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Zeitschrift für christliche Kunst — 25.1912

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Schubring, Paul: Italienische Bilder des XIV. und XV. Jahrhunderts im Museum Schnütgen in Köln, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4342#0084

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1912. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 4.

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wilde Blick Evas, der den Frauenkopf der
Schlange mit unverhohlenem Haß trifft. Auch
in der Galerie von Parma findet sich ein
ähnliches Bild. Alle gehören der Sieneser
Schule an und gehen auf Ambrogio Loren-
zettis Fresko in S. Galgano zurück. Diesem
selbst wird wohl ein Hymnus auf Sündenfall
und Erlösung zugrunde liegen, dem die Worte
des Galgano-Freskos entnommen sind, wäh-
rend die anderen Bilder ihren Spruch der Bibel
selbst (Genesis 2/3) entnehmen. Solche dog-
matisch-liturgische Art findet sich häufig in
der Sieneser Kunst. In der Akademie von
Siena befindet sich eine andere Allegorie von
Sünde und Erlösung mit der Kreuzigung. Bei
den Sieneser Hausaltärchen werden oft auf die
eine Seite Maria mit dem jungen Christ, auf
die andere der tote Christ im Grab gemalt
(ein besonders schönes Beispiel, signiert in
Altenburg, Nr. 47 und 48). Die Florentiner
lieben solche Kontraste nicht.

Der Florentiner Schule des frühen
XV. Jahrh. gehört das halbkreisförmig ab-
geschlossene Madonnenbild mit 10 Engeln
(551/, X 38x/, cm) (Tafel IV) an, und
zwar jenem Malerkreis, der den ersten Ver-
such gemacht hat, die gotische Tradition
des Trecento zu durchbrechen. Das Thema
ist noch ganz altertümlich und könnte von
Cimabue übernommen worden sein: „Eine
thronende Madonna mit 10 Engeln", so j
klingt es in alter und ältester Kunst. Aber
hier hat der Thron Standsicherheit und
Raumfülle gewonnen, seine Ecken sind mit
scharfsilhuettierten Figuren besetzt. Die Art,
wie diese Frau wirklich sitzt, wie sie das
nackte Kind mit dem linken Arm hält und
die Rechte sprechend hebt, ist von starkem
Wirklichkeitsgefühl durchzogen. Der große
Mantel freilich schwelgt, namentlich in seinen
Endigungen, noch im alten gotischen Akko-
ladenstil, aber scharf und klar stemmen sich
die Knie der Hauptfigur. Lieblich bewegt
tanzt das kleine Bürschlein zum Engelgesang;
und Maria scandiert den Takt dazu. Die
blondgelockten Engel, deren Flügel hell
schimmern, und deren üppiges Haar so präch-
tig gegen das Gold der Heiligenscheine steht,
singen a cappella und haben keine Instru- ,
mente; nur zwei kleine Notenpulte sind ihnen
für die winzigen Notenhefte bewilligt. Die
beiden vordersten Engel scheinen dem himm-

lischen Kind wie die Mutter den Takt vor-
zuschlagen. Vor den Stufen des Thrones
stehen sieben vergoldete Kupfervasen, Am-
phoren gotischer Art mit scharfer Randung,
dickem, lastendem Bauch und vielfacher Bucke-
lung. Diese bedeutet sicher etwas Allegorisches;
vielleicht kann einer der gelehrten Leser dieser
Zeitschrift zur Deutung verhelfen.

Der zarte musikalische Sinn dieses Ma-
donnenbildes verrät ein lyrisches Feingefühl,
wie wir es in den Florentiner Tagen des an-
fangenden XV. Jahrhunderts, wo alles Sturm
und Drang ist, nicht erwarten. Das würde
eher auf eine Natur wie die Gentiles di
Fabriano weisen, dessen Berliner Altarbild
auch zarteste Musik macht. Aber hat nicht
Masaccio auf dem Mittelbild des Pisaner
Altars von 1426 auch einige musizierende
Engel angebracht?: ,,A piedi (della Madonna)
sono alcuni angioletti che suonano, uno de'
quali sonando a un liuto, porge con attensione
l'orrecchio all armonia di quel suono", sagt Va-
sari (edSansoni II p. 292). Berenson glaubt dies
lang gesuchte Mittelstück, zu dem Berlin die
drei Predellen und vier kleine Einzelheilige
besitzt, während die über dem Madonnenbild
angebrachte Kreuzigung heute in der Neapler
Galerie sich befindet (kleinere Teile in Wien
beim Grafen Lanckoronski und in Pisa), indem
Madonnenbild bei A. F. Sutton in London
wiedergefunden zu haben, und wenn die
Maße (1,35X0,73) auch nicht absolut zu den
Berliner Predellen stimmen, so ist es doch
sehr wahrscheinlich, daß der englische Kri-
tiker recht hat. Nun stammt das Kölner
Bild freilich nicht von Masaccio, auch wohl
nicht direkt von dessen Zeitgenossen Maso-
lino, obwohl es mit dessen Madonnenbildern
in Bremen (vgl. das Händchen des Knaben)
und in München (vgl. die am Boden liegenden
.Mantelfalten) manches Gemeinsame hat; aber
in diesem Kunstkreis, nicht in dem des
Frate Angelico, ist das Bild entstanden. Der
desolate Zustand des Bildes läßt keine subti-
lere Entscheidung zu, ob etwa Giovanni da
Ponte oder jener Paolo di Stefano in Frage
kommt, von dem ein Fresko in S. Miniato
bei Florenz von 1426 bekannt ist. In der
Collegiatkirche in Empoli befindet sich ein
ähnliches kleines Madonnenbild.

(Schluß folgt)
Berlin. Paul Schubring.
 
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