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Verein für Historische Waffenkunde [Hrsg.]; Verein für Historische Waffenkunde [Mitarb.]
Zeitschrift für historische Waffen- und Kostümkunde: Organ des Vereins für Historische Waffenkunde — 7.1915-1917

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12. Heft
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Forrer, Robert: Gotische und exotische Stangenbüchsen in Drehgabeln
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https://doi.org/10.11588/diglit.39949#0359

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336

R. FORRER, GOTISCHE UND EXOTISCHE STANGENBÜCHSEN IN DREIGABELN VII. BAND

schmiedeeisernen schon einem etwas fortge-
schritteneren Stadium angehört haben, denn die
äufsere Form des Rohres (Abb. 4) verrät An-
lehnung an die europäischen Bronzerohre der
Frührenaissance. Dem entspricht auch die An-
wendung mitgegossener Zielvorrichtungen („Ab-
sehen“, „Mücke“) und die Ornamentik in ihrer
Grundanlage. Man wird die Vorlage etwa um
1510—30 zu suchen haben, gerade die Zeit,
während welcher die Portugiesen in Indien und
Indonesien die gröfsten Erfolge hatten.
Aber gegenüberden europäischen Rohren jener
Aera zeigt dies indische doch ganz ausgesprochen
orientalisch-indisches Gepräge. Die Verstärkung
der Mündung als senkrecht gesetzter Reif ist in
einer Weise übertrieben und am Rande ornamental
ausgestaltet, wie dies europäische Rohre nicht
bieten. Das Zickzackornament vor der Mündung

Sprung der indischen Kunst begründet ist. Exo-
tische Hand verrät sich selbst in dem zwischen
Zündloch und Rohrmitte aufgesetzten (mitge-
gossenen) Absehen, das der indische Künstler
gleich einer stilisierten Frucht modelliert hat.
Rohre dieser Art und in verschiedenen Formaten,
von Arm- bis Manneslänge, sah ich in verschie-
denen, besonders englischen Museen. Sie sind,
abgesehen von den verschiedenen Längen, von
überraschender Gleichart in Form und Dekoration.
Manche sind feiner gearbeitet, andere, insbe-
sonders was die Ornamente anbetrifft, roher,
flüchtiger gegossen. Bei letzteren scheint es sich
um spätere Arbeiten zu handeln. Die besseren
gehören sicher noch ins 16., die geringeren wohl
ins 17. Jahrhundert. Einzelne dieser Rohre haben
gleich den spätgotischen Vorbildern und gleich
dem Eisenrohr Abb. 3 hinten vieleckigen Quer-



Abb. 5. Ornamentik (in Reliefgufs) der bronzenen Stangenbüchse aus Ostindien, Abb. 4.

ist zwar ersichtlich dem zickzackartigen Flammen-
ornament nachgebildet, das hin und wieder euro-
päische Bronzerohre aus der ersten Hälfte des
16. Jahrhunderts hinter der Mündung zeigen, aber
in unserem exotischen Original hat dies Ornament
seinen engeren Zusammenhang mit dem Rohr —
als herauslodernde Flamme — verloren, ist es
lediglich noch ein Ornament, das mehr an ein
Tricktrackspiel oder an eine zackige Manschetten-
spitze, denn an loderndes Mündungsfeuer erinnert.
Und die in die spitzen Dreiecke eingelegten Zier-
motive sind vollends nicht mehr europäisch,
sondern verraten deutlich den indischen Stil,
Indischen und nicht mehr europäischen Renais-
sancegepräges sind auch die übrigen Ornamente,
sowohl im Stil wie in der Art ihrer Verteilung
über das Rohr, indischen Stils ist auch der stilisiert
modellierte Blattabschlufs hinter dem Zündloch,
der mehr an antike als an Renaissancevorbilder
erinnert und in der Tat ja auch im antiken Ur-

schnitt, andere zeigen die hintere Hälfte des
Rohres mit Schnurwindungen dekoriert, wie sie
oft an Handfeuerrohren und Geschützabbildungen
der späten Maximilianszeit und bis ca. 1530 zu
beobachten sind (vgl. z. B. ,,Weisskunig“ bei
Essenwein A C VI und den Schäufelinholzschnitt
Essenwein A CXI). Einzelne ahmen selbst die Del-
phinbügel der europäischen Kanonenrohre nach.
Übrigens sind diese indischen und hinter-
indischen Bronzerohre nicht die einzigen Beispiele
exotischer Fortführung älterer europäischer Ge-
schütztypen. In China und Japan haben an-
nähernd zur selben Zeit europäische Haken-
büchsen Eingang und nahezu sklavische Nach-
ahmung gefunden. („1544 hat der Portugiese
Mendez Pinto Schiefspulver und Feuergewehre
in Japan eingeführt“). Es wäre zu wünschen, dafs ein
Museum, das eine gröfsere Zahl derartiger alt-
chinesischer Handbüchsen besitzt, sie in dieser
Zeitschrift einmal bekannt gäbe.
 
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