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Zachariae, Theodor
Kleine Schriften zur indischen Philologie, zur vergleichenden Literaturgeschichte, zur vergleichenden Volkskunde — Bonn, Leipzig, 1920

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https://doi.org/10.11588/diglit.50105#0344

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Das Dach, über einem Sterbenden abdecken.

43. Das Dacli über einem Sterbenden abdecken.
(Zeitschrift des Vereins für Volkskunde 18, 442 — 446. 1908.)
Im Archiv für Religionswissenschaft 9, 540 Anm. 1 habe ich
aus Gottschalk Hollens Sonntagspredigten (I, Nr. 47) die folgende Stelle
ausgehoben: ,Cum infirmus non potest mori cooperiunt tectum super
eum. leuant eum de illo lecto etc.‘ — Wie ich im 11. Bande des-
selben Archivs S. 152f. bemerkt habe, hat Franz Jostes in der Zeit-
schrift für vaterländische Geschichte und Altertumskunde 47, 1, 96
(Münster 1889) an dem Worte ,tectum4 in dem Satze ,cooperiunt
tectum super eum4 Anstoß genommen. Er meint, aus dem ,illo4 des
nachfolgenden Satzes gehe hervor, daß ,tectum4 statt ,lectum‘ ver-
druckt ist. Jostes liest also ,cooperiunt lectum super eum4 und
übersetzt, allerdings zweifelnd: ,sie hängen das Bett oben ganz zu4.
Ob der Grund, den Jostes für seine Änderung angibt, stichhaltig
ist oder nicht, vermag ich nicht zu beurteilen. Jedenfalls steckt
der Fehler nicht da, wo ihn Jostes vermutet: in dem Worte ,tectum4,
sondern in cooperiunt. Das genaue Gegenteil ist richtig: dis-
cooperiunt tectum super eum. Denn das Abdecken des Daches
über einem Kranken, der nicht sterben kann, dem man das Sterben
erleichtern oder dessen Tod man beschleunigen möchte, ist eine
ziemlich weit verbreitete abergläubische Handlung. Das werde ich
am Schluß dieses Artikels zeigen. Zunächst sei nochmals darauf hin-
gewiesen, daß R. Cruel1 in seiner Geschichte der deutschen Predigt
S. 619 übersetzt: ,sie decken das Dach über ihm ab4. Wie geht
das zu? Sollte nicht Cruel die richtige Lesart discooperiunt vor sich
gehabt haben? Hat ihm eine andere Ausgabe2 von Hollens Pre-
digten vorgelegen als die, die’ von Jostes und mir selbst benutzt
worden ist? Man kann sich doch kaum denken, daß Cruel co-
operire mit ,abdecken4 wiedergegeben hat. Aber dem sei wie ihm
wolle: wir sind keineswegs genötigt, zu einer Konjektur unsere Zu-
flucht zu nehmen und die Lesart discooperiunt nur aus dem Grunde
1) Es ist auffällig, daß Jostes die von Cruel gegebene Übersetzung gar
nicht berücksichtigt.
2) Außer der von mir benutzten Ausgabe der Sermones (Hagenau 1519 — 20;
der genaue Titel bei Fl. Landmann, Das Predigtwesen in "Westfalen 8. 31) existiert
in der Tat noch eine andere, ältere, mit dem Titel: Opus Sermonum dominicalium
de Epistolis per anni circulum etc., Hagenau 1517. Sie ist von Grane benutzt
worden (The Exempla of Jacques de Vitry ed. by Th. Fr. Crane, London 1890,
p. LXV1I. Vgl. auch Th. Kolde, Die deutsche Augustiner-Congregation, Gotha
1879, 8. 200 Anm.). Ob sie aber von der Ausgabe, die 1519 — 20 gedruckt
wurde, wesentlich verschieden ist, kann ich nicht feststellen.
 
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