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Zeitschrift für christliche Kunst — 25.1912

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Witte, Fritz: Zur Frage nach der Bedeutung der Wallfahrtsbilder für die Stilentwicklung
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https://doi.org/10.11588/diglit.4342#0222

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397

1912. — ZEITSCHRIFT KÜR CHRISTLICHE KUNST - N> 12.

398

Zur Frage nach der Bedeutung der Wallfahrtsbilder für die Stilentwicklung.

(Mit 7 Abbildungen.)

Unterschiede zwischen den beiden Bildern
sollen vorweg zugestanden werden, darunter
in erser Linie die Nacktheit des Christkindes
beim Maastrichter Exemplar, dahingegen das

1. Madonna im K aiser-Friedrich -
Museum zu Berlin, eine gleichzei-
tige Nachbildung des Gnadenbildes
U. I. F. „Ster der zee" in Maastricht.

n den Fragen der gegenseitigen
Stilbeeinflussung in den unteren
Rheingegenden und den Nachbar-
ländern tappen wir trotz mehr-
facher Lösungsversuche noch unangenehm im
Dunkeln. Immer wieder tauchen gerade auch
auf dem Gebiete der Plastik bedeutsame Stücke
auf, welche die eine oder andere Hypothese
ins Wanken bringen wollen1).

Es liegt nahe, und hin und wieder ist be-
reits darauf hingewiesen worden, daß gerade
die im Mittelalter beliebten Wallfahrtsbilder
selbst im fernen Auslande zu Nachbildungen
Veranlassung gegeben haben2). So gut wie
heute die Pilger Kopien der Wallfahrtsma-
donnen usf. zu Hunderten von Exemplaren in
ihre Heimat tragen, so gut wie auch noch in
unseren Tagen beispielsweise die Madonna
von Lourdes sogar auf die Gestaltung des
Madonnentyps überhaupt jahrzehntelang — in
diesem Falle in üblem Sinne — nachhaltigen
Einfluß ausgeübt hat, so wird man auch für
das XIV. und XV. Jahrh. diesen selben Ein-
lluß nicht ohne weiteres wegleugnen können.
Jedenfalls ist Vorsicht bei der lokalen Zutei-
lung der Skulpturen sehr am Platze. Wer
würde nicht ohne größere Bedenken die
unter Abb. 2 wiedergegebene prächtige Figur,
die nachweislich seit Menschengedenken im
Kölner Bezirk in Familienbesitz war, der
Kölner Plastik um 1400 zuteilen? Ich komme
einer Aufforderung des Herrn Direktors
Dr. Koetschau vom Kaiser-Friedrich-Museum
in Berlin, der vor kurzem die Figur erwarb,
um Veröffentlichung derselben um so lieber
nach, als ich in der Lage bin, das Stück mit
einem bekannteren und einstmals sehr ange-
sehenen Wallfahrtsbilde zu konfrontieren, das
wohl als Urtyp anzusprechen ist. Es ist die
unter Nr. 1 abgebildete Madonna „Ster der
zee"=„Meeresstern" in der Liebfrauenkirche
zu .Maastricht. Einige nicht nennenswerte

') Vgl. des Verfassers Abhandlung in der Ztsch.
1911 S. 65f. „Parallelen zwischen der französ. u.
niederrhein. gotisch Plastik."

') So Back, .Mittelrhein. Kunst« 1910, S. 36.

Stück in Berlin ein langes Lendentuch auf-
weist. Die anatomische Haltung ist bei
beiden Kindern von den Lenden abwärts
trotzdem dieselbe. Bei der Madonna im
Kaiser-Friedrich-Museum faßt das aufrecht
sitzende Christkind mit der Rechten zur
Stütze das Kopftuch der Mutter, während es
bei dem zweiten Exemplar das rechte Arm-
chen um den Nacken Mariens legt; die Hal-
tung des linken Armes spricht deutlich dafür,
daß diese eine spätere Ergänzung ist, während
er ursprünglich wohl bei beiden Bildern ein
Täubchen hielt. Fast kongruent ist die sta-
tuarische Haltung, die Maastrichter Figur
will durch die stärkere Neigung des Madon-
nenhauptes einen intensiveren Ausdruck der
Liebenswürdigkeit erreichen, gelangt aber
dabei auf den Abweg einer unleugbaren Süß-
lichkeit und Sentimentalität, die ihr neben der
Partnerin etwas von der Qualität benimmt.
Die Berliner Figur steht fester, ist von vor-
nehmster, aristokratischer Zurückhaltung und
edler Hoheit, wohingegen die Maastrichter
koketter wird, zumal bei ihr die Unterlippe
herausfordernd sich aufwirft, die Mundwinkel
sich mädchenhaft lächelnd zurückziehen. Dem-
gegenüber hat die andere Madonna höher ge-
zogene Augenbrauen und bei aller Liebens-
würdigkeit einen leicht herben Zug um Nasen-
flügel und Mundwinkel; es ist weniger Ab-
sicht, mehr Natürlichkeit in ihrer Haltung.
Mag sein, daß die formzersetzende Polychromie
der Maastrichter Figur Schaden tut, jeden-
falls wirkt bei ihrer Partnerin das ungewöhn-
lich malerisch gelegte Mantelgewand weit
stofflicher und wuchtiger. Dazu und zum
kölnisch-rheinischen Brauch überhaupt paßt
auch die Vereinfachung der Mantelraffung
unter dem linken Arm, das Fehlen des Um-
schlages auf der linken Schulter und der
Draperiefalten von der Hüfte abwärts. Die
Figuren stehen auf dem linken Stand-
bein in starkem Kontrapost, die angewinkelte
Linke hält auf der flachen Hand das Kind,
die Rechte hält bei der Maastrichter Figur
eine ampelartige Vase mit Lilie, zweifellos
 
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