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Zeitschrift für christliche Kunst — 5.1892

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Prill, Joseph: Gothisch oder Romanisch?: Briefe an einen Freund, [7]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4357#0099

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145

1892. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 5.

I4G

modernen, in denen hundert Stile zur Anwen-
dung kommen? Dafs manches geistlose Erzeug-
nifs moderner Gothik uns anekelt, gebe ich
gerne zu, aber ekelt es uns denn deshalb an,
weil es gothisch ist, oder nicht vielmehr, weil
sein Erzeuger die Gothik nicht verstand und
nur ihre äufsere Formensprache radebrechte?
Dafs die Abwechslung über den einen Stil hin-
aus ein Erfordernifs der Kunst sei, mufs also
noch erst bewiesen werden.

3. Uebrigens würde der romanische Stil nicht
einmal eine wesentliche Bereicherung bieten. Be-
trachten wir den Grundrifs! Die vom Quadrat
beherrschte romanische Grundrifsanlage ist im
gothischen Stil auch anwendbar, aber aufser die-
ser einzigen des romanischen kann der gothische
Stil deren noch sehr viele im mannigfaltigsten
Wechsel entwerfen, da er eben den Ausgang,
das Grundmafs für seine Verhältnisse frei wählen
kann. Nehmen wir ein Langschiff in quadra-
tischer Grundform! Der romanische Grundrifs
ist gegeben. Mittelschiff 2 Quadrate von der
halben Breite des Ganzen, Seitenschiff halb so
breit als das Mittelschiff, mit je 4 Quadraten.
Aber in der Gothik? Zunächst der gleiche Grund-
rifs, dann im Mittelschiff statt der 2 Quadrate
4 Rechtecke, deren schmale Seite 1/i der Mittel-
schiffbreite beträgt, dann Eintheilung der Länge
in drei Theile, dann Wechsel des Verhältnisses
zwischen Mittel- und Seitenschiff bis zum glei-
chen Betrage der drei Mafse: welch' reiche
Mannigfaltigkeit! Und wie ist's im Aufbau?
Während die im romanischen Stil möglichen
Veränderungen schnell erschöpft sind, ist die
Gothik schier unerschöpflich. Der eckige, durch
Vorlagen gegliederte Aufbau der Pfeiler, wie er
dem ausgebildeten romanischen Stil eigen ist,
ist auch hier anwendbar, besonders im Ziegelbau,
daneben aber der runde Pfeiler mit und ohne
Dienste in mannigfaltigster Ausbildung. Aehn-
liches gilt von den Fenstern. Im romanischen
Stil das einfache Rundbogenfenster, später ge-
kuppelte Fenster — denn die halben Rad-, die
Lilienfenster u. dergl. sind nur Spielereien —
das ist alles, was der Stil an Abwechslung bieten
kann. In der Gothik einfache Fenster und gekup-
pelte, darüber hinaus aber die an Abwechslung
niemals zu erschöpfende Anordnung von pfosten-
getheilten Oeffnungen mit Mafswerk. Aehnliches
läfst sich sagen von den gegenseitigen Verhält-
nissen der einzelnen Theile zu einander, der
Höhengliederung u. s. w. Kurz, als die folge-

richtige, bis zum Schlüsse verfolgte Entwicke-
lung des im romanischen Stil auftauchenden
Grundgesetzes hält die Gothik das konstruktiv
Richtige des romanischen Stils fest, besitzt aber
aufserdern eine unerschöpfliche Mannigfaltigkeit
von Formen, die demselben noch nicht zu Ge-
bote standen. Was bleibt da als spezifisch ro-
manisch denn noch anderes über, als einige
Zierformen, die dem Ganzen gegenüber nicht
von entscheidender Wichtigkeit sind und —
einige Unvollkommenheiten, die nachzuahmen
doch schwerlich gerechtfertigt sein kann? Wir
bedürfen also des romanischen Stils gar nicht
zur Erzielung der Mannigfaltigkeit.

4. Aber noch mehr. Ich behaupte, dafs er
derselben geradezu hindernd in den Weg tritt.
Bauten wir nur in einem Stile, so würden die
Baukünstler unzweifelhaft diesen einen Stil tiefer
durchdringen, als es jetzt, wenigstens bei denen,
die nach Bedarf in allen Stilen bauen, der Fall ist.
Dann würden sie aber auch befähigt sein, neuen
Gedanken in dem Stile Ausdruck zu verleihen
und sie würden Anregung finden, einen solchen
Ausdruck zu suchen. Wie ist's aber jetzt? Irgend
ein Schema wird zunächst im gothischen Ge-
wände vorgeführt. Eine ähnliche Aufgabe tritt
an den Architekten heran. Anstatt eine neue
Entwickelung des Gedankens zu suchen, macht
er sich die Sache bequem und wiederholt seinen
alten Plan, indem er, was früher spitz war, rund
macht, und nun ist's ein „romanisches" Bau-
werk. Wenn ich hier von einem Architekten
spreche, so mufs ich allerdings hinzufügen, dafs
oft die Schuld an ganz anderer Stelle liegt. Die
Geistlichen haben zum Theil für die richtigen
Grundsätze auf dem Gebiete der Kunst gar kein
Verständnifs. Ich glaube, nichts kann den that-
sächlichen Zustand besser kennzeichnen, als eine
Antwort, die mir vor kurzem ein Architekt gab,
der, obwohl der Gothik zugethan, einen „roma-
nischen" Entwurf anfertigte. Auf meine Frage,
wie er sich dazu verstehen könne, antwortete
er: Der Herr Pfarrer bildet sich nun einmal ein,
der romanische Stil sei billiger und will sich nicht
belehren lassen, da baue ich doch lieber roma-
nisch, als dafs mir die Arbeit ganz entgeht."

5. Uebrigens kommt mir dieses Rufen nach
Abwechslung wie ein Ergebnifs purer Gedanken-
losigkeit vor. Was kümmert es mich in Essen,
wenn schliefslich in Malmedy oder Königswinter
eine ähnliche Kirche steht, wie hier? Die Kirchen
sind doch für die Bewohner des Ortes da, nicht
 
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