DER BAUMEISTER * 1904, OKTOBER.
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Um so grösseren Genuss werden die Abbildungen des
Werkes gewähren, die einen guten Überblick darüber geben,
was heute in England geleistet wird. Freilich fehlen eine
Anzahl der hervorragendsten Vertreter der heutigen eng-
lischen Hausarchitektur völlig. W. R. Lethaby, W. H. Baillie
Scott, Edgar Wood, Charles R. Mackintosh, C. H. Harrison
Townseud; das sind aber gerade die Führer im heutigen
Hausbau, die, wenn auch sie nicht die grössten Architektur-
bureaus haben, doch der Entwicklung die Wege weisen.
Aber was übrig bleibt, ist noch lohnend genug, und die
ganze Art, wie sich das Buch gibt, ist so reizend, dass man
mit Vergnügen nach ihm greifen wird, zumal sein Preis in
Anbetracht des Gebotenen sehr niedrig ist.
Die Anregung, die wir heute aus der englischen Haus-
architektur ziehen können, ist allgemeiner, nicht besonderer
Natur. Die Einzelformen, die dort gehandhabt werden, können
uns wenig helfen, die
inneren Anordnungen
widersprechen zum Teil
den deutschen Bedin-
gungen. Nichts Schlim-
meres für uns, als wenn
wir heute eine Mode der
englischen Hausnachah-
mung bekämen! Was
wir aber vom englischen
Hause lernen können
und worin wir den Eng-
ländern im Hausbau
nacheifern sollten, ist die
Gesinnung, die hier be-
tätigt wird. Äusserste
Sachlichkeit und völlige
Abwesenheit von Präten-
sion, anständige Zurück-
haltung im Formalen
und bester, gediegenster
Geschmack, das sind
die leuchtenden Vorzüge
des englischen Hauses.
Wir können das alles auch in Deutschland haben, ohne
englische Häuser nachzuahmen. Ja, wir brauchen nur den-
selben Weg zu gehen, den man in England gegangen
ist, um auf deutschem Boden und auf deutschen Vor-
bedingungen zu denselben Ergebnissen zu gelangen. Das
englische Rezept ist sehr einfach. Man liess die italienischen
Schönheitsideale fallen und hörte auch auf, Ritterburgen zu
bauen, aber man sah sich die alten Bauernhäuser an und lernte
an ihnen. Man lernte an der Einfachheit, Geradheit und innigen
Naivität, die sich an ihnen ausspricht und versuchte ähnliches
im modernen Einzelhause zu verkörpern. Freilich gehörte
dazu eine gewisse Reife des Urteils, die wirklich das Gute
in den einfachen Landarchitekturen erkannte und nicht die
imitierte Ritterburg für etwas Schöneres hielt.
Der deutsche Villenbau steht heute noch fast ganz auf dem
Boden der imitierten Ritterburg. Ohne Türmchen, Giebel-
ehen, Risalitchen und Ziererkerchen tun wir es noch nicht,
ein einfaches Satteldach auf ungegliederten Mauern erscheint
noch „uninteressant“ und zu wenig „malerisch“. Wir frisieren
noch Fassaden für die Strassenbesucher auf und häufen alle
„Motive“, die wir in unseren Skizzenbüchern haben, an einem
kleinen Häuschen auf. Dann kommen allerdings die Strassen-
bilder heraus, die man heute in unsern Villenvororten sieht;
für jeden, der den englischen Hausbau kennt, die potenzierte
Unkultur. Ungeschmack und prätensiöse Neigungen des
Publikums wirken hier zusammen mit einer gänzlich ver-
fehlten Erziehung der Architekten. Aber die Architekten
trifft die Hauptschuld. Im allgemeinen ist das Publikum
gelehrig, wenn es belehrt wird. Es hat noch zum Fachmann
das Vertrauen, dass er die Wege weist, dass er den Kunden
berät. Die Beratung kann
so oder so erfolgen, je
nach der Art des Be-
raters. Deshalb handelt
es sich darum, dass eine
anständigere künstle-
rische Gesinnung zu-
nächst unter den Archi-
tekten Boden gewinnt,
dass bei ihnen der Reiz
des Einfachen und Natür-
lichen erkannt wird, dass
der falsche Schein abge-
wiesen, im besondern die
wildgemachte Baugruppe
und die auffrisierte
Strassenfassade vermie-
den wird. Das würde
nur die Abstellung der
alleräussersten Miss-
stände bedeuten. Die
eigentliche Vertiefung,
die feine Einzelarbeit an
der Ausbildung des
Hauses fängt dann erst an.
Dass wir einer solchen Entwicklung entgegensehen werden,
daran ist nicht zu zweifeln. Die Morgenröte einer neuen
Zeit, einer geläuterten Kultur des Hausbaues steigt schon
herauf. Von der jüngsten Generation ist zu hoffen, dass sie
sie erleben und vertreten wird. Es wird eine Hauskultur
sein, die der englischen ebenbürtig, aber doch grunddeutsch
sein wird. Sie heraufzuführen, wird uns aber vorläufig der
Blick auf die englischen Verhältnisse noch von massgebendem
Nutzen sein können. Deshalb kann man nur dazu ermuntern,
ihn fleissig auf das englische Haus zu richten, solange uns
dieses noch durch die höhere Kulturstufe, auf der er steht,
von vorbildlichem Werte sein kann.
Arch. Leonard Stokes. St. Michaelis, Arcot Heath.
Verkleinerte Abbildung aus Sparrow, British House.
Das L. Ostermayr’sche
Das Warenhaus der Firma L. Ostermayr & Söhne kam
auf einer vordem mit vier alten Häusern überbauten Grund-
fläche zur Ausführung und ist in Bezug auf Intensität der Be-
bauung, wie rationelle Raumausmittlung gleich bemerkenswert;
vornehmlich aber hinsichtlich seiner äusseren Gestaltung ge-
eignet, erhöhtes Interesse zu erwecken.
Die auf fünf Stockwerkshöhen sich erstreckende, 31 m lange
Gebäudefront mit ihren reich ornamentierten Giebelaufbauten
zeigt eine überaus wirkungsvolle architektonische Gliederung
und reichen ornamentalen Schmuck.
Für letzteren hat Architekt Professor Paul Pfann in Mün-
chen, nach dessen Entwürfen die Durchbildung der Fassade
erfolgte, die Formen der deutschen Renaissance nach freier
Bearbeitung in moderner Auffassung angewandt.
Es ist ihm damit in glücklicher Weise gelungen, die Kunst
Hiezu Tafel 1—5.
der Väter seiner Heimatstadt neuzeitlich empfunden
zur Geltung zu bringen; dem neuzeitlichen Kaufhause mit
seinen grossen Schaufenstern Nürnbergisches Gepräge zu
geben.
Durch möglichste Auflösung der Mauerflächen in den oberen
drei Stockwerken ist der Eindruck vermieden, als ob die
oberen Mauermassen mit ihrer Last zu sehr auf die Mauer-
pfeiler der unteren Geschosse drückten etc., wie es in ähn-
lichen Fällen nicht selten empfunden werden muss.
In der durch Anordnung von Erkerausbauten vorteilhaft be-
lebten Fassade wurde im wesentlichen die vertikale Linie stark
betont, einerseits, um bei der nicht unbeträchtlichen Front-
länge eine entsprechende Höhenwirkung zu erzielen, ander-
seits, um die äussere Erscheinung des Bauwerkes dem
Strassenbilde möglichst vorteilhaft einzuordnen. Die ganze
Kauf- und Wohnhaus in Nürnberg.
Architekt Professor Paul Pfann in München.
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Um so grösseren Genuss werden die Abbildungen des
Werkes gewähren, die einen guten Überblick darüber geben,
was heute in England geleistet wird. Freilich fehlen eine
Anzahl der hervorragendsten Vertreter der heutigen eng-
lischen Hausarchitektur völlig. W. R. Lethaby, W. H. Baillie
Scott, Edgar Wood, Charles R. Mackintosh, C. H. Harrison
Townseud; das sind aber gerade die Führer im heutigen
Hausbau, die, wenn auch sie nicht die grössten Architektur-
bureaus haben, doch der Entwicklung die Wege weisen.
Aber was übrig bleibt, ist noch lohnend genug, und die
ganze Art, wie sich das Buch gibt, ist so reizend, dass man
mit Vergnügen nach ihm greifen wird, zumal sein Preis in
Anbetracht des Gebotenen sehr niedrig ist.
Die Anregung, die wir heute aus der englischen Haus-
architektur ziehen können, ist allgemeiner, nicht besonderer
Natur. Die Einzelformen, die dort gehandhabt werden, können
uns wenig helfen, die
inneren Anordnungen
widersprechen zum Teil
den deutschen Bedin-
gungen. Nichts Schlim-
meres für uns, als wenn
wir heute eine Mode der
englischen Hausnachah-
mung bekämen! Was
wir aber vom englischen
Hause lernen können
und worin wir den Eng-
ländern im Hausbau
nacheifern sollten, ist die
Gesinnung, die hier be-
tätigt wird. Äusserste
Sachlichkeit und völlige
Abwesenheit von Präten-
sion, anständige Zurück-
haltung im Formalen
und bester, gediegenster
Geschmack, das sind
die leuchtenden Vorzüge
des englischen Hauses.
Wir können das alles auch in Deutschland haben, ohne
englische Häuser nachzuahmen. Ja, wir brauchen nur den-
selben Weg zu gehen, den man in England gegangen
ist, um auf deutschem Boden und auf deutschen Vor-
bedingungen zu denselben Ergebnissen zu gelangen. Das
englische Rezept ist sehr einfach. Man liess die italienischen
Schönheitsideale fallen und hörte auch auf, Ritterburgen zu
bauen, aber man sah sich die alten Bauernhäuser an und lernte
an ihnen. Man lernte an der Einfachheit, Geradheit und innigen
Naivität, die sich an ihnen ausspricht und versuchte ähnliches
im modernen Einzelhause zu verkörpern. Freilich gehörte
dazu eine gewisse Reife des Urteils, die wirklich das Gute
in den einfachen Landarchitekturen erkannte und nicht die
imitierte Ritterburg für etwas Schöneres hielt.
Der deutsche Villenbau steht heute noch fast ganz auf dem
Boden der imitierten Ritterburg. Ohne Türmchen, Giebel-
ehen, Risalitchen und Ziererkerchen tun wir es noch nicht,
ein einfaches Satteldach auf ungegliederten Mauern erscheint
noch „uninteressant“ und zu wenig „malerisch“. Wir frisieren
noch Fassaden für die Strassenbesucher auf und häufen alle
„Motive“, die wir in unseren Skizzenbüchern haben, an einem
kleinen Häuschen auf. Dann kommen allerdings die Strassen-
bilder heraus, die man heute in unsern Villenvororten sieht;
für jeden, der den englischen Hausbau kennt, die potenzierte
Unkultur. Ungeschmack und prätensiöse Neigungen des
Publikums wirken hier zusammen mit einer gänzlich ver-
fehlten Erziehung der Architekten. Aber die Architekten
trifft die Hauptschuld. Im allgemeinen ist das Publikum
gelehrig, wenn es belehrt wird. Es hat noch zum Fachmann
das Vertrauen, dass er die Wege weist, dass er den Kunden
berät. Die Beratung kann
so oder so erfolgen, je
nach der Art des Be-
raters. Deshalb handelt
es sich darum, dass eine
anständigere künstle-
rische Gesinnung zu-
nächst unter den Archi-
tekten Boden gewinnt,
dass bei ihnen der Reiz
des Einfachen und Natür-
lichen erkannt wird, dass
der falsche Schein abge-
wiesen, im besondern die
wildgemachte Baugruppe
und die auffrisierte
Strassenfassade vermie-
den wird. Das würde
nur die Abstellung der
alleräussersten Miss-
stände bedeuten. Die
eigentliche Vertiefung,
die feine Einzelarbeit an
der Ausbildung des
Hauses fängt dann erst an.
Dass wir einer solchen Entwicklung entgegensehen werden,
daran ist nicht zu zweifeln. Die Morgenröte einer neuen
Zeit, einer geläuterten Kultur des Hausbaues steigt schon
herauf. Von der jüngsten Generation ist zu hoffen, dass sie
sie erleben und vertreten wird. Es wird eine Hauskultur
sein, die der englischen ebenbürtig, aber doch grunddeutsch
sein wird. Sie heraufzuführen, wird uns aber vorläufig der
Blick auf die englischen Verhältnisse noch von massgebendem
Nutzen sein können. Deshalb kann man nur dazu ermuntern,
ihn fleissig auf das englische Haus zu richten, solange uns
dieses noch durch die höhere Kulturstufe, auf der er steht,
von vorbildlichem Werte sein kann.
Arch. Leonard Stokes. St. Michaelis, Arcot Heath.
Verkleinerte Abbildung aus Sparrow, British House.
Das L. Ostermayr’sche
Das Warenhaus der Firma L. Ostermayr & Söhne kam
auf einer vordem mit vier alten Häusern überbauten Grund-
fläche zur Ausführung und ist in Bezug auf Intensität der Be-
bauung, wie rationelle Raumausmittlung gleich bemerkenswert;
vornehmlich aber hinsichtlich seiner äusseren Gestaltung ge-
eignet, erhöhtes Interesse zu erwecken.
Die auf fünf Stockwerkshöhen sich erstreckende, 31 m lange
Gebäudefront mit ihren reich ornamentierten Giebelaufbauten
zeigt eine überaus wirkungsvolle architektonische Gliederung
und reichen ornamentalen Schmuck.
Für letzteren hat Architekt Professor Paul Pfann in Mün-
chen, nach dessen Entwürfen die Durchbildung der Fassade
erfolgte, die Formen der deutschen Renaissance nach freier
Bearbeitung in moderner Auffassung angewandt.
Es ist ihm damit in glücklicher Weise gelungen, die Kunst
Hiezu Tafel 1—5.
der Väter seiner Heimatstadt neuzeitlich empfunden
zur Geltung zu bringen; dem neuzeitlichen Kaufhause mit
seinen grossen Schaufenstern Nürnbergisches Gepräge zu
geben.
Durch möglichste Auflösung der Mauerflächen in den oberen
drei Stockwerken ist der Eindruck vermieden, als ob die
oberen Mauermassen mit ihrer Last zu sehr auf die Mauer-
pfeiler der unteren Geschosse drückten etc., wie es in ähn-
lichen Fällen nicht selten empfunden werden muss.
In der durch Anordnung von Erkerausbauten vorteilhaft be-
lebten Fassade wurde im wesentlichen die vertikale Linie stark
betont, einerseits, um bei der nicht unbeträchtlichen Front-
länge eine entsprechende Höhenwirkung zu erzielen, ander-
seits, um die äussere Erscheinung des Bauwerkes dem
Strassenbilde möglichst vorteilhaft einzuordnen. Die ganze
Kauf- und Wohnhaus in Nürnberg.
Architekt Professor Paul Pfann in München.