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Zachariae, Theodor
Kleine Schriften zur indischen Philologie, zur vergleichenden Literaturgeschichte, zur vergleichenden Volkskunde — Bonn, Leipzig, 1920

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https://doi.org/10.11588/diglit.50105#0333

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Zur Erzählung ,Baumerhe‘.

319

er sich ausgebe: der Sohn jenes reichen verstorbenen Mannes. ,Gewiß
bin ich es1, erwiderte jener, ,wie hat der Verstorbene mich geliebt, wie
ich ihn, und all sein Gut hat er mir hinterlassen/ Auf die Bemerkung
des Richters, daß er für seine Behauptungen Beweise beibringen solle,
kennt er ganz gut die juridische Regel, daß der Fordernde den Beweis
für die Richtigkeit seiner Forderung beizubringen habe. Da gibt der
Richter beiden auf, Zeugen für ihre Dependenz zu bringen, doch soviel
ein jeder sich auch Mühe gibt, keiner kann dieser Aufforderung genügen.
Wie sie nun wieder vor dem Richter, aber ohne Zeugen, erscheinen,
fragte dieser: ,Wer weiß das Grab des Verstorbenen?1 ,Ich‘, entgegnete
der Sklave, ,habe ich ihn ja mit aller Pracht bestatten lassen und bin
daher wohl imstande, das Grab anzugeben/ ,Gut, so lasset uns zum
Grabe jenes Abscheulichen hingehen, der pflichtvergessen die Seinigen
ohne Verfügung über sein Vermögen hinterlassen, und so Zank und
Streit zurückgelassen hat; aus dem Grabe wollen wir seine Ge-
beine schleudern und sie verbrennen.- Der Sklave war mit diesem
Richterspruch einverstanden, doch der wahre Sohn schrak zurück und
sprach: ,Gott bewahre, mag jener alle Reichtümer behalten, ehe ich
zugebe, daß meines Vaters Grab und Gebeine geschändet werden!1 ,Jetzt
sehe ich1, begann nun der Richter zu diesem gewendet, ,daß du der
wirkliche Sohn bist; geh, tritt deine Erbschaft an und jener Bösewicht
sei verurteilt, dir lebenslänglich als Sklave zu dienen!1

39. Zur Erzählung , Baumerbe * (Gesta nr. 196).
(Zeitschrift des Vereins für Volkskunde 26, 85 — 88. 1916.)
In meinem Aufsatz über ,ein salomonisches Urteil1 oben 25,
314ff. habe ich gezeigt, daß der Streit der Söhne (eines Königs)
nm das Baumerbe in zwiefacher Weise entschieden wird: einmal
durch eine Blutprobe, dann dadurch, daß die Söhne genötigt
werden, auf den Leichnam des Vaters zu schießen. Es gibt aber
noch eine dritte Lösung. Diese findet sich in einer Erzählung der
Scala celi des südfranzösischen Dominikaners Johannes Gobii iunior.1
Ich bedaure sehr, diese Erzählung, die ich hier nachträglich mit-
teilen will, übersehen zu haben. Zu meiner Entschuldigung kann
ich vielleicht anführen, daß Oesterley, der die Scala celi in den
Nachweisungen zu den Gesta Romanorum sonst oft genug zitiert,
1) Über die Scala celi und ihren Verfasser vgl. jetzt A. Hilka in den Bei-
trägen zur Sprach- und Völkerkunde (Festschrift für Alfred Hillebrand!) 1913,
S. 54 —CO.
 
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