Baumeister: das Architektur-Magazin — 3.1905
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https://doi.org/10.11588/diglit.49991#0010
DOI Heft:
Heft 1 (1904, Oktober)
DOI Artikel:Suchodolski, Siegmund v.: Bürgerliche Baukunst in Berlin
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DER BAUMEISTER -> 1904, OKTOBER.
Arch. P. Jatzow und E. Eichberg. Berlin, Potsdamerstrasse90.
auf den Schmuck des Einzelbaues, sondern die
organische Ausbildung eines ganzen Häuser-
blockes beziehen.
Wenn Meier auf sein Haus, inmitten einer
Häuserreihe, eine Art phantastischen Turm setzt,
der an sich schon übel aussieht, so beeilt sich
der Nachbar Müller, es ihm nachzutun; und so
bieten die Strassen buntgezackte Bilder, die den
Beweis liefern, dass keiner von allen daran dachte,
die einmalige Unterbrechung einer ruhigen Linie
sei wirkungsvoller, als ein ewiges Auf und Nieder.
Wollte man die Häuser Berlins mit einem
grossen Messer förmlich abkratzen, so dass aller
Ornamenten- und Gesimskram abfiele und bloss
die nackten Mauern und die Fenster blieben:
man würde staunen, wieviel damit schon getan
wäre. Ich will damit sagen, dass die Klage, aus
einem modernen Zinshaus liesse sich in recht
vielen Fällen keine schön gegliederte und pro-
portionierte Fassade schaffen, sehr unbegründet
ist. Warum man sich darauf wirft, durch noch
kleinere Teilungen, als es die Fenster des Hauses
schon mit sich bringen, den Aufbau unorganisch
zu machen, warum man so selten darauf verfällt,
unn auch einmal die Senkrechte sprechen zu
lassen und die Proportion der Fassade dadurch zu
veredeln, ist unklar. Und selbst der grösste Reich-
tum in der Abwechslung von Erkern, Baikonen etc.
würde kaum in dem Masse stören, wie es der
Fall ist, wenn nicht jeder Erker an und für sich
ein Unding, jeder Balkon ein angeklebtes Stück,
aller Logik spottend, wäre.
Und an all’ diesen Häusern hat man in Berlin,
mehr noch, als in anderen Städten, die traurige
Wahrnehmung zu machen, dass minderwertiges
Material als Surrogat für reicheres verwandt wird;
wir haben da vor allem den Putzbau, der uns die
Hausteinfassade vortäuscht u. s. w.
Frägt man nun nach Gründen, die, abgesehen
von dem jeweils mangelnden Geschmack des be-
treffenden Baumeisters, einem erquicklichen Ge-
samtbild hindernd im Wege stehen, so wird man
sich einmal ansehen müssen, wie es denn mit der
Bildung unserer Berliner Handwerker steht; und
im Anschluss daran wird ein Hinweis auf den
Stand des Berliner Kunstgewerbes am Platze sein.
Gerade der erstere Punkt legt einen Vergleich
zwischen München und Berlin nahe.
Der Münchener Arbeiter ist im allgemeinen kein
technisches Genie; wenigstens wird er von seinen
Berliner Kollegen in dieser Beziehung bei weitem
übertroffen. Geschicklichkeit, Sauberkeit und Akku-
ratesse der Arbeit bilden in Berlin die Grundzüge
des gewerblichen Betriebes; aber gerade das, was
man mit dem Worte „Sauberkeit" bezeichnet, wird
oft ein Moment, das dem künstlerischen Gepräge
der betreffenden Arbeit erheblichen Abbruch tut:
ich meine die Arbeit „auf Glanz", die der Stolz
des Berliner Handwerkers ist, ein Betreben, dessen
Grund einerseits in mangelndem Geschmack seitens
des Ausführenden, anderenteils in der Geschmacks-
richtung weitaus des grössten Teils unseres Publi-
kums zu suchen ist. Ich meine also, dass der
Berliner Handwerker im grossen und ganzen zu
wenig für den Architekten erzogen ist, wodurch er
sich wiederum im Gegensatz zu seinen Mün-
chener Kollegen stellt.
Jedenfalls ersetzt dieser, was ihm an Fixigkeit,
Handfertigkeit und vielleicht auch an dem regen
Fleiss abgeht, der für den Berliner so charakte-
Architekten Hart und Lesser.
Berlin, Tauenzienstr. 12a.
DER BAUMEISTER -> 1904, OKTOBER.
Arch. P. Jatzow und E. Eichberg. Berlin, Potsdamerstrasse90.
auf den Schmuck des Einzelbaues, sondern die
organische Ausbildung eines ganzen Häuser-
blockes beziehen.
Wenn Meier auf sein Haus, inmitten einer
Häuserreihe, eine Art phantastischen Turm setzt,
der an sich schon übel aussieht, so beeilt sich
der Nachbar Müller, es ihm nachzutun; und so
bieten die Strassen buntgezackte Bilder, die den
Beweis liefern, dass keiner von allen daran dachte,
die einmalige Unterbrechung einer ruhigen Linie
sei wirkungsvoller, als ein ewiges Auf und Nieder.
Wollte man die Häuser Berlins mit einem
grossen Messer förmlich abkratzen, so dass aller
Ornamenten- und Gesimskram abfiele und bloss
die nackten Mauern und die Fenster blieben:
man würde staunen, wieviel damit schon getan
wäre. Ich will damit sagen, dass die Klage, aus
einem modernen Zinshaus liesse sich in recht
vielen Fällen keine schön gegliederte und pro-
portionierte Fassade schaffen, sehr unbegründet
ist. Warum man sich darauf wirft, durch noch
kleinere Teilungen, als es die Fenster des Hauses
schon mit sich bringen, den Aufbau unorganisch
zu machen, warum man so selten darauf verfällt,
unn auch einmal die Senkrechte sprechen zu
lassen und die Proportion der Fassade dadurch zu
veredeln, ist unklar. Und selbst der grösste Reich-
tum in der Abwechslung von Erkern, Baikonen etc.
würde kaum in dem Masse stören, wie es der
Fall ist, wenn nicht jeder Erker an und für sich
ein Unding, jeder Balkon ein angeklebtes Stück,
aller Logik spottend, wäre.
Und an all’ diesen Häusern hat man in Berlin,
mehr noch, als in anderen Städten, die traurige
Wahrnehmung zu machen, dass minderwertiges
Material als Surrogat für reicheres verwandt wird;
wir haben da vor allem den Putzbau, der uns die
Hausteinfassade vortäuscht u. s. w.
Frägt man nun nach Gründen, die, abgesehen
von dem jeweils mangelnden Geschmack des be-
treffenden Baumeisters, einem erquicklichen Ge-
samtbild hindernd im Wege stehen, so wird man
sich einmal ansehen müssen, wie es denn mit der
Bildung unserer Berliner Handwerker steht; und
im Anschluss daran wird ein Hinweis auf den
Stand des Berliner Kunstgewerbes am Platze sein.
Gerade der erstere Punkt legt einen Vergleich
zwischen München und Berlin nahe.
Der Münchener Arbeiter ist im allgemeinen kein
technisches Genie; wenigstens wird er von seinen
Berliner Kollegen in dieser Beziehung bei weitem
übertroffen. Geschicklichkeit, Sauberkeit und Akku-
ratesse der Arbeit bilden in Berlin die Grundzüge
des gewerblichen Betriebes; aber gerade das, was
man mit dem Worte „Sauberkeit" bezeichnet, wird
oft ein Moment, das dem künstlerischen Gepräge
der betreffenden Arbeit erheblichen Abbruch tut:
ich meine die Arbeit „auf Glanz", die der Stolz
des Berliner Handwerkers ist, ein Betreben, dessen
Grund einerseits in mangelndem Geschmack seitens
des Ausführenden, anderenteils in der Geschmacks-
richtung weitaus des grössten Teils unseres Publi-
kums zu suchen ist. Ich meine also, dass der
Berliner Handwerker im grossen und ganzen zu
wenig für den Architekten erzogen ist, wodurch er
sich wiederum im Gegensatz zu seinen Mün-
chener Kollegen stellt.
Jedenfalls ersetzt dieser, was ihm an Fixigkeit,
Handfertigkeit und vielleicht auch an dem regen
Fleiss abgeht, der für den Berliner so charakte-
Architekten Hart und Lesser.
Berlin, Tauenzienstr. 12a.