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Zeitschrift für christliche Kunst — 25.1912

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Witte, Fritz: Alte und neue Kirchen- und Vereinsfahnen, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4342#0073

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1912. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr 3.

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hundert hat uns eine Menge von gemalten
Fahnen gebracht, von denen kaum eine der
Kritik standhalten kann. Ihr erster und letzter
Fehler besteht darin, daß die Maler, welche
sie verfertigten, in vollkommener Verkennung
dessen, was not tut und ihre Aufgabe war,
regelrechte, zumeist recht süßliche Ölgemälde
lieferten, die in ihrer minutiösen Durchführung
ganz wirkungslos auf dem Flaggengrund stehen.
Die alte Ratsfahne von Erfurt gibt uns hier
einen ungemein klaren und wertvollen Finger-
zeig. Das Madonnenbild steht einfach, in
kräftiger Umrißzeichnung,unter Nebeneinander-
stellung großer Farbflecken weithin sichtbar
auf dem schlichten gelben Seidengrund. Den-
selben Vorzug haben die Fahnen von Solothurn
und Freiburg und alle, die wir in Abbildung
oder Original überliefert bekamen (s. auch
Abb. 8). So töricht es wäre, in die Hoch-
fenster des Kölner Domes kleinlich durch-
getiftelte Glasgemälde setzen zu wollen, deren
Einzelheiten den klaren Überblick vernichten
und den Eindruck verwischen würden, so über-
flüssig und störend ist es auch, dem Fahnen-
bilde überflüssigen Kleinkram mitzugeben. Es
hat ähnliche Funktionen zu erfüllen wie ein
Wandgemälde: es muß schnell und abgerundet
zu überblicken sein. Das einfachste Mittel,
diese Wirkung zu erreichen, ist der energisch
und klar gegebene Umrißkontur, der wie die
Bleiriegel des Glasgemaides stehen sollte, so-
wie möglichste Einschränkung der Schattierung
und perspektivischer Vertiefungen. Die Erfurter
Fahne gibt einen architektonischen Rahmen,
der denkbar einfach fast nur in breiten Gold-
linien angelegt ist. Die Cyriacus-Fahne wird.
wenn man sich so ausdrücken darf, noch
primitiver, indem sie das Bild des hl. Kilian
aus einzelnen verschiedenfarbigen Seiden-
stücken mussivisch zusammenstellt. Es ist
wahrscheinlich ein Sisyphusunternehmen, der
gemalten, oder gar der in Applikationsarbeit
hergestellten Fahne das Wort zu reden; zum
wohlgegönnten Segen der Paramentenhändler
verlangt die moderne Großmanns- und Kon-
kurrenzsucht mit lapidarem Eigensinn die an-
spruchsvollere Slicktechnik. An sich wäre das
nicht zu verurteilen, steigerten sich nicht zu-
gleich damit auch die Möglichkeiten künst-
lerist her Entgleisungen. Die Paramenten-
händler können in vielen Fällen für die zur
Verfügung stehende Summe wirklich solide
Arbeit nicht liefern, sie sind aus geschäfilichen

Gründen vielfach aber genötigt, sich den Auf-
trag zu sichern, und so kommen denn die
elenden sogenannten Figurenstickereien zum
Leben, die ein waghalsiges, durchaus unsolides
und unkünstlerisches Kompositum von Appli-
kation, Malerei und salopper Seh ein-Stickerei
darstellen. Leider fehlt den Bestellern das
Auge, um zu sehen, was sie bekommen. Die
„prachtvoll" gestickten und durchgearbeiteten
Köpfchen der Heiligen sind bei näherer Unter-
suchung nichts anderes denn ein mit farbiger
Tusche übermaltes Seidenläppchen, über
welches nachträglich, um den Eindruck der
Stickerei zu erwecken, einige weite Spann-
Stiche gesetzt sind. Um wieviel klüger und
richtiger wäre es, wenn man in solchen Fällen
den niedrigen Preis der Fahne im wahrsten
Sinne des Wortes zugute kommen lassen, auf
die Durcharbeitung von Einzelheiten verzichten
und durch schlichteste Einfachheit eine gute
Wirkung erstreben wollte. Stilisierung! Man
spielt mit dem Worte heute Fußball, die
Stickerei aber schreit wirklich nach ihm. Je
näher das gestickteFahnenbild der Photographie
zu kommen strebt, desto minderwertiger wird
es zumeist, und das gilt nicht nur vom figuralen,
sondern in erster Linie auch von dem orna-
mentalen Schmuck. Nichts ist widersinniger
als die auf Fahnen so oft dargestellte Lilie,
welche in den gewagtesten Kurven sich krümmt,
wie die abgehaspelte Passionsblume, die gerade
wie die Kerze steht, wie ein naturalistisch
behandelter Lorbeerzweig, der sich auf einer
Kriegerfahne breit macht. Es ist nun mal
botanisches Charakteristikum der Lilie, daß
sie schlank und schmal senkrecht emporsteigt,
ganz und gar ungeeignet, Windungen und
Krümmungen zu machen. Für die Stilisierung,
die ornamentale Verarbeitung bietet diese
Blume größte Schwierigkeiten. Der Kunst ist
es einmal gelungen, diese zu überwinden, in-
dem sie das klassische, dekorativ wirksame
Ornament der französischen Lilie fand, dem sie
auch in der Farbe die Stilisierung zuteil werdi n
ließ, indem sie d.is gefährliche Weiß in den
metallischen, stilisierenden Metallton umsetzte.
Eine stärkere Hinneigung zur Aufnählechnik

würde in der Stickereikunst vieles bessern, inso-
fern diese T« hnik auf denkbare Vereinfachung,

d. h. Stilisierung der Nalurforra hindrängt und
zersetzende Detaillierungen unmöglü h macht.
Charakteristisch für unsere moderne Fahnen-
stickerei ist die Beobachtung, daß man fast
 
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