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1912. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 2.
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reform Gregors XIII. auf den 4. Oktober der
15. Oktober folgte.]
Da der Magdeburger Dom unter Otto dem
Großen gegen 947 gegründet worden ist, so
waren bis dahin schon 4 Tage verloren, bis
zum Neubau im Jahre 1207 noch weitere
2 Tage, d. h. man beobachtete 1207 tatsäch-
lich 2 Tage später den Sonnenaufgang an
denselben Tag- und Nachtgleichen als im
Jahre 947. Folglich mußte 1207 die Achse
weiter nach Norden ausschlagen.
So ist es in der Tat. Hatte man jedoch
1207 im Herbst an der Tag- und Nachtgleiche
den Sonnenaufgang beobachtet, 947 aber
im Frühjahr, dann betrug der Fehler sogar
10 Tage. Das bewirkt natürlich eine ganz
beträchtliche Abweichung der neuen Achse
von der alten. So wird es in Magdeburg der
Fall gewesen sein und daher die heftige
Schräglage des neuen Domes gegen den alten
Kreuzgang.
Damit ist das Rätsel der Knicke in den
Längsachsen der Kirchen gelöst. Der Her-
gang dürfte also jedesmal folgender gewesen
sein. Den Neubau begann man fast immer
mit dem Neubau des Chores und des Kreuz-
schifTes. Dabei beobachtete man den Sonnen-
aufgang an einer der Tag- und Nachtgleichen
und sah, daß sich der frühere Baumeister
„geirrt" hatte. Da ja nach Fertigstellung des
neuen Kreuzbaues auch das Langschiff er-
neuert werden sollte, so nahm man auch die
„richtige" Ostrichtung. Später versiegten die
Mittel, das alte Schiff blieb bestehen, und so
ist der Knick in der Längsachse entstanden.
In Magdeburg hat man sich vor einigen
Jahren bemüht, bei Herstellung der Heizung
die Krypta des alten Domes zu finden. Je-
doch ohne Erfolg, weil der alte Chor nicht in
dem neuen Dom gelegen hat, sondern außerhalb.
Aus folgenden Gründen. Edith, die erste
Gattin Kaiser Ottos des Großen, ist wahr-
scheinlich im nördlichen Seitenschiff der alten
Kirche beigesetzt worden. Widukind schreibt:6)
„946 . . sepulta est autem in civitate Magatha-
burg in basilica D.OVB. latere aquilonali ad
orientem." [946 . . Sie ist aber begraben in
der Stadt Magdeburg in der neuen Basilika
an der nördlichen Seilen gegen Osten.)
') »Motrnmi »I Sei. III. (Wi-
dnlrindi res gettai i Kunovei 1839. S. 449.
Ebenso Thietmar von Merseburg:6)
.....sepultaque est in civitate prefata in maiori
aecclesia, in oratorio aquilonari." [. . . und
sie wurde begraben in der vorgenannten Stadt
im Dom im nördlichen Oratorium.]
Man wird annehmen dürfen, daß die alte
Magdeburger Domkirche schon ein Kreuz-
schiff in der Art der Bauten zu Gernrode
und Quedlinburg besessen hat, an welches
zwei Nebenapsiden angefügt waren. Im nörd-
lichen Kreuzschiff vor der Apside wird Edith
bestattet worden sein.
Erzbischof Waltherd baut die Ostseite des
Domes um. Bei Anwesenheit des Kaisers
Heinrichs des Heiligen findet die Einweihung
der nördlichen Kapelle statt: „Anno dominicae
incarnationis 1017 . . . archiepiscopus capellam
septentrionalem benedicit, presente impera-
tore."7) [Im Jahre der Fleischwerdung des
Herrn 1017 . . . weihte der Erzbischof die
nordliche Kapelle in Gegenwart des Kaisers.]
Das wird die Kapelle gewesen sein, in welcher
Edita ruhte, denn wegen einer einfachen Ka-
pelle hätte man wohl den Kaiser nicht be-
helligt. -- Daher findet sich auch später die
Feier einer Translatio Editas.8)
Nun beruft sich Domprediger Sack L582
auf die Überlieferung, daß das Grab Editas
im neuen Dom dieselbe Stelle einnähme wie
im alten.9) Demnach ist die jetzige Kapelle,
vor welcher Edita ruht, die nördliche Seiten-
apside des alten Domes. Der Baumeister
von 1207 hat das Grab Editas zum Aus-
gangspunkt der Mittellinie des neuen Domes
gemacht. In Wahrheit ein geistreiches Vor-
gehen ! Wahrscheinlich ist der runde Unter-
teil der Kapelle noch die alte Kapelle selbst.
Ergänzt man auf Grund dieser Annahme den
alten Dom, dann sieht man, daß der Haupt-
chor nebst Krypta außerhalb des jetzigen
Domes gelegen hat und man aus diesem
Grunde ihre Spuren bei der Anlage der Hei-
zung im jetzigen Dom nicht finden konnte.
Grunewald bei Berlin. Max Hasak.
«) .Monumcnta Germaniae hist « Set. III. (Thiet-
mari Chronicon.) Hannover 1839. S. 744.
') »Monuinema Germania« bist (Thietmar
nicon.) Sei. 111. Hannover 1839. S. 8.r).'i.
8) »Geschichtsblattcr fiir Stadt u. Land.« Mai^de-
burK 1891 (Sello, Domaltertümer.) S. 165.
») Wh \. r. 1S92. (II citri, .Einige Nachrichten
über den Dum in seinem früheren Zustande«) S. 365.
1912. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 2.
94
reform Gregors XIII. auf den 4. Oktober der
15. Oktober folgte.]
Da der Magdeburger Dom unter Otto dem
Großen gegen 947 gegründet worden ist, so
waren bis dahin schon 4 Tage verloren, bis
zum Neubau im Jahre 1207 noch weitere
2 Tage, d. h. man beobachtete 1207 tatsäch-
lich 2 Tage später den Sonnenaufgang an
denselben Tag- und Nachtgleichen als im
Jahre 947. Folglich mußte 1207 die Achse
weiter nach Norden ausschlagen.
So ist es in der Tat. Hatte man jedoch
1207 im Herbst an der Tag- und Nachtgleiche
den Sonnenaufgang beobachtet, 947 aber
im Frühjahr, dann betrug der Fehler sogar
10 Tage. Das bewirkt natürlich eine ganz
beträchtliche Abweichung der neuen Achse
von der alten. So wird es in Magdeburg der
Fall gewesen sein und daher die heftige
Schräglage des neuen Domes gegen den alten
Kreuzgang.
Damit ist das Rätsel der Knicke in den
Längsachsen der Kirchen gelöst. Der Her-
gang dürfte also jedesmal folgender gewesen
sein. Den Neubau begann man fast immer
mit dem Neubau des Chores und des Kreuz-
schifTes. Dabei beobachtete man den Sonnen-
aufgang an einer der Tag- und Nachtgleichen
und sah, daß sich der frühere Baumeister
„geirrt" hatte. Da ja nach Fertigstellung des
neuen Kreuzbaues auch das Langschiff er-
neuert werden sollte, so nahm man auch die
„richtige" Ostrichtung. Später versiegten die
Mittel, das alte Schiff blieb bestehen, und so
ist der Knick in der Längsachse entstanden.
In Magdeburg hat man sich vor einigen
Jahren bemüht, bei Herstellung der Heizung
die Krypta des alten Domes zu finden. Je-
doch ohne Erfolg, weil der alte Chor nicht in
dem neuen Dom gelegen hat, sondern außerhalb.
Aus folgenden Gründen. Edith, die erste
Gattin Kaiser Ottos des Großen, ist wahr-
scheinlich im nördlichen Seitenschiff der alten
Kirche beigesetzt worden. Widukind schreibt:6)
„946 . . sepulta est autem in civitate Magatha-
burg in basilica D.OVB. latere aquilonali ad
orientem." [946 . . Sie ist aber begraben in
der Stadt Magdeburg in der neuen Basilika
an der nördlichen Seilen gegen Osten.)
') »Motrnmi »I Sei. III. (Wi-
dnlrindi res gettai i Kunovei 1839. S. 449.
Ebenso Thietmar von Merseburg:6)
.....sepultaque est in civitate prefata in maiori
aecclesia, in oratorio aquilonari." [. . . und
sie wurde begraben in der vorgenannten Stadt
im Dom im nördlichen Oratorium.]
Man wird annehmen dürfen, daß die alte
Magdeburger Domkirche schon ein Kreuz-
schiff in der Art der Bauten zu Gernrode
und Quedlinburg besessen hat, an welches
zwei Nebenapsiden angefügt waren. Im nörd-
lichen Kreuzschiff vor der Apside wird Edith
bestattet worden sein.
Erzbischof Waltherd baut die Ostseite des
Domes um. Bei Anwesenheit des Kaisers
Heinrichs des Heiligen findet die Einweihung
der nördlichen Kapelle statt: „Anno dominicae
incarnationis 1017 . . . archiepiscopus capellam
septentrionalem benedicit, presente impera-
tore."7) [Im Jahre der Fleischwerdung des
Herrn 1017 . . . weihte der Erzbischof die
nordliche Kapelle in Gegenwart des Kaisers.]
Das wird die Kapelle gewesen sein, in welcher
Edita ruhte, denn wegen einer einfachen Ka-
pelle hätte man wohl den Kaiser nicht be-
helligt. -- Daher findet sich auch später die
Feier einer Translatio Editas.8)
Nun beruft sich Domprediger Sack L582
auf die Überlieferung, daß das Grab Editas
im neuen Dom dieselbe Stelle einnähme wie
im alten.9) Demnach ist die jetzige Kapelle,
vor welcher Edita ruht, die nördliche Seiten-
apside des alten Domes. Der Baumeister
von 1207 hat das Grab Editas zum Aus-
gangspunkt der Mittellinie des neuen Domes
gemacht. In Wahrheit ein geistreiches Vor-
gehen ! Wahrscheinlich ist der runde Unter-
teil der Kapelle noch die alte Kapelle selbst.
Ergänzt man auf Grund dieser Annahme den
alten Dom, dann sieht man, daß der Haupt-
chor nebst Krypta außerhalb des jetzigen
Domes gelegen hat und man aus diesem
Grunde ihre Spuren bei der Anlage der Hei-
zung im jetzigen Dom nicht finden konnte.
Grunewald bei Berlin. Max Hasak.
«) .Monumcnta Germaniae hist « Set. III. (Thiet-
mari Chronicon.) Hannover 1839. S. 744.
') »Monuinema Germania« bist (Thietmar
nicon.) Sei. 111. Hannover 1839. S. 8.r).'i.
8) »Geschichtsblattcr fiir Stadt u. Land.« Mai^de-
burK 1891 (Sello, Domaltertümer.) S. 165.
») Wh \. r. 1S92. (II citri, .Einige Nachrichten
über den Dum in seinem früheren Zustande«) S. 365.