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Baumeister: das Architektur-Magazin — 3.1905

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Heft 1 (1904, Oktober)
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Suchodolski, Siegmund v.: Bürgerliche Baukunst in Berlin
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Högg, Emil: Tirol, [1]: Architektonische Plauderei
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https://doi.org/10.11588/diglit.49991#0012

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DER BAUMEISTER * 1904, OKTOBER.


Berlin, Martin Lutherstr. 88 (Sanatorium.)

Die hier beigefügten Ansichten mehrerer Mietshausfassaden
sollen nicht als „Musterbeispiele“ gelten, auch nicht als Bei-
spiel für das etwa zu erreichende Ziel eines „lokalen Gepräges“
unserer Berliner Baukunst. Aber sie illustrieren wohl vieles,
was ich über gesunde Bauart sagte, und es wäre zu wünschen,
dass wir derartigen Leistungen hier nicht allzu vereinzelt be-
gegneten.
Wenn ich das über Berliner Verhältnisse Gesagte versuche
kurz zusammenzufassen, glaube ich, zu folgendem Resultat
zu kommen: Berlin ist zu gross, zu gewaltig an Ausdehnung,
zu sehr „Weltstadt“, um für die Entwicklung einer Baukunst,
wie sie etwa München jetzt bietet, der rechte Grund und
Boden zu sein. Die einzelne gute Leistung geht im Ganzen
unter, in dem Strudel der Millionenstadt, das heisst: sie ist
unfähig, Schule zu machen. Und wollte Berlin dem Ziele
nur einigermassen näher rücken, so müsste vor allen Dingen
ein Grundzug durch die Bestrebungen seiner Künstlerschaft
gehen: der des fröhlichen, neidlosen Zusammenarbeitens, das
alle vereint, ohne andere Rücksichten als die auf die persön-
lichen Fähigkeiten.

Tirol.
Architektonische Plauderei von Emil Högg.
(Vergl. hierzu die Tafeln „Alte Bauformen“ des 2. Jahrg.
No. 1, 2, 5-14.)
Als ich, ein fahrender Schüler der Baukunst, am Schlüsse
einer langen sonnigen Studienzeit in Italien, resigniert und
traurig wieder über die Alpen geklettert war, geschah das
Unerwartete, dass ich eine Steigerung meiner Eindrücke
erlebte. Mir war, als habe ich eine hochmütige fremde
Gesellschaft verlassen und träte nun mitten unter derbfrohe,
altvertraute Gesellen. Alles schien mir so befreundet und
dennoch kannt ich’s nicht. Denn was kennt der Student nach
absolvierten 9 Semestern von deutscher Architektur? na, ich
will nicht renommieren — von tiroler Architektur kennt er
jedenfalls nichts. Kaum den Namen Paukert. Mir wenigstens
ging es damals so, weshalb ich schleunigst um Bädeker
und Gsellfels telegraphierte. Zwar hat mich bald der Schnee-
wind vollends aus den Alpen herausgepeitscht. Aber ich bin
seither Jahr für Jahr wieder hinüber und doch nie mehr
weiter gekommen, als bis an den Gardasee. So stark ist
der Zauber des Landes Tirol und so gross sein Reichtum an
Kunstschätzen. Von der Natur in allen ihren flüssigen und
festen Formen ganz zu schweigen.
Zunächst erschien mir Tirol als das Land deutscher Ur-
sprünglichkeit, eine Annahme, die gar keine Berechtigung
hat, wie ich bald erkannte, die ich aber heute noch begreif-
lich finde, weil die ganze Kunstentwicklung und Kunstäusse-
rung dieses Landes seinem kräftigen Zusatz germanischen
Wesens und Blutes eine grosse Einheitlichkeit trotz aller
Mannigfaltigkeit verdankt und ferner, weil hier — besonders
abseits von den Touristenstrassen — sich ein behaglich
stagnierendes Mittelalter erhalten hat, welches direkt an
unsere Vorstellungen von der guten alten Zeit anknüpft.
Längst aber haben die Gelehrten nachgewiesen, dass nur ein
sehr bescheidener Prozentsatz von Germanenblut im tiroler
Volkskörper kreist; allerdings darf man stolz sagen: ver-
hältnismässig am meisten in seinen schönsten und tüchtigsten
Stämmen. Ein kurzer ethnographischer Rückblick möge der
Schilderung der Kunstschätze Tirols vorausgehen.
Die Urbevölkerung, welche die Römer bei ’ ihrem Vor-
dringen in die Alpen antrafen, waren Rhätier, ein Sammel-
name für eine Anzahl gesonderter keltischer Volksstämme.
Diese Kelten wurden unter Kaiser Augustus bekämpft, unter-
worfen und nach dem probaten Modus der Römer koloni-
siert, d. h. romanisiert. Die grosse Heerstrasse über den
Brenner wurde angelegt und verband fortab Oberitalien mit
dem Inntal; bald führte eine zweite von Bozen durch Etsch-
land und Vintschgau über den Finstermünzpass bodensee-
wärts. Als Zeugen aus jener Zeit der Römerherrschaft hat
sich eine Menge von Namen fast unverändert erhalten, die
heute charakteristisch für Deutsch-Tirol erscheinen. So sei
nur erwähnt, dass Tirol das lateinische Teriolis ist, Säben
das lateinische Sabione, das Vipptal das lateinische Vibite-
num usw. Erhalten haben sich ferner aus jenen Römerzeiten
einige Täler mit sogenannter ladinischer Sprache, einem Dia-
lekt, welcher der alten lateinischen Sprache näher stehen
soll, als selbst die italienische, wie z. B. das Grödnertal oder
Nonsberg und andere.
So war also das Keltenvolk romanisiert und mit romanischem
Kolonistenblut kräftig durchsetzt, als mit der Völkerwanderung
das germanische Element eindrang: von Norden gegen Süden
die Bajuvaren durch das Inntal herauf über den Brenner und
bis ins Etschland; von Oberitalien gegen Norden die Longo-
barden und die Goten. Versprengte Reste dieser letzteren
werden nach der schrecklichen Vernichtung des Goten-
reiches abermals nach Tirol zurückgeworfen worden sein.
In den schlanken, grossgewachsenen, flachsblonden und blau-
äugigen Bewohnern der Täler um Meran, des Passeiertals,
des Ultentals und namentlich des Sarntals haben wir wohl
ziemlich unverfälschte und ungebrochene Nachkömmlinge
unserer Goten vor uns.
Die so erzeugte Völkermischung und ihre künstlerische
Tätigkeit, die wohl ursprünglich keltische, römische und ger-
 
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