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Verein für Historische Waffenkunde [Hrsg.]
Zeitschrift für historische Waffen- und Kostümkunde: Organ des Vereins für Historische Waffenkunde — 7.1915-1917

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6./7. Heft
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Schwietering, Julius: Griffel und Dolch
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https://doi.org/10.11588/diglit.39949#0212

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6./7. HEFT

J. SCHWIETERING, GRIFFEL UND DOLCH

191

übertragfen. Und weil dieser orientalische Dolch
im Zeitalter der Kreuzzüge und reichsten Be-
ziehungen zur Levante das Abendland zur Wieder-
aufnahme des zweischneidigen Dolches veranlafste,
so hat man auch diese dem Stilett selbständig
gegenüberstehende Dolchwaffe mit gerader, lang-
gestreckter Klinge daca genannt. Dafs zahlreiche
im Abendland erhaltene Dolchklingen desi3/i4 Jahr-
hunderts orientalische Form haben, wies mir Herr
Henri Moser gütigst nach. Und orientalische
Formgebung erkennen wir auch an der aus der
Parallele zum Schwert oder Messer nicht erklär-
baren, aufwärts gekrümmten griffabschliefsenden
Querstange ebenso wie späterhin an der Knauf-
bildung des Ohrendolches, während die horizon-
tale oder abwärts geneigte Knaufstange sich selt-
samerweise mit der Griffbildung des Stieldolches
berührt. Bei der aufwärts gekrümmten Form hat
man mit Recht an ähnliche Spät-Hallstatt- und
La Tenebildungen erinnert, wenn die Formen-
gleichheit auch nicht soweit geht, wie uns der
bei Victor Gay, Glossaire archeologique I S.533, F
abgebildete, aus Südfrankreich oder Spanien stam-
mende ‘mittelalterliche* Dolch (Abb. 12) glauben
läfst. Denn dieser ehemals zur Sammlung Gay
gehörige Dolch, der sich nebst einem ähnlichen
Gegenstück (Nr. 01.658) nunmehr im Besitz des
Berliner Zeughauses befindet, ist kein mittelalter-
licher, sondern ein Spät - Hallstattdolch mit der
für Westeuropa charakteristischen Antennenform
(Abb. 13)8). Überhaupt darf an eine unmittelbare
Einwirkung prähistorischer Formen, die Jähns
(Trutzwaffen S. 151) für das 13. Jahrhundert vor-
schwebt, natürlich nicht gedacht werden, wie es
auch umgekehrt nicht angeht, die bestehen blei-
benden unverkennbaren Ähnlichkeiten als von ein-
ander unabhängig durch Zurückführung auf gleich-
artige Grundbedingungen erklären zu wollen. Das
hiefse derselben wissenschaftlichen Modekrankheit
verfallen, die sich für weite Gebiete der Völker-

8) Vgl.Horace Sandars, The weapons of the Iberians,
Archaeologia LXIV, 1913, S. 2i<)S. u. 265fT.; Dechelette, Ma-
nuel d’archeologie prehistorique celtique et gallo-romaine II, 2
(1913) S. 686fT, 734; Pierre Paris, Essai sur l’art et l’industrie
de l’Espagne primitive II (1904) S. 275 f. — Herr Professor
C. Schuchhardt hatte die Güte, diese Ansicht zu bestätigen.

künde verhängnisvoll zeigte und nachgerade jede
historisch-genetische Betrachtungsweise zu unter-
graben droht9).
Wieweit aber in unserm Falle der dem Abend-
landgegenüber konservativere Orient auf dem W ege
über Byzanz vorzeitliche Formen vermittelt, läfst
sich erst entscheiden, wenn wir über die Grund-
lagen dieser Kultur, über die fundamentale Be-
deutung der Westiranier10) und die Rolle der


Abb. 13. Grabfund der Nekropole von Aguilar de Anguita
Nach Archaeologia LXIV, 1913, pl. 11

Skythen, klarer sehen, um dann auch über die
kulturellen Einwirkungen der sogenannten dritten
bis nach Kleinasien reichenden Keltenwanderung
urteilen zu können.
9) Gegen solche ‘Überwindung der historischen Ana-
lyse* wendet sich zu rechter Zeit K. Burdach in seinem
temperamentvollen Vortrag ‘Deutsche Renaissance* (1916)
S. 22 f.
10) Welcher Vertiefung diese Fragestellungbedarf, zeigen
von neuem die aufschlufsreichen Untersuchungen des Sino-
logen B. Läufer (Chinese clay figures. Part I. Prolegomena
on the history of defensive armor, Chicago 1914), auf die
ich bei Gelegenheit des mittelalterlichen Panzerhemdes
zurückzukommen hoffe.
 
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