ein Deiblatt
zurn Münchener Punsch III. Band.
Sonntag. 35. 1. Sept. 185V.
Woher die gegenwärti'ge Armuth an dramatischen
Erzeugnissen?
Es wäre fast wieder ei'ne königliche Prämie von 500 Dukaten auf
die Lösung der Preissrage zu setzen: „Wie der Noth der im dramatischen
Fach arbeitenden Klaffe abgeholfen werden könne?" Wer sich mit diesenr
Hauptzweige der Poesie auch nur oberflächlich befreundete, muß bemerkt
haben, daß im letztenDezennium vorzüglich sogenannte „T end e nz stücke"
erzeugt wurden, das ist: dramatisirte Verherrlichungen oder Verspottungen
irgend einer politischen Jdee. Die Tendenzstücke waren gleichsam die Vor-
boten der kommenden Bewegung, der Enthusiasmus, womit viele derselben
begrüßt wurden, waren sichere Kennzeichen, daß die darin veranschaulich-
ten Gedanken wirklich in der Zeit und im Volke lebten. „Der deütsche
Krieger" wirkte als Ausvruck des nationalen DrangeS; „Moritz v. Sach-
sen" errang als Apothose der Freiheitsbestrebungen seine Geltung; „Die
Karlsschüler" verkörperten die allgemeinen Wünsche nach vorurtheilsloser
Erziehung und nach Rede- u. Preßsreiheit. „Uriel Aceosta" entzündete
die Herzen als Vertreter der Gewissensfreiheit. So wurden dieTendenz-
spiele und der sie begleitende stürmische Applaus zu fortgesetzten lebendi-
gen Volksadvressen, worin die Wünsche und Bevürfnisse der Zeit in mög-
lichst anziehender Fvrm niedergelegt waren, und je nachdem eben hohe
Häupter in ihren angestammten Logen verweilten, konntcn selbe auch zu-
gleich direkt zu den Ohren der Machthaber gelangen. Leider hat die Ver-
muthung Raum gewonnen, daß Fürsten nicht geneigt sind, sich nach poe-
tischen Ermahnungen zu richten. Das Jahr 1848 hat die Musen von
der ungewohnten politischen Last entbunden; der Vorhang im Welttheater
selbst rollte empor; die srüher über Alle verbreitete Atmosphäre zertheilte
zurn Münchener Punsch III. Band.
Sonntag. 35. 1. Sept. 185V.
Woher die gegenwärti'ge Armuth an dramatischen
Erzeugnissen?
Es wäre fast wieder ei'ne königliche Prämie von 500 Dukaten auf
die Lösung der Preissrage zu setzen: „Wie der Noth der im dramatischen
Fach arbeitenden Klaffe abgeholfen werden könne?" Wer sich mit diesenr
Hauptzweige der Poesie auch nur oberflächlich befreundete, muß bemerkt
haben, daß im letztenDezennium vorzüglich sogenannte „T end e nz stücke"
erzeugt wurden, das ist: dramatisirte Verherrlichungen oder Verspottungen
irgend einer politischen Jdee. Die Tendenzstücke waren gleichsam die Vor-
boten der kommenden Bewegung, der Enthusiasmus, womit viele derselben
begrüßt wurden, waren sichere Kennzeichen, daß die darin veranschaulich-
ten Gedanken wirklich in der Zeit und im Volke lebten. „Der deütsche
Krieger" wirkte als Ausvruck des nationalen DrangeS; „Moritz v. Sach-
sen" errang als Apothose der Freiheitsbestrebungen seine Geltung; „Die
Karlsschüler" verkörperten die allgemeinen Wünsche nach vorurtheilsloser
Erziehung und nach Rede- u. Preßsreiheit. „Uriel Aceosta" entzündete
die Herzen als Vertreter der Gewissensfreiheit. So wurden dieTendenz-
spiele und der sie begleitende stürmische Applaus zu fortgesetzten lebendi-
gen Volksadvressen, worin die Wünsche und Bevürfnisse der Zeit in mög-
lichst anziehender Fvrm niedergelegt waren, und je nachdem eben hohe
Häupter in ihren angestammten Logen verweilten, konntcn selbe auch zu-
gleich direkt zu den Ohren der Machthaber gelangen. Leider hat die Ver-
muthung Raum gewonnen, daß Fürsten nicht geneigt sind, sich nach poe-
tischen Ermahnungen zu richten. Das Jahr 1848 hat die Musen von
der ungewohnten politischen Last entbunden; der Vorhang im Welttheater
selbst rollte empor; die srüher über Alle verbreitete Atmosphäre zertheilte