weiß und zart.
Die echten Havelburger Philister glaubten lächeln
zu müssen, wenn er in seiner eleganten Korrektheit an
ihnen vorüberging. Es war ein Lächeln, wie sich die
Auguren zugelächelt haben mochten, so überlegen, so
verständnisinnig.
Der Oberstleutnant war viele Jahre Witwer gewesen,
hatte dann aber eine lange und dürre ältere Dame
geheiratet, die für ihn verschiedene Vorzüge besaß, deren
nicht geringster war, daß sie über ein Barvermögen
verfügte, das der Oberstleutnant gebrauchen konnte.
Außerdem entstammte sie einem alten Adelögeschlechte
und hatte in Berliner Hofkreisen verkehrt. In Havel-
burg wunderte man sich anfangs und hatte deö Spottens
kein Ende, als der schöne Oberstleutnant mit dieser Frau
erschien. Wo Schönheit nur durch ihr Erscheinen siegt,
muß Häßlichkeit erst bitter kämpfen.
Heute erschienen zum Abendessen: „Sanitätsratö",
„Superintendents", „Baurats", Apotheker Hollerberg
mit Frau, „Direktors vom Gymnasium", Amtsrichter
Cordes, Töchter und Söhne der genannten Ehepaare
und mehrere unwichtige Gäste, deren Auszählung nicht
nötig ist, wie man ja auch bei Hoffestlichkeiten nur die
glänzendsten Namen aufführt. Und für Havelburg war
jede Gesellschaft bei „Oberstleutnants" ein kleines Hoffest.
Der Hausherr küßte soeben Frau Baurat Gruneliuö
galant die Hand, und sein zehnjähriger Sohn Lothar
paßte genau auf, wie Papa sich dabei benahm, um sich
nachher mit der gleichen verbindlichen Liebenswürdigkeit
über Frau Sanitätörats Hand zu beugen. Die schöne
Frau war entzückt und rief, mit ihren prachtvollen
schwarzen Augen rollend: „Ihr Lothar ist wirklich ein
Muster an Wohlerzogenheit, Herr Oberstleutnant. Ein
kleiner Ritter vom Scheitel bis zur Sohle." Dabei
reichte sie ihm ebenfalls die Hand, die er beglückt an
seine Lippen führte. Frau Apotheker Hollerberg und
Frau Superintendent tauschten einen Blick miteinander
aus, der Frau SanitätsratS rollenden Augen nicht ent-
ging. Sie steuerte dann auch gleich auf die Damen
zu und ein mokantes Lächeln umspielte sekundenlang drei
Augenpaare. Und während sich die Damen anscheinend
freundlich und harmlos begrüßten, flüsterte Frau Sani-
tätsrat: „Wie schrecklich, wenn schon Kinder so dressiert
werden."
„Man sieht ja die Folgen an diesem altklugen
Jungen," tönte es ebenso wispernd zurück.
Inzwischen hatte Cordes der Frau Oberstleutnant
sein Kompliment gemacht und wurde nun von ihrem
Manne herzlicher als andere begrüßt. Er brachte Groß-
stadtluft mit und war tadellos gekleidet. In seiner
Nähe mochten schmerzlich süße Gefühle nach der großen
Welt in ihm erwachen.
Lothar wurde durch einen Blick herbeigerufcn. Er
klappte die Hacken mit dezentem Schlag zusammen, hielt
die Hand in gemessene Höhe und verneigte korrekt den
wohlfrisierten Kopf. Dann steckte er zwei Finger
zwischen die Westcnknöpfe und schloß sich den Beiden
zu einem kleinen Rundgange an, während der Hausherr
seinen Arm in den des Gastes schob.
Nach einigen nichtssagenden Redensarten blieb Helbig
plötzlich stehen und fragte: „Sagen Sie, Verehrtester Herr
Amtsrichter, wie kommen Sie mit Ihrem Kollegen aus?"
Cordes kannte schon das schlechte Verhältnis, das
zwischen Oberstleutnants" und „AmtSgerichtsrats"
bestand. Er sagte daher vorsichtig: „Ich bin reizend
dort ausgenommen worden."
Der Oberstleutnant lachte, und über Lothars Gesicht
flog ein verstehendes Lächeln, als er verächtlich sagte:
„Sie werden die Sachlage ja sofort durchschaut haben.
Gesellschaftsfähig im besten Sinne sind die Leute eben
nicht. Die Frau . . ." Der Oberstleutnant vollendete
nicht, sondern zuckte nur vielsagend die Achseln, und
Lothar streckte mit undurchsichtiger Miene die Nase in
die Luft, wobei er aus den Zehen wippte.
Cordes war peinlich berührt und nur, um etwas zu
sagen, fragte er: „Die Frau Amtsgerichtörat ist ja wohl
hier geboren? Aus welcher Familie stammt sie eigentlich?"
Da blies Lothar durch die Lippen: „Kleine Beamten-
tochter."
Cordes konnte ein Lächeln nicht unterdrücken, und
der Oberstleutnant sagte: „Mein lieber Junge, man
wird es dir nicht übelnehmen, wenn du dich zurück-
ziehst. Du hast wohl noch zu arbeiten."
Lothar begriff sofort, daß er eine Dummheit gemacht
hatte, aber ohne einen Augenblick verlegen zu werden,
machte er die Abschiedsrunde. Das war dann wieder
eine reizende Unterbrechung für die Gäste.
Man ging zu Tisch, heiter, angeregt, sorglos und mit
Stoff für reichliche Medisance geladen. Gute Küche und
vorzügliche Weine sorgten für Erhöhung der Lebensfreude.
Die Politik mußte ein Weilchen als Gesprächsstoff
dienen, war aber bald abgetan, da man nur unter sich
war. Man hatte gemeinsame Anschauungen, gemein-
same Verachtung, gemeinsame Verehrung, also gab es
keine Reibungsflächen und man war bald fertig. Die
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