171
1912. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 5.
172
darüber, daß unsere Statuen älteren Datums
sind als die der Ostseite, die den Kaiser mit
zwei wappenhaltenden Knappen und die Kur-
fürsten von Böhmen und Ungarn darstellen.
Aber wieviel älter? Und welches ist wenig-
stens die ungefähre Entstehungszeit? Näheres
durch archivalische Belege hierüber auszusagen,
ist trotz eifrigen Suchens im Ulmer Stadt-
archive nicht möglich. Leider! Denn es
wäre nicht
allein zur
Klärung der
doch noch
immer recht
dunklenMult-
scherfrage,
als auch zur
Kenntnis der
Entwicklung
deutscher und
speziell Ul-
mer Plastik
von außer-
ordentlichem
Werte, wenn
uns hier
sichere und
nichtzuleug-
nende An-
haltspunkte
gegeben
wären. An
der früheren
Entstehung
unserer sechs
Figuren wird
ja aber wohl
trotzdem nie-
mand zwei-
feln. Schwie-
riger ist es
schon, sie
einem bestimmten
Abb. l.
Dezennium zuzuweisen.
Auch hier wieder bieten den einzigen An-
haltspunkt die glücklicherweise datierten Ar-
beiten Hartmanns aus der Zeit 1419—1421 2).
Reifer und fortgeschrittener als die Arbeiten
Hartmanns an der Vorhalle des Münsters sind
die sechs Kurfürsten gewiß. Aber nicht viel!
Und um meine Meinung gleich vorauszu-
schicken : ich sehe kein Hindernis in Meister
*) Vgl. Habicht a. a. O. p. 34 ff.
Hartmann, dem Bildhower, auch den Verfer-
tiger der sechs Statuen der Ostseite zu er-
blicken. An gegebenem Orte werde ich diese
Behauptung durch stilistische Vergleiche aus-
führlich zu erhärten suchen. Vorläufig sei es
mir gestattet, einen indirekten, archivalischen
Gtund vorauszuschicken, der mich an Hart-
mann denken läßt. Hartmann wird bis 1421
dauernd in den Hüttenbüchern genannt, dann
verschwindet
er aus ihnen
bis 1427, um
auch dann
nur noch
ganz verein-
zelt und
ohneSonder-
aufträge ge-
nannt zu
werden. Für
die Zeit 1421
bis 1424, für
die die Hüt-
tenbücher
fehlen, neh-
me ich Hart-
mann mit
der Aus-
schmückung
der Archi-
volten be-
st h;iftigtans).
Finden sich
nun Plastiken
in Ulm, die
sich stili-
stisch eng
an die er-
wähnten Ar-
beiten Hart-
manns an-
schließen,
und die einige Jahre später als 1424 gearbeitet
sein können, so liegt die Vermutung, und zwar
berechtigterweise doch sehr nahe, daß auch
sie als Arbeiten Hartmanns anzusprechen sind.
Läßt man die Kurfürsten unbefangen auf
sich wirken, so fällt einem zunächst zweierlei
auf. Einmal die Wandlung des ulmischen,
gestreckten Körperideals in das gedrungere,
durch westlichen Geschmack beeinflußte,
Abb.
') Vgl. Habicht a. a. O. p. 63 ff.
1912. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 5.
172
darüber, daß unsere Statuen älteren Datums
sind als die der Ostseite, die den Kaiser mit
zwei wappenhaltenden Knappen und die Kur-
fürsten von Böhmen und Ungarn darstellen.
Aber wieviel älter? Und welches ist wenig-
stens die ungefähre Entstehungszeit? Näheres
durch archivalische Belege hierüber auszusagen,
ist trotz eifrigen Suchens im Ulmer Stadt-
archive nicht möglich. Leider! Denn es
wäre nicht
allein zur
Klärung der
doch noch
immer recht
dunklenMult-
scherfrage,
als auch zur
Kenntnis der
Entwicklung
deutscher und
speziell Ul-
mer Plastik
von außer-
ordentlichem
Werte, wenn
uns hier
sichere und
nichtzuleug-
nende An-
haltspunkte
gegeben
wären. An
der früheren
Entstehung
unserer sechs
Figuren wird
ja aber wohl
trotzdem nie-
mand zwei-
feln. Schwie-
riger ist es
schon, sie
einem bestimmten
Abb. l.
Dezennium zuzuweisen.
Auch hier wieder bieten den einzigen An-
haltspunkt die glücklicherweise datierten Ar-
beiten Hartmanns aus der Zeit 1419—1421 2).
Reifer und fortgeschrittener als die Arbeiten
Hartmanns an der Vorhalle des Münsters sind
die sechs Kurfürsten gewiß. Aber nicht viel!
Und um meine Meinung gleich vorauszu-
schicken : ich sehe kein Hindernis in Meister
*) Vgl. Habicht a. a. O. p. 34 ff.
Hartmann, dem Bildhower, auch den Verfer-
tiger der sechs Statuen der Ostseite zu er-
blicken. An gegebenem Orte werde ich diese
Behauptung durch stilistische Vergleiche aus-
führlich zu erhärten suchen. Vorläufig sei es
mir gestattet, einen indirekten, archivalischen
Gtund vorauszuschicken, der mich an Hart-
mann denken läßt. Hartmann wird bis 1421
dauernd in den Hüttenbüchern genannt, dann
verschwindet
er aus ihnen
bis 1427, um
auch dann
nur noch
ganz verein-
zelt und
ohneSonder-
aufträge ge-
nannt zu
werden. Für
die Zeit 1421
bis 1424, für
die die Hüt-
tenbücher
fehlen, neh-
me ich Hart-
mann mit
der Aus-
schmückung
der Archi-
volten be-
st h;iftigtans).
Finden sich
nun Plastiken
in Ulm, die
sich stili-
stisch eng
an die er-
wähnten Ar-
beiten Hart-
manns an-
schließen,
und die einige Jahre später als 1424 gearbeitet
sein können, so liegt die Vermutung, und zwar
berechtigterweise doch sehr nahe, daß auch
sie als Arbeiten Hartmanns anzusprechen sind.
Läßt man die Kurfürsten unbefangen auf
sich wirken, so fällt einem zunächst zweierlei
auf. Einmal die Wandlung des ulmischen,
gestreckten Körperideals in das gedrungere,
durch westlichen Geschmack beeinflußte,
Abb.
') Vgl. Habicht a. a. O. p. 63 ff.