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Zeitschrift für christliche Kunst — 25.1912

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Witte, Fritz: Alte und neue Kirchen- und Vereinsfahnen, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4342#0077

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1912. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTUCHE KUNST — Nr. 3.

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der Liturgie stellen, insofern sie bei kirchlichen
Aufzügen umgetragen werden als Wappen-
schild der Vereine und Bruderschaften. Diese
Standarten, so wollen wir sie nennen, ver-
dienen vielfach gar nicht mehr den Ehrennamen
einer Fahne; aus schwerem Stoff hergestellte
dreieckige Düten mit bombastischer Stickerei
hängen an ihrem Zipfel nieder. Verschämt
verhüllen sie ständig die ganze Schmach und
Schande ihres aus der Renommiersucht ge-
borenen „Schmuckes", und selbst der stärkste
Herbststurm bricht seine Kraft an ihrer hals-
starrigen Steilheit. Das lustige, im Winde
flatternde Fähnlein, mit dessen Schönheiten das
Sonnenlicht liebevoll spielt, die es zusammen-
klingen läßt mit der Farbensymphonie der
umgebenden Natur, sie ist hin, ist wie die
lustige Postkutsche in die weltverachtende
Lyrik verbannt, und mit dem biederen Postillon
ist auch der stramme Standartenträger im
schmucken Gewand verstorben, und ein Herr
in Zylinder und Frack ist an seine Stelle ge-
treten. Merkwürdig genug, sind doch oft
ganze Historien, Ereignisse des gegenwärtigen,
vergangenen und zukünftigen Lebens in figuren-
reichster Komposition in säuberlicher Stick-
arbeit dargestellt. Wenn wir mit einiger An-
strengung die steife Masse entrollen, so blicken
wir in ein in rabenschwarze Nacht getauchtes
Bergwerk; „am Orte" hämmert der mit der
Lampe bewaffnete Bergmann in Galauniform,
die er sonst bei festlichen Aufzügen über der
Erde zu tragen pflegt, und in diesem kohlen-
schwarzen Stollen erscheint leibhaftig die
hl. Barbara, die Schutzpatronin. Wie künst-
lerisch der große schwarze Kohleklumpen
wirkt, darüber zu urteilen steht eben nur dem
besitzenden Vereine zu. Eine Fahne will
gesehen, sie will dem Spiele des Windes aus-
gesetzt sein, damit ihre Schönheiten offenbar
werden. Die niederhängenden Samtdüten von
dreißig Pfund Schwere aber wirken so kahl und
öde wie die schwarzen Fräcke ihrer Träger,
sie erfüllen ihre primärste Pflicht nicht: Ein
Schmuckstück zu sein. Einige konservative
Vereinigungen, wie die der Studenten, haben
hier und da eine gute, gesunde Tragition
herübergerettet. Eine bei alten Fahnen vielfach
zu beobachtende Erscheinung ist die, daß sie
an Stelle der quadratischen die rechteckige
Form wählen, und die längere Seite des Recht-
eckes am Schafte befestigen. Damit bietet
die Flagge dem Winde eine größere Fang-

fläche, während sie ihm zugleich durch ihre
geringere Breite die Entfaltung des Stoffes
erleichtert. Das ist ein durchaus gesundes
Prinzip. Der figurale Schmuck der alten Fahne
steht durchweg parallel zum Schaft; mit Recht,
denn nur so erhält das Bild die rechte Lage,
sooft der Wind die Fahne entfaltet. Es ist nicht
einzusehen, warum die Vereine nicht an Stelle
des gestickten steifen Bildes in Dreieckform
eine holzgeschnitzte Statue auf der Bahre
mit umführen, sachgemäßer wäre es jeden-
falls, wenn der Verein einzig darauf Wert
legt, das Bild allein zu zeigen. Es ist auch
kein Zufall, daß auf alten Fahnen, sofern sie
das Bild ihres Patrones führen, dieses mög-
lichst nahe an den Schaft, also aus der Mitte
heraus rückt. Man wollte wiederum das
Flaggentuch nicht zu sehr beschweren und
seine Entfaltung erleichtern. Das Ideal einer
Fahne ist gewiß ein kräftiger Stoff mit appli-
zierter, möglichst leichter Stickerei. Der Durch-
schnitt der modernen Fahnen besteht aber aus
einem ganzen Laden von Stoff: Linke Seite
mit schwerer Stickerei, die vielfach noch stark
hinterlegt ist; dann eine Schicht schweren
sogen. Steifleinens, und zudritt die rechte Seite,
ebenfalls mit schwerer Stickerei. Unter diesen
Voraussetzungen ist natürlich an ein Entfaltet-
werden des Tuches nicht mehr zu denken.

Ein wichtiges und überaus wirkungsvolles
Dekorationsmotiv ist die Schrift. Gut ge-
zeichnete und vor allem richtig gesetzte Schrift
kann schöner wirken wie das sinnreichste
pflanzliche und selbst figurale Ornament. Es
geht aber nicht an, den Schriftsatz zu zer-
hacken, oder gar in Figuren zu stellen, etwa
wie unsere Großväter im Lokalblättchen vor
50 Jahren den Satz ihres poetischen Namens-
tagsgrußes an einen Freund in die Form eines
Brantweinglases zwangen. Eine gefährliche
Klippe bildet die unterschiedliche Größe der
Anfangs- und Wortbuchstaben. Man sehe
sich ein altes Manuskript, oder einen frühen
Druck an, etwa Dürers Gebetbuch Maxi-
milians, wie dort Initiale und Schriftsatz zu
einem einheitlich wirkenden Ornament ver-
bunden sind. Hier läßt sich viel lernen von
den Modernen, die nach dieser Richtung
greifbare Fortschritte aufweisen können.

Ein wichtiges Kapitel ist das der Farben-
wahl. Sie wird jedesmal Aufgabe des Ge-
schmackes von Besteller und Sticker sein. Die
im Sonnenlichte getragene Fahne darf getrost
 
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