Baumeister: das Architektur-Magazin — 3.1905
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https://doi.org/10.11588/diglit.49991#0056
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Heft 4 (1905, Januar)
DOI Artikel:Verbindungshaus der Normannen in Tübingen: Architekt Reg.-Baumeister Richard Dollinger in Stuttgart
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DER BAUMEISTER • 1905, JANUAR.
Normannenhaus in Tübingen nach einer Aquarellskizze von R. Dollinger.
Verbindungshaus der Normannen in Tübingen.
Architekt Reg.-Baumeister Richard Dollinger in Stuttgart.
Hierzu Tafel 28—32.
Die Verbindung Normannia, für welche das Studentenhaus
zu erbauen war, ist eine der stärksten Verbindungen der
württembergischen Landesuniversität Tübingen; sie hat durch-
schnittlich 60 — 70 Aktive und ca. 600 Alte Herren.
Als Bauplatz wurde ein 42 ar messender sanft ansteigender
Garten auf halber Höhe des Österbergs, an dem die meisten
Tübinger Studentenhäuser liegen, angekauft. Der schöne,
grosse Bauplatz gewährte völlige Freiheit in der Anlage des
Hauses; dies benützend, suchte der Architekt im Gegensatz
zu dem meist für Studentenhäuser angewandten und daher
ziemlich abgenützten Burgcharakter seinem Bau das Gepräge
eines breitgelagerten, behaglichen Edelsitzes zu geben, in
dem auch der Sinn für das gemütvolle und heimatlich-schwä-
bische, das gerade zur Eigenart der Verbindung Normannia
gehört, anklingen sollte.
Für die Grundrissanordnung war bestimmend, die während
der Tageszeit benützten Hauptaufenthaltsräume nach den
landschaftlich bevorzugten Seiten zu legen. Das Speise-
zimmer mit seinem Erker und die grosse Terrasse haben
den schönen Blick gegen das Hochschloss von Tübingen
und das Ammertal, während von dem erhöhten Platz in der
Diele aus der Blick über das Neckartal hinweg zu den fer-
nen Bergen der schwäbischen Alb reicht, zum Hohenzollern,
Rossberg und der Achalm. Der Kneipsaal liegt, da er in
der Regel nur nachts benützt wird, auf der aussichtslosen
Nordostseite.
Die Wand zwischen Kneipsaal und Speisezimmer, die aus
starken Holzrahmen mit Füllungen besteht, kann in den
Keller versenkt werden, so dass ein zusammenhängender
ca. 150 qm haltender Raum entsteht. Die Hausmeisterwohnung
wurde, um die Bedienung stets zur Hand zu haben, nicht
in das Dachgeschoss, sondern in einen besondern kleinen
Hausmeisteranbau gelegt, der sich durch sein Holzfachwerk
auch äusserlich vom Herrenbau unterscheidet. Auch auf
der Ammertalseite wurden die oberen Stockwerke des Hauses
in kräftigem Holzfachwerk durchgebildet in der Absicht, dem
Haus ins Ammertal hinunter und darüber hinweg eine Fern-
wirkung zu sichern. Als kecker Kontrast zu dem darüber-
liegenden, derben, holzreichen Bauerngiebel dieser Seite sind
die Palastarchitekturfenster des Kneipsaals auf die glatte
Putzfläche gesetzt.
Durch die hohen Dächer des Hauses war es ermöglicht,
vier zweizimmrige und drei einzimmrige als Rente des
Hauses willkommene Studentenwohnungen, ausserdem noch
ein Musikzimmer, einen grossen Hauboden, ein Gastsimmer
und ein Inventarzimmer unterzubringen. Da täglich etwa
30 Aktive in dem Hause Mittag- und Abendessen einnehmen,
ist eine geräumige Küche im Untergeschoss vorgesehen, mit
allen erforderlichen Nebenräumen, darunter Tagesaufenthalts-
räume der Küchenmägde und besondere Eiskammer, aus
der, abgesehen von den eigentlichen Kneipabenden, das Bier
durch Kompression direkt ins Büffet geleitet werden kann.
Der Kneipsaal erhält hohe Holzvertäfelung, gewölbte Holz-
decke mit gemalten Deckenfeldern auf Holzgrund und grossem
Glasgemälde in dem Ochsenaugenfenster. Eine besondere
Ausbildung wird ferner der Diele zu teil, mit ihrem hinter
Arkaden liegenden erhöhten Platz, einem Kalksteinkamin in
der Ecke, hoher Eichenholzvertäfelung, zweiseitig oben um-
laufenden Gang und Dielentreppe bis zum ersten Stocke.
Das Spielzimmer erhält Kojeneinteilung für die Spieltische
entsprechend der Bogenstellung in der Fassade.
Das ganze Haus besitzt Zentralheizung.
Die Baukosten betragen abzüglich einiger Stiftungen für
Glasgemälde, Dielenkamin, Beleuchtungskörper usw. 98000 Mk.;
dazu kommen noch die Kosten der Terrasse mit 4000 Mk.
Auch die Gartenanlage erfolgte nach den Angaben der
Architekten mit viel grünem Rasen, ausgewählten schönen
Bäumen als Linde, Rotbuche, Edeltanne, hellen Birken-
stämmen unter Vermeidung der bei den sogenannten Kunst-
gärten so beliebten Zypressen, Lebensbäumen usw. An pas-
sender Stelle wird noch ein grosses offenes Gartenhaus auf-
gestellt und ein Tennisplatz eingerichtet.
Alte Bauformen.
o o o Aus Württemberg, o o o
Aufnahmen von Ober-Baurat Conrad Dollinger in Stuttgart.
Supplement-Tafel7: Aus Schorndorf. Supplement-TafelS: AusWaiblingen.
Verlag Georg D. W. Callwey in München. Verantwortl. Redakteur F. v. Biedermann in Steglitz. Druck von Kastner & Callwey in München.
DER BAUMEISTER • 1905, JANUAR.
Normannenhaus in Tübingen nach einer Aquarellskizze von R. Dollinger.
Verbindungshaus der Normannen in Tübingen.
Architekt Reg.-Baumeister Richard Dollinger in Stuttgart.
Hierzu Tafel 28—32.
Die Verbindung Normannia, für welche das Studentenhaus
zu erbauen war, ist eine der stärksten Verbindungen der
württembergischen Landesuniversität Tübingen; sie hat durch-
schnittlich 60 — 70 Aktive und ca. 600 Alte Herren.
Als Bauplatz wurde ein 42 ar messender sanft ansteigender
Garten auf halber Höhe des Österbergs, an dem die meisten
Tübinger Studentenhäuser liegen, angekauft. Der schöne,
grosse Bauplatz gewährte völlige Freiheit in der Anlage des
Hauses; dies benützend, suchte der Architekt im Gegensatz
zu dem meist für Studentenhäuser angewandten und daher
ziemlich abgenützten Burgcharakter seinem Bau das Gepräge
eines breitgelagerten, behaglichen Edelsitzes zu geben, in
dem auch der Sinn für das gemütvolle und heimatlich-schwä-
bische, das gerade zur Eigenart der Verbindung Normannia
gehört, anklingen sollte.
Für die Grundrissanordnung war bestimmend, die während
der Tageszeit benützten Hauptaufenthaltsräume nach den
landschaftlich bevorzugten Seiten zu legen. Das Speise-
zimmer mit seinem Erker und die grosse Terrasse haben
den schönen Blick gegen das Hochschloss von Tübingen
und das Ammertal, während von dem erhöhten Platz in der
Diele aus der Blick über das Neckartal hinweg zu den fer-
nen Bergen der schwäbischen Alb reicht, zum Hohenzollern,
Rossberg und der Achalm. Der Kneipsaal liegt, da er in
der Regel nur nachts benützt wird, auf der aussichtslosen
Nordostseite.
Die Wand zwischen Kneipsaal und Speisezimmer, die aus
starken Holzrahmen mit Füllungen besteht, kann in den
Keller versenkt werden, so dass ein zusammenhängender
ca. 150 qm haltender Raum entsteht. Die Hausmeisterwohnung
wurde, um die Bedienung stets zur Hand zu haben, nicht
in das Dachgeschoss, sondern in einen besondern kleinen
Hausmeisteranbau gelegt, der sich durch sein Holzfachwerk
auch äusserlich vom Herrenbau unterscheidet. Auch auf
der Ammertalseite wurden die oberen Stockwerke des Hauses
in kräftigem Holzfachwerk durchgebildet in der Absicht, dem
Haus ins Ammertal hinunter und darüber hinweg eine Fern-
wirkung zu sichern. Als kecker Kontrast zu dem darüber-
liegenden, derben, holzreichen Bauerngiebel dieser Seite sind
die Palastarchitekturfenster des Kneipsaals auf die glatte
Putzfläche gesetzt.
Durch die hohen Dächer des Hauses war es ermöglicht,
vier zweizimmrige und drei einzimmrige als Rente des
Hauses willkommene Studentenwohnungen, ausserdem noch
ein Musikzimmer, einen grossen Hauboden, ein Gastsimmer
und ein Inventarzimmer unterzubringen. Da täglich etwa
30 Aktive in dem Hause Mittag- und Abendessen einnehmen,
ist eine geräumige Küche im Untergeschoss vorgesehen, mit
allen erforderlichen Nebenräumen, darunter Tagesaufenthalts-
räume der Küchenmägde und besondere Eiskammer, aus
der, abgesehen von den eigentlichen Kneipabenden, das Bier
durch Kompression direkt ins Büffet geleitet werden kann.
Der Kneipsaal erhält hohe Holzvertäfelung, gewölbte Holz-
decke mit gemalten Deckenfeldern auf Holzgrund und grossem
Glasgemälde in dem Ochsenaugenfenster. Eine besondere
Ausbildung wird ferner der Diele zu teil, mit ihrem hinter
Arkaden liegenden erhöhten Platz, einem Kalksteinkamin in
der Ecke, hoher Eichenholzvertäfelung, zweiseitig oben um-
laufenden Gang und Dielentreppe bis zum ersten Stocke.
Das Spielzimmer erhält Kojeneinteilung für die Spieltische
entsprechend der Bogenstellung in der Fassade.
Das ganze Haus besitzt Zentralheizung.
Die Baukosten betragen abzüglich einiger Stiftungen für
Glasgemälde, Dielenkamin, Beleuchtungskörper usw. 98000 Mk.;
dazu kommen noch die Kosten der Terrasse mit 4000 Mk.
Auch die Gartenanlage erfolgte nach den Angaben der
Architekten mit viel grünem Rasen, ausgewählten schönen
Bäumen als Linde, Rotbuche, Edeltanne, hellen Birken-
stämmen unter Vermeidung der bei den sogenannten Kunst-
gärten so beliebten Zypressen, Lebensbäumen usw. An pas-
sender Stelle wird noch ein grosses offenes Gartenhaus auf-
gestellt und ein Tennisplatz eingerichtet.
Alte Bauformen.
o o o Aus Württemberg, o o o
Aufnahmen von Ober-Baurat Conrad Dollinger in Stuttgart.
Supplement-Tafel7: Aus Schorndorf. Supplement-TafelS: AusWaiblingen.
Verlag Georg D. W. Callwey in München. Verantwortl. Redakteur F. v. Biedermann in Steglitz. Druck von Kastner & Callwey in München.