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DER BAUMEISTER * 1905, APRIL.
Auch hier zeigt sich wieder Ferstels Eigenart in der Anlage
des Stiegenhauses.
Wir kommen nun zu Ferstels letztem grossen Bau, dem
Administrationsgebäude des Lloyd in Triest, dessen Nordfront
nach der Piazza grande zugewendet erscheint. Der Bau
vereinigt die Bureauräumlichkeiten des Lloyd und eine Zins-
hausgruppe, und erhielt eine dreigeschossige Durchbildung
mit eingeschobenem Mezzanin. Parterre und Mezzanin in
eine Masse zusammengefasst, zeigen leichte Ruszikagliederung,
der Mittelbau eine Attika als Abschluss, die mit figuralem
Schmuck geziert erscheint. In origineller Weise baut sich
der Turm auf. Die Eckrisalite zeigen Brunnennischen mit
Figuralschmuck, das Meer und das Quellwasser symbolisierend.
sondere Spezialität Ferstels erscheinen seine Stiegenhäuser,
denen er immer ein spezifisches Gepräge seiner Art zu geben
verstand.
Als Lehrer zeigte Ferstel vor allem seine reichen historischen
Kenntnisse, als erste Notwendigkeit erkannte er es, die Schüler
mit dem Werdegang der Kunst vertraut zu machen. Das
technische und künstlerische Moment bildete für ihn das
Wesentliche. Beginnend mit der vorklassischen Kunst führte
er seine Schüler in ausführlicher Weise in die klassische
Kunst der Griechen und Römer ein, um anschliessend daran
sich den mittelalterlichen Baustilen zuzuwenden. Als Lieblings-
thema erschien ihm die Darstellung der technischen Prinzipien
der gotischen Kunst. Den Abschluss seiner Vorlesungen
Dieser Bau wurde im Herbste
1883 vollendet. Noch wollen
wir zweier kleinerer Arbeiten
gedenken, die ganz verschie-
den in ihrer Aufgabe Ferstels
grosse Gestaltungsgabe offen-
baren, wir meinen den Hoch-
altar der Schottenkirche und
das leider nicht ausgeführte
Projekt des Arlbergtunnelein-
ganges. Ersteres Werk, im
Herbst 1883 geweiht, zählt zu
den reizvollsten Renaissance-
schöpfungen des Meisters, die
reizvolle Feinheit der lombar-
dischen Frührenaissance
kommt hier bei vollerEigenart
Ferstelscher Schaffenskraft zur
Geltung. Hochmonumental er-
scheint der Meister an dem
zweitgenannten Projekt, wo
wir bei vollerlndividualität den
Anschluss an die Kunst des
Veroneser Baumeisters, San
Micheli, herausfinden können.
Bevor wir Ferstels künstle-
rische Tätigkeit im Wort be-
enden, müssen wir noch sei-
ner letzten grossen Konkur-
Hrch. v. Ferstel.
Nationalbank in Wien.
bildete die Kunst der Renais-
sance, hier hatte er Gelegen-
heit, die Aufgaben der moder-
nen Baukunst eingehend zu be-
sprechen. Beim Projektieren
liess er den Hörern meist volle
Stilfreiheit, nur zu freie Kom-
binationen, die dem konstruk-
tiven Wesen der Baukunst
widersprachen, unterdrückte
er mit aller Strenge.
Es ist begreiflich, dass Fer-
stels künstlerische Autorität
und sein Ruf als Lehrer ihm
viele begeisterte Schüler
brachte, eine Anzahl Architek-
ten, die heute erste Stellungen
einnehmen, nennen sich heute
nochmitStolz Schüler Ferstels.
Aus der grossen Zahl der-
selben seien nur genannt Prof.
Karl König, Lehrer der Bau-
kunst an der Wiener Technik,
Regierungsrat Vitus Berger,
Direktor der Staatsgewerbe-
schule in Wien, Oberbaurat
Julius Deiniger, Fachvorstand
der Wiener Staatsgewerbe-
schule, ein Führender der
renzarbeit gedenken, die für ihn nicht glücklich ausgefallen. Sein
Entwurf für das Reichstagsgebäude in Berlin gehört zu seinen
grandiosesten Leistungen. Ungemein klar erscheint der Grund-
riss mit seinem ovalen Kuppelraum als Dominante und den um
4 Höfe gruppierten Räumlichkeiten. Die Architektur der
Westfront zeigt uns eine mächtige Säulenvorhalle mit Giebel,
anschliessend daran beiderseits einen zweigeschossigen Bau
mit palladianischer Pilasterstellung, der von turmartigen Auf-
bauten flankiert wird. Die Eckflügel legen sich mit ihrer
Giebelarchitektur gegen die Nord- und Südfront, die einen
kräftigen, mit monumentaler Säulenarchitektur geschmückten
Mittelbau erhalten. Die Ostfront zeigt einen kräftigen Mittel-
bau mit einem halbrund vortretenden und von einer Kuppel
bekrönten Vestibül. Ungemein kräftig baut sich die das
Gebäude beherrschende grosse Kuppel des Sitzungssaales
auf. Nicht uninteressant ist der leichte Einschlag Hansenscher
Fassadenlösung an den Eckflügeln der West- und Ostfront.
Damit hätten wir, wenn auch in kürzesten Zügen, Ferstels
Werke besprochen. — Wir haben den Meister in einer Archi-
tektur kennen gelernt, die in echtester Weise die Liebens-
würdigkeit, den Frohsinn des Wienertums charakterisiert.
In vollster Freiheit verwendete er die ihm zu Gebote stehenden
Kunstformen, immer wusste er sie in vollkommen eigen-
artiger Weise zur Anwendung zu bringen. — Als ganz be-
modernen Wiener Kunstbewegung, weitere die Architekten
Prof. Mayreder, Gunolt, Niedzielski und viele andere mehr.
Als Mensch gehörte der Meister zu den sympatischsten
Figuren der Wiener Gesellschaft. Offenheit und Lauterkeit
seiner Gesinnung vereint mit der echten Lebensfreudigkeit
und Liebenswürdigkeit des Wieners sicherten ihm die Zu-
neigung aller. Reich an Auszeichnungen und Ehren blieb
er immer der gleiche. In seinen Musestunden widmete er
sich der Musik, die in gediegenster Weise in seinem gast-
freundlichen Heim eine Pflegestätte fand. Daneben sehen
wir ihn auch als Sammler von Kupferstichen und Radierungen,
die sein besonderes Interesse erregten. In seinem Sohne
Max, der heute als Professor der Architektur an der Wiener
technischen Hochschule wirkt, spiegelt sich die Art des
Vaters wieder. Als Lehrer der mittelalterlichen Baukunst,
tritt er uns in seinen Arbeiten in so liebenswürdiger Form
entgegen, die wohl überall Anerkennung gefunden. Ein eigen-
artiger Künstler, ein fein empfindender Romantiker, der voll
und ganz seine eigenen Wege zieht.
So steht das Bild jenes grossen Meisters vor uns, dem Wien
das Schönste verdankte, ein echter Wiener, der auch in seiner
Kunst dem Wienertum zum Sieg verhalf.
Othmar v. Leixner.
Deutsche Bauernkunst.
Von W. Fred.
Was nun die äussere Ausstattung der Häuser und der ein-
zelnen Typen betrifft, so ergibt sich folgendes: „Noch immer be-
gegnen wir in Deutschland völlig aus Holz hergestellten Häusern,
und nicht nur in primitiven Bauten, wie einsamen Senn- und
(Schluss.)
Holzerhütten, auch nicht nur in ganz kleinen Tagelöhner- und
Fischerwohnungen (wie in Holland), sondern auch in statt-
lichen Bauernhäusern. In Ostdeutschland (Spreewald, Ost-
und Westpreussen, Schlesien, Sachsen) und Süddeutschland
DER BAUMEISTER * 1905, APRIL.
Auch hier zeigt sich wieder Ferstels Eigenart in der Anlage
des Stiegenhauses.
Wir kommen nun zu Ferstels letztem grossen Bau, dem
Administrationsgebäude des Lloyd in Triest, dessen Nordfront
nach der Piazza grande zugewendet erscheint. Der Bau
vereinigt die Bureauräumlichkeiten des Lloyd und eine Zins-
hausgruppe, und erhielt eine dreigeschossige Durchbildung
mit eingeschobenem Mezzanin. Parterre und Mezzanin in
eine Masse zusammengefasst, zeigen leichte Ruszikagliederung,
der Mittelbau eine Attika als Abschluss, die mit figuralem
Schmuck geziert erscheint. In origineller Weise baut sich
der Turm auf. Die Eckrisalite zeigen Brunnennischen mit
Figuralschmuck, das Meer und das Quellwasser symbolisierend.
sondere Spezialität Ferstels erscheinen seine Stiegenhäuser,
denen er immer ein spezifisches Gepräge seiner Art zu geben
verstand.
Als Lehrer zeigte Ferstel vor allem seine reichen historischen
Kenntnisse, als erste Notwendigkeit erkannte er es, die Schüler
mit dem Werdegang der Kunst vertraut zu machen. Das
technische und künstlerische Moment bildete für ihn das
Wesentliche. Beginnend mit der vorklassischen Kunst führte
er seine Schüler in ausführlicher Weise in die klassische
Kunst der Griechen und Römer ein, um anschliessend daran
sich den mittelalterlichen Baustilen zuzuwenden. Als Lieblings-
thema erschien ihm die Darstellung der technischen Prinzipien
der gotischen Kunst. Den Abschluss seiner Vorlesungen
Dieser Bau wurde im Herbste
1883 vollendet. Noch wollen
wir zweier kleinerer Arbeiten
gedenken, die ganz verschie-
den in ihrer Aufgabe Ferstels
grosse Gestaltungsgabe offen-
baren, wir meinen den Hoch-
altar der Schottenkirche und
das leider nicht ausgeführte
Projekt des Arlbergtunnelein-
ganges. Ersteres Werk, im
Herbst 1883 geweiht, zählt zu
den reizvollsten Renaissance-
schöpfungen des Meisters, die
reizvolle Feinheit der lombar-
dischen Frührenaissance
kommt hier bei vollerEigenart
Ferstelscher Schaffenskraft zur
Geltung. Hochmonumental er-
scheint der Meister an dem
zweitgenannten Projekt, wo
wir bei vollerlndividualität den
Anschluss an die Kunst des
Veroneser Baumeisters, San
Micheli, herausfinden können.
Bevor wir Ferstels künstle-
rische Tätigkeit im Wort be-
enden, müssen wir noch sei-
ner letzten grossen Konkur-
Hrch. v. Ferstel.
Nationalbank in Wien.
bildete die Kunst der Renais-
sance, hier hatte er Gelegen-
heit, die Aufgaben der moder-
nen Baukunst eingehend zu be-
sprechen. Beim Projektieren
liess er den Hörern meist volle
Stilfreiheit, nur zu freie Kom-
binationen, die dem konstruk-
tiven Wesen der Baukunst
widersprachen, unterdrückte
er mit aller Strenge.
Es ist begreiflich, dass Fer-
stels künstlerische Autorität
und sein Ruf als Lehrer ihm
viele begeisterte Schüler
brachte, eine Anzahl Architek-
ten, die heute erste Stellungen
einnehmen, nennen sich heute
nochmitStolz Schüler Ferstels.
Aus der grossen Zahl der-
selben seien nur genannt Prof.
Karl König, Lehrer der Bau-
kunst an der Wiener Technik,
Regierungsrat Vitus Berger,
Direktor der Staatsgewerbe-
schule in Wien, Oberbaurat
Julius Deiniger, Fachvorstand
der Wiener Staatsgewerbe-
schule, ein Führender der
renzarbeit gedenken, die für ihn nicht glücklich ausgefallen. Sein
Entwurf für das Reichstagsgebäude in Berlin gehört zu seinen
grandiosesten Leistungen. Ungemein klar erscheint der Grund-
riss mit seinem ovalen Kuppelraum als Dominante und den um
4 Höfe gruppierten Räumlichkeiten. Die Architektur der
Westfront zeigt uns eine mächtige Säulenvorhalle mit Giebel,
anschliessend daran beiderseits einen zweigeschossigen Bau
mit palladianischer Pilasterstellung, der von turmartigen Auf-
bauten flankiert wird. Die Eckflügel legen sich mit ihrer
Giebelarchitektur gegen die Nord- und Südfront, die einen
kräftigen, mit monumentaler Säulenarchitektur geschmückten
Mittelbau erhalten. Die Ostfront zeigt einen kräftigen Mittel-
bau mit einem halbrund vortretenden und von einer Kuppel
bekrönten Vestibül. Ungemein kräftig baut sich die das
Gebäude beherrschende grosse Kuppel des Sitzungssaales
auf. Nicht uninteressant ist der leichte Einschlag Hansenscher
Fassadenlösung an den Eckflügeln der West- und Ostfront.
Damit hätten wir, wenn auch in kürzesten Zügen, Ferstels
Werke besprochen. — Wir haben den Meister in einer Archi-
tektur kennen gelernt, die in echtester Weise die Liebens-
würdigkeit, den Frohsinn des Wienertums charakterisiert.
In vollster Freiheit verwendete er die ihm zu Gebote stehenden
Kunstformen, immer wusste er sie in vollkommen eigen-
artiger Weise zur Anwendung zu bringen. — Als ganz be-
modernen Wiener Kunstbewegung, weitere die Architekten
Prof. Mayreder, Gunolt, Niedzielski und viele andere mehr.
Als Mensch gehörte der Meister zu den sympatischsten
Figuren der Wiener Gesellschaft. Offenheit und Lauterkeit
seiner Gesinnung vereint mit der echten Lebensfreudigkeit
und Liebenswürdigkeit des Wieners sicherten ihm die Zu-
neigung aller. Reich an Auszeichnungen und Ehren blieb
er immer der gleiche. In seinen Musestunden widmete er
sich der Musik, die in gediegenster Weise in seinem gast-
freundlichen Heim eine Pflegestätte fand. Daneben sehen
wir ihn auch als Sammler von Kupferstichen und Radierungen,
die sein besonderes Interesse erregten. In seinem Sohne
Max, der heute als Professor der Architektur an der Wiener
technischen Hochschule wirkt, spiegelt sich die Art des
Vaters wieder. Als Lehrer der mittelalterlichen Baukunst,
tritt er uns in seinen Arbeiten in so liebenswürdiger Form
entgegen, die wohl überall Anerkennung gefunden. Ein eigen-
artiger Künstler, ein fein empfindender Romantiker, der voll
und ganz seine eigenen Wege zieht.
So steht das Bild jenes grossen Meisters vor uns, dem Wien
das Schönste verdankte, ein echter Wiener, der auch in seiner
Kunst dem Wienertum zum Sieg verhalf.
Othmar v. Leixner.
Deutsche Bauernkunst.
Von W. Fred.
Was nun die äussere Ausstattung der Häuser und der ein-
zelnen Typen betrifft, so ergibt sich folgendes: „Noch immer be-
gegnen wir in Deutschland völlig aus Holz hergestellten Häusern,
und nicht nur in primitiven Bauten, wie einsamen Senn- und
(Schluss.)
Holzerhütten, auch nicht nur in ganz kleinen Tagelöhner- und
Fischerwohnungen (wie in Holland), sondern auch in statt-
lichen Bauernhäusern. In Ostdeutschland (Spreewald, Ost-
und Westpreussen, Schlesien, Sachsen) und Süddeutschland