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Zeitschrift für christliche Kunst — 25.1912

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Hasak, Max: Der Baumeister mit den zwei Halbmonden
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https://doi.org/10.11588/diglit.4342#0191

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339

1912. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 10.

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als kostbare Überreste im neuen Chor ehr-
furchtsvoll wieder angebracht hat, auch deren
Kapitelle wiederum verwendet.

Aber die antiken Kapitelle im Magdeburger
Dom sind nicht aus Marmor; sie sind aus
demselben Sandstein wie der Neubau, ja das
eine Kapitell zeigt neben seinen griechischen
Akanthusblättern sogar frühgotisches Laub.
Der frühgotische Baumeister, der Mann mit
den beiden Halbmonden, hat diese antiken
Kapitelle erst anfertigen lassen. — Aber viel-
leicht hat er bei dem Brande zertrümmerte
Überreste nachahmen lassen? — Das könnte
wohl sein, aber dieser Vermutung entzieht die
damalige Mode den Boden. Wir sehen nicht
nur in Magdeburg die antike Formenwelt be-
kannt und nachgeahmt. Dasselbe finden wir
in Speyer. Der dortige Dom weist die reiz-
vollsten antiken Kapitelle aus zwei Bauzeiten
auf. In St. Denis bei Paris, in Chartres, in
Arles, in Pisa und Lucca, an der Südansicht
der hl. Grabeskirche zu Jerusalem tauchen
vereinzelt antike Einzelheiten auf, die völlig
griechisch anmuten, jedenfalls gar nicht römisch
aussehen und doch keinerlei bekannte grie-
chische Vorbilder nachahmen. So verhält es
sich auch mit unseren Magdeburger und
Walkenrieder Kapitellen. Griechisches Akan-
thuslaub schmückt ihren Kelch. Ohne das
übliche Halsglied treten sie über den Schaft
hinaus, und den Kelchrand bildet eine merk-
würdige Umbildung des Eierstabes.

Diese Formen stammen ersichtlich aus dem
Heiligen Lande. Sie treten gerade zur Zeit
der Kreuzzüge in Europa auf und nur ver-
einzelt, fleckweise. Hunderte von Baumeistern
waren den Kreuzheeren gefolgt, denn das
Heilige Land strotzt förmlich von frühgotischen
Kirchen und Burgen. Dort hatten die Bau-
meister dieses unbekannte griechische Orna-
ment noch in Übung gefunden. Sie brachten
es mit nach Haus. Nur sie hatten ein Inter-
esse für dasselbe, nur sie verwandten es.
Starben sie, so starb auch dieses Ornament.
Schule bildete es nicht. Daher sein sprung-
weises Vorkommen4).

Sollte nicht unser Halbmondbaumeister
auch im Heiligen Lande gewesen sein? Dürfte
man die Halbmonde damit in Verbindung
bringen ?

*) Hasak, »Der romanische und gotische Kirchen-
bau«, Bd. 2. (Handbuch der Architektur. Stutt-
gart 1903).

So reizt das Rätsel dieses Baumeisters
immer mehr die Wißbegier, und doch scheint
es der Lösung zu spotten.

Neckisch taucht auch der Baumeister all-
mählich an anderen Orten auf.

In Schwaben war man ihm indessen weiter
auf die Spur gekommen. Im Kloster Reichen-
bach bei Freudenstadt ist vor der romanischen
Kirche eine Vorhalle genau in den Formen
des Magdeburger Bischofsganges aufgeführt,
jedoch altertümlicher und schwerer anmutend,
als wäre es das Jugend werk des Meisters.
Damit scheinen wir seinem Herkunftsorte auch
am nächsten gelangt zu sein. Immer süd-
licher entrücken ihn uns neue Funde. Für
jeden Kenner der mittelalterlichen Formen-
welt ist es auch klar, daß die Herkunft seiner
Kunst auf Burgund weist. Dieses gehörte
damals aber zum Deutschen Reiche. Die
Zähringer beherrschten es. Nicht weit ab von
Kloster Reichenbach in Freiburg im Breisgau
wohnten die Burgundischen Markgrafen.

Und in der Tat, die Spuren unseres Bau-
meisters führen noch südlicher. In Alpirsbach
außen an der Sakristei findet sich ein Krag-
stein von der bekannten Gestalt mit den bei-
den Halbmonden geschmückt.

Das ist der südlichste Punkt seiner Tätig-
keit, wie Magdeburg den nördlichsten bildet.
Allerdings verdankt die Sakristei kaum seiner
Baumeisterhand ihre Entstehung. Es ist, als
wenn er auf seinem Rückwege aus den ge-
segneten Gefilden Burgunds hier seine Visiten-
karte zum ersten Male abgegeben hätte. In
Burgund an der Yonne, wo der gute Chablis
wächst, in Auxerre und Montreal findet man
ähnliche Kragsteine; aber die Halbmonde
fehlen darauf. Hier und in der Champagne,
in Dijon, da sieht man auch das merkwürdige
Magdeburger Hauptgesims, das außen den
Bischofsgang krönt und manchem nicht mittel-
alterlich Geschulten schon recht absonderlich
erschienen ist. In Magdeburg ist es noch mit
den griechischen Akanthusblättern unseres
Baumeisters geschmückt. Man sieht, das
künstlerische Bild des Künstlers mit den beiden
Halbmonden wird immer vollständiger und
schließt jeden Zweifel aus, auch die griechi-
schen Kapitelle sind sein Eigentum, in Magde-
burg wie in Walkenried.

Indessen hatte ich auch im Zisterzienser-
klustcr Ebrach in Franken, in der Michaels-
kapelle den gleichen Kragstein mit den zwei
 
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