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Zeitschrift für christliche Kunst — 25.1912

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Raspe, Theodor: Kirchlicher Kunstbesitz des Oldenburgischen Museums
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https://doi.org/10.11588/diglit.4342#0163

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28f>

1912. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr 8.

286



Mit der Figur der hl. Katharina gehen wir
zur nächsten Gruppe über, die etwa um
1510 anzusetzen wäre. Auch innerhalb
dieser (kuppe schafft die Stilkritik Brücken
von einer Figur zur anderen, so daß wir einen
einzigen, zweifellos hochbedeutenden
Schnitzer als Meister annehmen müssen.
Der Einfluß der flämischen Schule tritt
aufdringlich zutage (Abb. 20).

Daß die Tracht der drei Heiligen
direkt nach den Niederlanden weist, ist offen-
sichtlich. Die dortigen Schnitzer bevorzugten
besonders einen üppigen Kopfputz: Hauben
verschiedener Art, gewickelte Turbankissen,
kleine Kappen oder
Barette mit spitz zu-
laufender Schnabelrinne,
das Gebende, horn-
fiirmige Bandschnüre,
Scheitelklappen mit
Perlbesatz, Netze und
Schleier, die in weitem
Bogen zum Rücken her-
angehen :,:').

Der Meister dieser
zweiten Hohenkirchener
Gruppe überragt den
Schnitzer der Anna und
des Herzogsschon durch
eine bedeutsame In-
dividualisierung
seiner Figuren, sowohl
was Haltung, als auch
was Ausdruck anbe-

_. „.,. , Abb. SS. Taufstein

langt. Die stoffliche
Charakterisierung ist nicht so äußerlich wie
bei der anderen Gruppe. Daß der Künstler
Stoffe und Faltenwurf eingehend studiert hat
(man vergleiche nur den Einfluß des schweren
Brokatgewandes und im Gegensatz dazu den
des dünnen Seidenstoffes am Buche auf die
Faltenwahl!), ist mehr selbstverständlich. Be-
zeichnend für das Wesen seiner Kunstauf-
fassung ist dagegen die Art, wie er mit
Tracht und Stoff die Individuali-
sierung seiner Figuren unterstützt.
Die kleinere Heilige (111 cm) mit dem
Rappchen und Haarputz hat auch im Ge-
wände jenen Zug leichter, jugendlicher Koket-
terie bekommen, der uns in dem Gesichts-

*g] die Figuren <! r Borman-Altar

(Mecklb. Kunst- u. GcadL-Denkm. IV); ferner Y

Katalog a. a. ( ).. Seite 153ff.; J. Roosval.a. a O.

ausdruck so merkwürdig berührt (Abb. 21). Die
Katharina dagegen bildet infolge der Wucht
ihnr Gewandung, die übrigens auch mit der
ungewöhnlichen Körpergrößegut übereinstimmt,
eine überragend hoheitsvolle Erscheinung.
Der mächtige, einfache Schwung der Falten
wird nur unter der Brust aufgehoben, wo der
Künstler — in sehr richtiger Naturbeobach-
tung — das Kleid durch den Druck des
Buches zusammenschieben läßt. Am Gewand
der dritten Heiligen fällt auch diese Unter-
brechung fort: wir haben vor uns eine Ruhe,
Reinheit und Vornehmheit in der Gesamt-
auffassung, wie eben nur in den Höhepunkten
allen Kunstschaffens.
Bei dieser Figur ist der
Kontrapost mit feinem
Empfinden für Statik
und Rhythmus abge-
wogen (Abb. 22).

Gemeinsam ist der
ganzen Gruppe ferner
trotz abweichender Cha-
rakterisierung der ein-
zelnen Heiligen die
Kopfform und Ge-
sichtsbildung. Wäh-
rend der ältere Meister
der Anna und des hl.
Pantaleon Strenge und
selbst Härten nicht ver-
meidet, durch Andeuten
der Backenknochen,
durch einen scharfen
Schnitt von der Nase
zu den Augenbrauen, durch ein breites Kinn
und durch die oben beschriebene Augen-
bildung seine Eigenart bestimmt, kehrt hier
eine zierlichere Kopfform wieder. Die flachen
Augen blicken nur schmal durch die ge-
schwungenen Lider und gehen fast unmerkbar
in fleischiger Weiche zur gewölbten
Stirn über. Ferner ist die Kinnbildung be-
zeichnend; das Kinn ist klein und rund, stets
durch ein Doppelkinn in seiner Vollheit
gehoben. Vor allem der Kopf der Katharina
läßt diese Weichheit in reinster Ausbildung
erkennen.

Zu den einzelnen Figuren ist noch weniges
zu bemerken. St. Katharina trägt ein
wunderfein in Strähnen modelliertes Haar,
das hinten großenteils durch den schweren,
hochgeschobenen Mantel bedeckt wird. Im

Frankreich, um 1280—1303.
 
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