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Zeitschrift für christliche Kunst — 22.1909

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Kleinschmidt, Beda: Eine Elfenbeinschnitzerei mit der Himmelfahrt Mariä aus der sog. Metzer Schule
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https://doi.org/10.11588/diglit.4153#0017

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1909. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 1.

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Szene zeigt den Meister nicht auf ausgetretenen
Wegen. Statt die Apostel über- oder neben-
einander zu stellen, wie es sonst wohl ge-
schieht, bemüht er sich, sie perspektivisch
hintereinander zu gruppieren, so daß in der
vorderen Reihe nur vier Apostel und Maria
in voller Figur zu sehen sind. Freilich geht
sein Wollen über sein Können. Die Aus-
führung der zurückgestellten Personen ist ihm
nicht recht gelungen, überhaupt versteht er
nicht, den einen Arm unter dem faltenreichen
Mantel richtig anzubringen. Doch hat er sich
wohl gehütet, jene
simple Weise zu
wählen, die auf

Elfenbeinwerken
und besonders bei
Miniaturen fast all-
gemein üblich ist,
von den zurück-
stehenden Perso-
nen nur den Kopf
oder gar nur den
Schädel zu zeigen.
Er bietet uns auch
von diesen Per-
sonen wenigstens
den Oberkörper.
Ferner welche Ver-
schiedenheit in der
Behandlung der
Affekte! Während
der eine Apostel mit
erhobener Rechten
seine Genossen auf
das Mirakel hin-
weist, folgen drei
mit ihren Blicken
der emporschwe-
benden Gottesmutter, zwei von ihnen schützen
mit der Hand die Augen vor dem blendenden
Lichte, das von oben herniederströmt, ein
auch sonst häufig auf Elfenbeinschnitzwerken
vorkommendes Motiv.'4) Ein vierter Apostel
breitet, überwältigt von Staunen und Bewunde-
rung, die Arme weit aus, wobei er fast den
Fuß Mariens berührt. Derjenige Apostel,
welcher mit dem Rücken der heiligen Jungfrau

Elfenbeinrelief des X. Jahrb. (Sammlung Schnütgen.)

") Vergl. z. B. die schöne byzantinische Elfenbein-
platte mit der Himmelfahrt Christi in Stuttgart, Abb.
bei Heide loff, »Die Kunst des Mittelalters in
Schwaben«, (Stuttgart 1853), Taf. 9.

zugewandt ist, scheint mit dem letzten dieser
linken Gruppe eine ernste Frage zu erörtern.
Am auffallendsten in der Darstellung ist
die Erscheinung der heiligen Maria, welche
anscheinend im lebhaften Gespräche mit einem
Apostel von imponierender Kopfbildung be-
griffen ist, drei andere Apostel nehmen nur
indirekt an dem Gespräche teil, einer unmittel-
bar hinter ihr, zwei rechts von ihr. In dieser
eigentümlichen Darstellung liegt vorzugsweise
die Bedeutung unserer Platte, die in ikono-
graphischer Hinsicht wohl geradezu als ein

Unikum bezeichnet
werden darf. Für
die körperliche Auf-
nahme Mariens in
den Himmel hat
nämlich die karo-
lingisch-romanische
Kunst einen zwei-
fachen Typus:16)
entweder wird

Maria in Oranten-
darstellung von
Engeln in den
Himmel emporge-
tragen ohne Rück-
sicht auf den Ter-
minus a quo, oder
ihre Aufnahme er-
folgt vom Grabe
aus, letztere Dar-
stellung ist deutlich
erst seit dem An-
fange des XII. Jahr-
hunderts nachweis-
bar. Das bekann-
teste Beispiel des
ersten Typus ist
die dem Mönch Tutilo (f 912) von St. Gallen
zugeschriebene Elfenbeintafel ;16) Maria, mit
doppeltem Gewände und Kopfschleier bekleidet,
hat die Hände in Orantenweise erhoben, die

") Sinding, »Mariae Tod und Himmelfahrt«.
Ein Beitrag zur Kenntnis der frühmittelalterlichen
Denkmäler, (Christiana 1903), S. 36 ff. Vergl. auch
Male, »Die kirchliche Kunst des XIII. Jahrh. in
Frankreich«, (Straßburg 1907), S. 289.

16) Mantuani, »Tutilo und die Elfenbein-
schnitzerei«, (Straßburg 1900), S. 49. Gute Abbild,
bei Molinier, »Jvoires« (Paris 1896), pl. X. Daß
hier nur die Aufnahme der Seele und nicht auch des
Körpers dargestellt ist, wie Sinding annehmen möchte
; (S. Sl), halte ich für unbegründet.
 
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