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Zachariae, Theodor
Kleine Schriften zur indischen Philologie, zur vergleichenden Literaturgeschichte, zur vergleichenden Volkskunde — Bonn, Leipzig, 1920

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https://doi.org/10.11588/diglit.50105#0339

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Sterbende werden auf die Erde gelegt. 325
die mittelalterliche Volksmedizin betreffenden Auszug gegeben hat,
bemerkt er auf S. 619: ,Interessant ist es hier zu beobachten, wie
frühere kirchlich geheiligte Sitten allmählich aus der Öffentlichkeit
verschwinden, dagegen heimlich im Dienste von Magie und Aber-
glauben noch fortleben. So haben wir gesehen, daß es in der ersten
Periode [600 —1200] allgemein frommer Brauch war, die Sterbenden
vom Bette zu heben und auf dem Boden liegend ihre Seele aus-
hauchen zu lassen. Im 14. Jahrhundert wurde dies nach und nach
als rohe Grausamkeit erkannt und aufgegeben, erscheint aber im
15. Jahrhundert unter den Superstitionen. Denn wenn ein Kranker
nicht sterben kann, heißt es in obiger Predigt, so decken aber-
gläubische Leute das Dach über ihm ab1 und heben ihn aus dem
Bette, weil sie sagen, daß die Feder irgendeines Vogels darin sei,
die ihn zu sterben verhindere, aber infolge davon töten sie ihn?
Die Worte stammen, wie Cruel S. 618 angibt, aus den Sermones
dominicales super Epistolas Pauli (Pars I. s. hyemalis, Nr. 47) des
Gottschalk Hollen oder Holen. Bemerkenswert und in der Literatur
hier vielleicht zum erstenmal vorkommend ist der Glaube2, daß die
im Bett befindlichen Federn den Kranken nicht sterben lassen. Wie
dieser Glaube entstanden ist, zeigt Rochholz, Deutscher Glaube und
Brauch 1, 169: ,Aus dem Heidenbrauche, im Verscheiden auf der
nackten Erde oder auf einem Bund Stroh liegen zu sollen, hat sich
die Volksmedizin ihre weitverbreitete Satzung gebildet, daß man
auf Federn liegend nicht sterben könne. Diese Lehre findet
sich schon in den medizinischen Schriften des 16. Jahrhunderts und
hat in Ländern ohne Salubritätsaufsicht ihre ausnahmslose Geltung.
Wende und Serbe pflegt jeden Sterbenden aus dem Bette zu nehmen
und auf Stroh zu legen.3 Bei Letten und Esten wird er auf die
Erde gelegt, damit man ihm so ‘zum Tode verhelfe’. Kruse4 mußte
dies zu Dorpat an seinem eigenen Diener mitansehen, der krank
1) Schwerlich richtig. Im Original lautet die Stelle nach dem Hagenauer
Druck 1519: (Item) cum infirmus non potest mori cooperiunt tectum super eum.
leuant eum de illo lecto: dicentes quod ibi est penna alicuius auis que non
permittit eum mori: sed per consequens occidunt eum.
2) Vgl. sonst Wuttke § 723. Weinhold, Ztschr. d Vereins für Volkskunde
11, 221. Drechsler, Sitte, Brauch und Volksglaube in Schlesien 1, 290. Irischer
Glaube bei Dieterich, Mutter Erde S. 27. Grohmann, Aberglauben und Gebräuche
aus Böhmen und Mähren 1 Nr. 1317 : Auf Vogelfedern stirbt der Mensch sehr schwer.
3) Haupt-Schmaler, Wendische Volkslieder 2, 251.
4) Friedrich Kruse, Urgeschichte des estnischen Volksstammes, Moskau
1846, S. 133.
 
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