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Zeitschrift für christliche Kunst — 25.1912

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Witte, Fritz: Die Stellung der Kirche zur Modernen
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https://doi.org/10.11588/diglit.4342#0015

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Abhandlungen.

Die Stellung der Kirche zur

Modernen.1)

jine Zeitschrift, die neben wissen-
\ schaftlichen Untersuchungen über
| die Werke alter Kunst auch die
\ Pflege der Zeitkunst, soweit sie in
S irgendeinem Zusammenhange mit
der Religion bzw. Kirche steht, zu
ihrer Aufgabe gemacht hat, ist ge-
nötigt, von Zeit zu Zeit ihren Lesern
einen Rückblick und einen Ausblick in summa-
rischer Kürze zu geben. Das ist keine gerade
dankbare Aufgabe. Einmal ist es schwer,
einen möglichst neutralen Standpunkt zu finden,
von dem aus den nun einmal stets bestehen-
den zwei Parteien ein pro und contra vor-
getragen werden kann, ein andermal fühlt sich
der Subjektivismus in der Beurteilung zeit-
genössischer Kunstströmungen stets doch etwas
in der Balance, in Unsicherheit darüber, ob
das auch alles Bestand haben wird, was er
heute findet und gepriesen sieht.

Anderthalb Jahrtausend fast hat die Kirche
sorgsamst Mutterpflichten erfüllt an der Kunst,
unmittelbar nach der Geburt fast Gastrecht im
eigenen Hause ihr gewahrt, sie durch alle
Altersstufen an der Hand geführt, bis eine
neue Äußerung des dem bedeutsameren Teile
eines Volkes gemeinsamen Fühlens und Wolfens,
seine neue Gebärde, seine neue Haltung, d. h.
kurz gesagt, sein neuer Stil den Vorgänger
ablöste. Die veränderten Lebensbedingungen
und Lebensziele einer Zeit liest man zumeist
mit Leichtigkeit ab von ihrem Stile, und selbst
feinere Nuancen derselben treten aus ihm in
die Erscheinung. Wenn dabei die mittelalter-
lichen Stile selbst in ihrem Auftreten im
Privatleben einen Stich ins Religiöse, Kirch-
liche zeigen, so nimmt das nicht wunder,
wenn man weiß, daß kirchliches und privates
Leben in den in Frage stehenden Jahrhunderten
nicht eigentlich nebeneinander sich abspielen,

') Mehrere der hier vorgetragenen Anschauungen
stehen derart im Vordergrunde der öffentlichen Dis-
kussion, daß sie hier, zumal in ihrer maßvollen Fassung,
von der Redaktion nicht beanstandet werden durften, ob-
wohl sie von ihr nicht in alleweg geteilt werden. D. R. \

als vielmehr über das Verhältnis eines ein-
fachen Kontaktes hinaus in einer gewissen
geistigen Gütergemeinschaft zueinander stehen.
Ich wüßte nicht, an welcher Stelle der Kunst-
geschichte eine wirklich sprunghafte Weiter-
entwicklung nachzuweisen wäre, die Zeit-
genossen werden sowohl wie wir bei erstmals
sich äußernden Umwälzungen in der Formen-
sprache die Existenz-Berechtigung und Fähig-
keit einmal angezweifelt, ein andermal ein-
geräumt haben. Recht behielten dabei die,
welche das letztere taten. Heute stehen wir,
wie es scheint, an einem solchen Wende-
punkte, und sicher ist, daß das, was wir
„Moderne" nennen, Bestand und Zukunft hat,
sofern es ungeschminkte, wahrhafte Äußerung
einer etwaigen neuen Lebensauffassung, eines
Volkswillens ist und nicht etwa eine Suggestion
eines verschwindend kleinen Häufleins von —
sagen wir Sonderlingen der Lebenskunst. Oder
haben wir unrecht? Ist die Macht und Kraft
des Allgemein-, des Volkswillens nicht mehr
so elementar wirkend und gestaltend wie früher,
bestimmt heute eine Klasse Auserwählter die
Formen, in denen unsere eigene Zeit zu uns
spricht? Wir können nicht leugnen, daß auf
dem Gebiete der uns beschäftigenden Kunst
die Künstler auch stets zuerst die neue
Sprachgrammatik schrieben. Ich weiß nur
nicht, ob der realen Berührungspunkte zwischen
Künstler und Alltagsmensch einstmals mehr
waren als heute, ob ersterer also nicht auch
eher berechtigt war, der Sprecher seiner Zeit
zu sein, als die Künstler unserer Zeit. Somit
wäre es ein gewiß törichtes Unterfangen, wollte
man der eigenen Zeit die Berechtigung einer
neuen Ausdrucksform streitig machen. Darf
diese selbe Zeit aber ihren, den neuen Stil
suchen? Ein neuerStil warund ist ein
mit zwingender Notwendigkeit sich
aufdrängendes Ergebnis einer tief-
gehenden Umwälzung, er kommt, er
läßt sich aber nicht rufen, und erist
da, sobald seine Erscheinungsformen
beginnen, Gemeingut, gebräuchlich
im eigentlichen Sinne zu werden. Dar-
nach mag der einzelne ermessen, ob wir ihn
haben, den eigenen Stil, oder ob er im Früh-
lingskeimen steckt. Der wird ihn zuerst sehen
und finden, der zuoberst steht, dessen Auge
 
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