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Zachariae, Theodor
Kleine Schriften zur indischen Philologie, zur vergleichenden Literaturgeschichte, zur vergleichenden Volkskunde — Bonn, Leipzig, 1920

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https://doi.org/10.11588/diglit.50105#0341

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Einem Sterbenden das Kopfkissen wegzielien.

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Kranken herbeigeführt werde, findet sich bereits in Jörg Wick-
rams Rollwagenbüchlein, Kap. 92, in den beiden Ausgaben vom
Jahre 1557 (= Kap. 76 in Karl Panniers Auswahl; Reclams Universal-
bibliothek Nr. 1346): ,Von einem, den sein eigener vatter in seiner
kranckheit nit wolt zu im lassen1. — Zu Kaisersberg im Elsaß
wohi» ein alter Priester. Der verfiel in eine schwere Krankheit.
Er war ganz heruntergekommen und lag in seinen letzten Zügen,
, tribe auch das auff drey gantz tag, das er weder sterben noch ge-
nesen kund4. Sein Pfleger stand eines Tages vor der Haustür, um
frische Luft zu schöpfen. Da ging ein Weinschröter, ein großer
Spottvogel, vorüber und fragte den Pfleger, ob der Priester noch
nicht verschieden wäre. Als diese Frage verneint wurde, verlangte
der Weinschröter den Kranken zu sehen. Also gingen sie mitein-
ander zu dem Kranken. Als der unnütze Vogel des Kranken an-
sichtig wurde, sagte er: , Laß mich machen, ich will ihm bald von
der Marter helfen4. Damit zog er dem Kranken das Kissen,
so er unter seinem Haupte hatte, ,gantz frevenlieben4 hin-
weg; von Stund an verschied der Kranke. Bald darauf begab sichs,
daß des Weinschröters eigener Vater tödlich erkrankte, also daß man
auch seiner warten und bei ihm wachen mußte. Als nun sein Sohn
zu ihm kam, um bei ihm zu wachen, begann der Vater laut zu
schreien: ,Hinaus, du Bube, geh nur nicht zu mir, du wirst mir
sonst auch das Kissen unter dem Kopf hinwegziehen4. Also
mußte er hinweg und durfte bei seinem eigenen Vater nicht bleiben.
Professor Bolte, der die Güte hatte, mich auf diese Erzählung
aufmerksam zu machen, verweist in seiner Ausgabe von Wickrams
Rollwagenbüchlein (Bibliothek des literarischen Vereins in Stutt-
gart, Bd. 229) S. 389 ganz richtig auf Wuttke, Der deutsche Volks-
aberglaube 1869 § 723.
Ich gestatte mir noch zwei Nachträge zu meinem Artikel über
das Niederlegen eines Sterbenden auf den Boden und das Wegziehen
des Kopfkissens (oben IX, 538 — 541) zu geben. Zunächst möchte ich
eine briefliche Mitteilung über elsässische Sitten und Anschauungen
zum Abdruck bringen, die ich dem Pariser Orientalisten Auguste
Barth, einem geborenen Elsässer, verdanke. Mein Gewährsmann
schreibt:
,En Alsace, au temps de mon enfance, dans les campagnes et
aussi, parmi le peuple, dans les villes, eile [la coutume de deposer
les mourants sur le sol garni de paille] ne se pratiquait plus que
sous une forme adoucie et pour les morts, non pour les mourants.
 
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