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FACHNOTIZEN
VII. BAND
Die „Dulle Griet“ von Gent. Als mich die
Kriegsereignisse im Oktober 1914 nach Gent
führten, beeilteich mich als Jünger der schwarzen
Kunst und Bruder der ehrsamen Büchsenmeister-
zunft, der „Dullen Griet“ von Gent, dieser wür-
digen Vertreterin der mittelalterlichen Artillerie,
meine Reverenz zu erweisen.
Das berühmte Geschütz, das man mit Fug
und Recht die „Dicke Berta“ des 15. Jahrhunderts
bezeichnen kann, wird leider aller Voraussicht
nach in Flandern verbleiben. Ich möchte es aus
diesem Grunde wenigstens für die Leser unserer
Zeitschrift hier im Bilde festhalten, zumal die
einschlägige Literatur meines Wissens keine ge-
liegen mag und als Wahrzeichen des Freitags-
und Fischmarktes, in dessen Ecke es eingeklam-
mert ist, gilt, so sollte man es doch auch äufser-
lich mehr ehren und ihm eine poesievollere Um-
gebung schaffen. Ein deutsches Auge vermag
sich entschieden nicht mit den vorliegenden Ver-
hältnissen zu befreunden, ja, das meinige wurde
durch die offenkundige Vernachlässigung und
Unordnung beleidigt. Ich kann dem alten Ge-
schütz seine verdriefsliche Stimmung nicht ver-
denken.
Die beigegebene Abbildung zeigt, dafs die
„Dulle Griet“ zur Klasse der Bombarden ge-
hört. Ihr Rohr gliedert sich in den langen Flug
Die „Dulle Griet“ von Gent.
treuen Abbildungen, dafür aber verschiedene
irrige Angaben enthält.
Ich fand die „Dulle Griet“ schläfrig an einem
ihrer historischen Bedeutung in keiner Weise
entsprechenden, ja, ich möchte in Rücksicht auf
die unmittelbare und höchst „anrüchige“ Nachbar-
schaft einer der bekannten belgischen, ungemein
primitiven Bedürfnisanstalten, sagen: direkt un-
würdigem Platze! Aber nicht nur der Aufstel-
lungsort, sondern auch der Umstand, dafs man
das g-eräumige Innere der alten Donnerbüchse,
also ihre „Seele“, als Müllkasten und Sammelstelle
für fortgeworfenes Papier, Apfelsinenschalen und
dergleichen Marktkehricht zu betrachten schien,
spricht wohl dafür, dafs die Belgier dem ehr-
würdigen Stück nicht die Achtung zollen, die ihm
nach Vergangenheit und Alter unbedingt gebührt.
Wenngleich es seit Jahrhunderten an dieser Stelle
und in die feste, eng'ere und scharf abgesetzte
Kammer.
Sie ist ein Vorderlader, entgegen der in
Essenweins Quellen zur Geschichte der Feuer-
waffen enthaltenen Angabe. Dort ist sie nämlich
ausdrücklich als Hinterlader angesprochen, ein
mir unerklärlicher Irrtum. Die „Dulle Griet“ ist
aus schmiedeisernen Stäben und Ringen nach
Art derDauben einesFasseszusammengeschweifst,
weicht also in nichts von der charakteristischen
Konstruktion der frühen eisernen Büchsen ab.
Ihr Entstehungsjahr wird in die Mitte des 15. Jahr-
hunderts zu setzen sein. Genaue Feststellungen
lassen sich über die Zeit ihrer Anfertigung nicht
machen. Nach älteren Schriftstellern soll sie
allerdings schon 1382 geschmiedet und 1411 im
Kampf zwischen den Bürgern von Gent mit der
Stadt Audenarde Verwendung gefunden haben,
FACHNOTIZEN
VII. BAND
Die „Dulle Griet“ von Gent. Als mich die
Kriegsereignisse im Oktober 1914 nach Gent
führten, beeilteich mich als Jünger der schwarzen
Kunst und Bruder der ehrsamen Büchsenmeister-
zunft, der „Dullen Griet“ von Gent, dieser wür-
digen Vertreterin der mittelalterlichen Artillerie,
meine Reverenz zu erweisen.
Das berühmte Geschütz, das man mit Fug
und Recht die „Dicke Berta“ des 15. Jahrhunderts
bezeichnen kann, wird leider aller Voraussicht
nach in Flandern verbleiben. Ich möchte es aus
diesem Grunde wenigstens für die Leser unserer
Zeitschrift hier im Bilde festhalten, zumal die
einschlägige Literatur meines Wissens keine ge-
liegen mag und als Wahrzeichen des Freitags-
und Fischmarktes, in dessen Ecke es eingeklam-
mert ist, gilt, so sollte man es doch auch äufser-
lich mehr ehren und ihm eine poesievollere Um-
gebung schaffen. Ein deutsches Auge vermag
sich entschieden nicht mit den vorliegenden Ver-
hältnissen zu befreunden, ja, das meinige wurde
durch die offenkundige Vernachlässigung und
Unordnung beleidigt. Ich kann dem alten Ge-
schütz seine verdriefsliche Stimmung nicht ver-
denken.
Die beigegebene Abbildung zeigt, dafs die
„Dulle Griet“ zur Klasse der Bombarden ge-
hört. Ihr Rohr gliedert sich in den langen Flug
Die „Dulle Griet“ von Gent.
treuen Abbildungen, dafür aber verschiedene
irrige Angaben enthält.
Ich fand die „Dulle Griet“ schläfrig an einem
ihrer historischen Bedeutung in keiner Weise
entsprechenden, ja, ich möchte in Rücksicht auf
die unmittelbare und höchst „anrüchige“ Nachbar-
schaft einer der bekannten belgischen, ungemein
primitiven Bedürfnisanstalten, sagen: direkt un-
würdigem Platze! Aber nicht nur der Aufstel-
lungsort, sondern auch der Umstand, dafs man
das g-eräumige Innere der alten Donnerbüchse,
also ihre „Seele“, als Müllkasten und Sammelstelle
für fortgeworfenes Papier, Apfelsinenschalen und
dergleichen Marktkehricht zu betrachten schien,
spricht wohl dafür, dafs die Belgier dem ehr-
würdigen Stück nicht die Achtung zollen, die ihm
nach Vergangenheit und Alter unbedingt gebührt.
Wenngleich es seit Jahrhunderten an dieser Stelle
und in die feste, eng'ere und scharf abgesetzte
Kammer.
Sie ist ein Vorderlader, entgegen der in
Essenweins Quellen zur Geschichte der Feuer-
waffen enthaltenen Angabe. Dort ist sie nämlich
ausdrücklich als Hinterlader angesprochen, ein
mir unerklärlicher Irrtum. Die „Dulle Griet“ ist
aus schmiedeisernen Stäben und Ringen nach
Art derDauben einesFasseszusammengeschweifst,
weicht also in nichts von der charakteristischen
Konstruktion der frühen eisernen Büchsen ab.
Ihr Entstehungsjahr wird in die Mitte des 15. Jahr-
hunderts zu setzen sein. Genaue Feststellungen
lassen sich über die Zeit ihrer Anfertigung nicht
machen. Nach älteren Schriftstellern soll sie
allerdings schon 1382 geschmiedet und 1411 im
Kampf zwischen den Bürgern von Gent mit der
Stadt Audenarde Verwendung gefunden haben,