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Zeitschrift für christliche Kunst — 22.1909

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Braun, Joseph: Ein merkwürdiges Parament im Schatz der Marienkirche zu Danzig
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https://doi.org/10.11588/diglit.4153#0187

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279

1909.

ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 9.

280

Ein merkwürdiges Parament im Schatz der Marienkirche zu Danzig.

(Mit Abbildung.)
n dem durch seinen Reichtum an

spätmittelalterlichen Kasein, Dal-
matiken, Pluvialien usw. an erster
Stelle stehenden Schatz von St.
Marien zu Danzig befindet sich in größerer
Zahl auch das nebenstehend abgebildete Para-
ment. Alle bestehen aus einem ca. SO cm
breiten, ca. 40 cm hohen Leinentuch, das mit
zwei oder drei vertikal verlaufenden Zierstreifen
geschmückt, an den Seilen mit
einem schmalen Börtchen einge-
faßt, oben auf ca. 10 cm zu-
sammengefältelt und an einem
dreieckigen, mit den beiden oberen
Seiten einen gotischen Bogen
bildenden Kopfstück befestigt ist.
Bei dem abgebildeten Beispiel
bestehen die Zierstreifen aus rotem
flandrischen Goldbrokat; das
Kopfstück itt mit rotem Gold
brokat überzogen, dessen Samtflor
mit Goldfrise durchmischt ist. An
der Spitze des Kopfstückes bildet
das als Einfassung desselben
dienende Börtchen eine Schleife
zum Aufhängen des Paraments.
Über den Charakter und die
Verwendung des Paraments sind
verschiedene Vermutungen ausge-
sprochen worden. So hat man in
ihm einen sog. Pannisellus oder
das Sudarium erkennen wollen,
welches den Bischofs- und Abtstab
zu schmücken pflegte. Doch hat
man nicht bedacht, daß gegen
eine solche Deutung erstens die
große Zahl des fraglichen Paraments spricht,
und daß zweitens die Marienkirche nie Kathe-
drale oder Abteikirche war. Andere haben
in ihm einen Manipel gesehen, offenbar in
völliger Unkenntnis des spätmittelalterlichen
Manipels, für den doch gerade der Schatz
von St. Marien zahlreiche treffliche Beispiele
enthält. Auch an das Manutergium ist ge-
dacht worden, welches nach weitverbreitetem
spätmittelalterlichen Brauch am Missale an-
gebracht wurde. Allein dieses Manutergium
diente ähnlichen Zwecken wie heute das
Schweiß- oder Taschentuch, bei dem uns hier
beschäftigenden Parament aber kann ange-

sichts seiner Beschaffenheit offenbar von einer
solchen Bestimmung unmöglich die Rede sein.
Endlich hat man in dem eigenartigen Stück
ein Lavabotüchlein erkennen wollen, daß man
mit der Schleife am oberen Ende am Altar-
tuch befestigt hätte, doch verbietet, wie kaum
gesagt zu werden braucht, auch eine solche
Annahme seine Ausstattung.

Welchem Zwecke das Parament einst diente,
und welchen Charakter es hatte,
ergab sich mir bald, als ich ver-
schiedene Exemplare desselben
einer etwas näheren Untersuchung
unterzog. Auf allen gewahrte ich
Wachsflecken, wie sie durch herab-
träufelndes Wachs verursacht
werden. Es muß sich also bei
dem Parament entweder um einen
Zierbehang von Kerzenleuchtern
handeln, Trag- oder Standleuch-
tern, oder um ein Zierstück, das
Kerzenträger bei Prozessionen an
der Hand oder Kerze befestigten.
Die Behänge stammen wie
d.is Dessin des zu ihren Zier-
streifen und zum Kopf verwendete
Goldbrokats bekundet, aus dem
Beginn des XVI. Jahrh. Der
Umstand, daß auch sie, wie die
übrigen Paramente der Marien-
kirche bei der Einführung der
neuen Lehre beiseite gelegt wurden
und dann ganz in Vergessenheit
gerieten, hat sie auf unsere Tage
kommen lassen, als ein Beispiel
eines eigenartigen Leuchter- oder
Kerzenschmuckes aus der Wende des Mittel-
alters. Wie weit der Gebrauch solcher Zier-
behänge im Osten verbreitet war, ließ sich
nicht feststellen. In den ermländischen Inven-
taren des XVI. Jahrh. ist nur einmal von
strophiola an Leuchtern die Rede, in dem
Inventar von Mehlsack aus dem Jahre 1581,
in dem es bei Aufzählung der zum Hoch-
altar gehörenden Gegenstände heißt: Altare
majus . . . habet candelabra aurichalca cum
appendentibus strophiolis 4.')

Luxemburg. Jos. Braun J. S.

J). Fr. H i ppl er, »Die ältesten Schatzverzeichnisse
der ermländischen Kirchen c. (Braunsberg 1886.) S. 66.
 
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