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Zeitschrift für christliche Kunst — 25.1912

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Rahtgens, Hugo: Zur Altersbestimmung des Chorbaus von Groß-St.-Martin zu Köln
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https://doi.org/10.11588/diglit.4342#0166

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291

1912. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 9.

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wölbe von St. Martin schon viel entschiedener
gotisch sind als die Architektur von St. Quirin.
Mit dem kritiklosen Herausgreifen einzelner
Daten gelangt man niemals zur Lösung
chronologischer Probleme.

Der Hinweis auf die allbekannten Bei-
spiele reiferer gotischer Bauten, die im zweiten
Viertel des XIII. Jahrh. in Deutschland be-
gonnen wurden, besagt doch gar nichts gegen-
über der Tatsache, daß in der ganzen ersten
Hälfte des XIII. Jahrh. — von jenen ver-
einzelten Fällen unmittelbarer Verpflanzung
abgesehen — in Deutschland die gotischen
Formen noch mit romanischen durchsetzt
wurden. Was soll man demgegenüber dazu
sagen, wenn Hasak seine Datierung mit
folgender Begründung stützt: „In Frankreich,
das ja an der Spitze der gotischen Bewegung
voranging, waren die Formen der Gewölbe
Groß-St.-Martins (im zweiten Viertel des XIII.
Jahrh.) verlassen. Dort aber lernten doch
die damaligen Baumeister Deutschlands ihre
gotischen Formen und naturgemäß nur die
gerade in den französischen Baustuben üblichen,
nicht die seit .'50 Jahren längst vergessenen"!
Ich kann mir wohl eine Analyse dieser lapi-
daren Feststellung mit dem Hinweis auf die
nachgerade genug bekannte Erscheinung er-
sparen, daß die Aufnahme der Gotik in Deutsch-
land sehr zögernd erfolgt ist. Die Fälle,
daß ein deutscher Baumeister an der Quelle
der Gotik seine Ausbildung erhalten und die
dort eben Mode gewordenen Formen in
Deutschland anzuwenden Gelegenheit hatte,
gehören, wie die Denkmäler zeigen, in den
ersten Jahrzehnten des XIII. Jahrh. noch zu
den allergrößten Seltenheiten, und es wird
niemand (außer etwa Hasak) diese sporadischen
Einzelfälle, wie den Magdeburger Domchor
und die frühe Zisterziensergotik, für maß-
geblich halten wollen bei der Altersbestimmung
aller übrigen frühgotischen Architekturen in
Deutschland. Daß wir es in St. Martin aber
nicht mit einem solchen singulären gotischen
Werk unmittelbarer Übertragung zu tun haben,
zeigen die den deutschen Bauten des Über-
gangsstils eigentümliche hochbusige Form der
Gewölbe, der ungeschickte Rippenaufstand
auf den Dienstkapitälen, die romanischen
Ornamente der Dienstkonsolen und andere
Einzelheiten.

Der Vergleich mit den im zweiten Viertel
des XIII jahrh. in Köln ausgeführten Bauten

läßt keinen Zweifel darüber bestehen, daß die
frühgotischen Teile von St. Martin dieser
Zeit oder, wie ich in engerer Begrenzung an-
genommen habe, derjenigen zwischen 1230
und 1240 angehören.4)

Nun zum zweiten Punkte, dem Chor bau.
Um die Datierung mit 1150—72 zu stützen,
weist Hasak auf das 1153 begonnene Baptiste-
rium zu — Pisa hin, wo sich ähnliche Kapitäl-
aufsätze (Gebälkklötze) befinden wie im Chor-
bau von Groß-St.-Martin. Er läßt daher im
Gefolge des Kölner Erzbischofs Rainald
v. Dassel an der Italienfahrt, die dieser ll(i7
unternahm, einen Kölner Baumeister (einen
„Kriegsbaumeister", wie Hasak schreibt) sich
beteiligen, dem es unter allen italienischen
Herrlichkeiten eben diese Kämpferaufsätze im
Baptisterium zu Pisa angetan haben, und nach
Köln zurückgekehrt, verwertet er sie schleu-
nigst am Neubau von Groß-St.-Martin.6)

Wir sind ja freilich mitunter genötigt, die
Analogien für seltene Architekturformen in
weiter Ferne zu suchen; in diesem Falle können
wir aber ganz ruhig im deutschen Vaterlande
bleiben. Wir finden nämlich derartige Kapitäl-
aufsätze im Aachener Münster, an der West-
empore von St. Maria im Kapitol, am Westbau
des Essener Münsters, in der Ostkrypta ebenda,
in St. Michael in Hildesheim, am Bonner
Münsterchor usw., also während des ganzen
Verlaufs des romanischen Stils. Solche inner-
halb gewisser Grenzen stilistisch indifferenten
Einzelheiten besagen für die genauere Zeit-
bestimmung gar nichts.

Was mich bewogen hat, den Chorbau von
Groß-St.-Martin der Zeit nach 1185 zuzu-
schreiben, ist vor allem der Vergleich mit den
Kölner Kirchen St. Gereon und St. Aposteln.

*) Hasak wiederholt offenbar ohne Überlegung
aus seiner früheren Arbeit die Angabe, dati die zu der
jüngsten Rauperiode gehörige Vorhalle 1240 schon in
Urkunden erwähnt sei. Das würde ja an sich recht
gut zu meiner Datierung (zwischen 1230 und 40)
passen. Leider handelt es sich aber in der betreffenden
Urkunde nicht um die Vorhalle der Kirche, sondern
um den l'orticus St. Martini, den bis in die neueste
Zeit so genannten Gang nach dem Alten Markt (vgl.
»Kunsldcnkmüler« a. a. 0. S. 3f>K).

s) Mich «undert, daß Hasak seinen Baumeister
erst am letzten Zuge Rainalds nach Italien teilnehmen
'äfit. Ich würde an seiner Stelle dazu eine der früheren
Italienfahrten Rainalds, die ihn 1162, 1163 und 11 Gl
gleichfalls nach Pisa führten, ausgesucht haben: dann
hätte der Meister bis zur Kirch weihe 1172 doch b
Zeit gehabt !
 
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