Dä BAUMEISTER
ARCHITEKTONISCHE LEITUNG: ooo
HERMANN JANSEN UND
WILLIAM MÜLLER.
SCHRIFTLEITUNG: o o o o o o o o o o o o o
F. v. BIEDERMANN,
ALLE ZUSENDUNGEN AN DIE SCHRIFTLEITUNG
BERLIN W., STEGLITZERSTR. 53.
MONATSHEFTE
FÜR ARCHITEKTUR
UND BAUPRAXIS.
VERLAG UND EXPEDITION: oooooo
GEORG D. W. CALLWEY
MÜNCHEN, FINKENSTR. 2
BERLIN W„ KOENIGIN AUGUSTA-
STRASSE 36.
III. Jahrgang
1905, April
Heft 7
INHALT: Hauptblatt: Heinrich Freiherr von Ferstel, von 0. v. Leixner (11 Abb.). — Deutsche Bauernkunst, von W. Fred [Schluss] (4 Abb.).—
Wallots Entwurf für eine Gestaltung des Königsplatzes in Berlin (2 Abb.). — Gymnasium in Zehlendorf, Arch. Franz Thyriot (7 Abb.). —
Entwurf zu einem Rathause für Schönefeld bei Leipzig, Arch. Rich. Lucht.
Beilage: Die Umgestaltung des Königsplatzes in Berlin, von M. Rapsilber. — Stumpfs Reform-Schiebefenster (13 Abb.) — Vom
Büchermarkt: Förster, Baumaterialienkunde. — Schmid, Materialienkunde. — Schoppen, Gasglühlichtbeleuchtung. — Straub, Bogen
und Gewölbe. — Chronik.
Tafeln 49—56. — Supplementtafeln 13 u. 14.
Heinrich Freiherr von Ferstel.
geb. 7 VIL 1828, gestorb. 14. VII. 1883.
Drei Namen sind es, die mit der Baugeschichte des modernen
Wiens aufs engste verknüpft sind, Hansen, Schmidt und Ferstel
das Dreigestirn der grossen Wiener Stadterweiterung. Diesen
drei Künstlern verdankte Wien die hohe baukünstlerische
Stellung, ihnen gehören alle die herrlichen Monumental-
schöpfungen an, die die Ringstrasse an ihrem schönsten Teile
zieren. Als jüngster unter ihnen erscheint Heinrich Ferstel,
als ersten unter ihnen rafft ihn der Tod hinweg. Sehen wir
strengen Schule, und unter Van der Nüll und Siccardsburg,
den Schöpfern des Wiener Opernhauses gestanden. Das
Jahr 1848 verbringt der junge Künstler in München, wohin
seine Eltern übersiedelten, um dann in den Jahren 1849/50
seine Studien an der Akademie in Wien zu vollenden. Der
Hagenmüller- und Rosenbaumpreis sind die ersten künst-
lerischen Erfolge Ferstels. Der junge Künstler sucht nun
auf Studienreisen sein künstlerisches Wissen zu erweitern,
in Hansen den edlen Klassiker,
der uns Griechenlands unver-
gängliche Kunst in moderner
Form vor Augen führt, der auch
in einzelnen kleineren Werken
die Baukunst von Byzanz zu
neuem Leben erweckt; erscheint
uns Schmidt als Vertreter der
gotischen Kunst, der in freier
Weise mit den mittelalterlichen
Formen schaltet und waltet, so
zeigt sich in Ferstel ein ganz
eigenartiger hochuniverseller Mei-
ster, der sich aus den reizvollen
Schöpfungen der Romantik bald
zum klassischen Vertreter der
italienischen Renaissance auf-
schwingt. Als meisterhafter Be-
herrscher der hochgotischen
Kunst erscheint er an der Votiv-
kirche, als glänzender Vertreter
der Renaissance an der Univer-
sität. Gering ist die Zahl jener
Meister, die zwei so verschiedene
Stile in so meisterhafter und
eigenartiger Weise beherrschten.
Heinrich Ferstel ist ein echtes
Wiener Kind, sein Vater war
Bankbeamter der Nationalbank
in Wien, seine Mutter eine ge-
borene Stäche, ebenfalls Wienerin. Am 7. Juli 1828 er-
blickte er das Licht der Welt, in jener Stadt, der er in
nicht zu ferner Zeit sein volles künstlerisches Können widmen
sollte. Nach Absolvierung der Normalschule sehen wir ihn
1842 und 1843 die Realschule besuchen und anschliessend
daran seine Studien am alten Wiener Polytechnikum fortsetzen.
Im Jahre 1847 absolvierte der junge Ferstel diese Lehranstalt,
die damals nur in den baukonstruktiven Fächern eine Aus-
bildung vermittelte. Schon während dieser Zeit sehen wir
ihn an der Wiener Akademie, wo er unter Kuppelwieser und
Ender die Malschule frequentirt, um sich hier die nötige
künstlerische Vorbildung zu holen. Ferstel tritt mit Herbst
1847 in die Architekturschule der Akademie ein, die damals
unter Leitung des Professors Rösner, einem Romantiker der
nach Deutschland zieht es ihn
hin, hier sehen wir Ferstel län-
gere Zeit in München. Die Zeit,
in der Ferstel das erste Mal vor
praktisch künstlerische Aufgaben
gestellt wird, steht im Zeichen
der Romantik, ihr zollt auch der
junge Künstler den ersten Tribut.
Bald sollte aber die Zeit er-
scheinen, wo Ferstel, befreit von
den Fesseln, sich der glanzvollen
italienischen Kunst zuwendet, die
unter Bramante, San Gallo Rafael
Peruzzi und anderen grossen
Meistern der Hochrenaissance,
Monumentalschöpfungen aller-
ersten Ranges hervorgebracht.
1851 sehen wir ihn bei seinem
Onkel Stäche im Atelier tätig;
Schlossrestaurierungen sowie an-
dere Bauten und Konkurrenzen
gehören dieser Zeit an. Als erste
selbständige Arbeit erscheint der
Bau des Schlosses für den Grafen
Nostiz und die in Fachkreisen
sehr lobend erwähnte Konkurrenz
um die Breitenfelderkirche. 1853
erhielt Ferstel den Kaiserpreis
und damit die Möglichkeit, Italien,
das ideale Land der Kunst, auf-
suchen zu können. Von ausschlaggebender Bedeutung sollte
das Jahr 1854 werden, das Jahr der Konkurrenzausschreibung
für die Votivkirche. Ferstl schiebt seine Studienreise auf
und innerhalb der Zeit von 4 Monaten hat er seine grosse
Arbeit, die ihm den grössten Ruhm bringen sollte, vollendet.
Nach Ueberreichung der Arbeit zieht er fort gegen Rom. Hier
erhält er am 29. Mai 1855 die Nachricht, dass er unter 72
Konkurrenten den ersten Preis davongetragen. Mit diesem
hohen künstlerischen Sieg stellt sich nun der kaum 27 jährige
Künstler auf den Meisterstuhl. Im Herbst 1855 eilt er nach
Wien, im April 1856 wird der Grundstein zum Neubau gelegt.
Als Praktiker wird dem Meister der Dombauleiter von Prag,
Josef Kranner, beigegeben. Kurze Zeit darauf erringt Ferstel
einen neuen Sieg, ihm fällt der erste Preis und damit auch
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F. v. BIEDERMANN,
ALLE ZUSENDUNGEN AN DIE SCHRIFTLEITUNG
BERLIN W., STEGLITZERSTR. 53.
MONATSHEFTE
FÜR ARCHITEKTUR
UND BAUPRAXIS.
VERLAG UND EXPEDITION: oooooo
GEORG D. W. CALLWEY
MÜNCHEN, FINKENSTR. 2
BERLIN W„ KOENIGIN AUGUSTA-
STRASSE 36.
III. Jahrgang
1905, April
Heft 7
INHALT: Hauptblatt: Heinrich Freiherr von Ferstel, von 0. v. Leixner (11 Abb.). — Deutsche Bauernkunst, von W. Fred [Schluss] (4 Abb.).—
Wallots Entwurf für eine Gestaltung des Königsplatzes in Berlin (2 Abb.). — Gymnasium in Zehlendorf, Arch. Franz Thyriot (7 Abb.). —
Entwurf zu einem Rathause für Schönefeld bei Leipzig, Arch. Rich. Lucht.
Beilage: Die Umgestaltung des Königsplatzes in Berlin, von M. Rapsilber. — Stumpfs Reform-Schiebefenster (13 Abb.) — Vom
Büchermarkt: Förster, Baumaterialienkunde. — Schmid, Materialienkunde. — Schoppen, Gasglühlichtbeleuchtung. — Straub, Bogen
und Gewölbe. — Chronik.
Tafeln 49—56. — Supplementtafeln 13 u. 14.
Heinrich Freiherr von Ferstel.
geb. 7 VIL 1828, gestorb. 14. VII. 1883.
Drei Namen sind es, die mit der Baugeschichte des modernen
Wiens aufs engste verknüpft sind, Hansen, Schmidt und Ferstel
das Dreigestirn der grossen Wiener Stadterweiterung. Diesen
drei Künstlern verdankte Wien die hohe baukünstlerische
Stellung, ihnen gehören alle die herrlichen Monumental-
schöpfungen an, die die Ringstrasse an ihrem schönsten Teile
zieren. Als jüngster unter ihnen erscheint Heinrich Ferstel,
als ersten unter ihnen rafft ihn der Tod hinweg. Sehen wir
strengen Schule, und unter Van der Nüll und Siccardsburg,
den Schöpfern des Wiener Opernhauses gestanden. Das
Jahr 1848 verbringt der junge Künstler in München, wohin
seine Eltern übersiedelten, um dann in den Jahren 1849/50
seine Studien an der Akademie in Wien zu vollenden. Der
Hagenmüller- und Rosenbaumpreis sind die ersten künst-
lerischen Erfolge Ferstels. Der junge Künstler sucht nun
auf Studienreisen sein künstlerisches Wissen zu erweitern,
in Hansen den edlen Klassiker,
der uns Griechenlands unver-
gängliche Kunst in moderner
Form vor Augen führt, der auch
in einzelnen kleineren Werken
die Baukunst von Byzanz zu
neuem Leben erweckt; erscheint
uns Schmidt als Vertreter der
gotischen Kunst, der in freier
Weise mit den mittelalterlichen
Formen schaltet und waltet, so
zeigt sich in Ferstel ein ganz
eigenartiger hochuniverseller Mei-
ster, der sich aus den reizvollen
Schöpfungen der Romantik bald
zum klassischen Vertreter der
italienischen Renaissance auf-
schwingt. Als meisterhafter Be-
herrscher der hochgotischen
Kunst erscheint er an der Votiv-
kirche, als glänzender Vertreter
der Renaissance an der Univer-
sität. Gering ist die Zahl jener
Meister, die zwei so verschiedene
Stile in so meisterhafter und
eigenartiger Weise beherrschten.
Heinrich Ferstel ist ein echtes
Wiener Kind, sein Vater war
Bankbeamter der Nationalbank
in Wien, seine Mutter eine ge-
borene Stäche, ebenfalls Wienerin. Am 7. Juli 1828 er-
blickte er das Licht der Welt, in jener Stadt, der er in
nicht zu ferner Zeit sein volles künstlerisches Können widmen
sollte. Nach Absolvierung der Normalschule sehen wir ihn
1842 und 1843 die Realschule besuchen und anschliessend
daran seine Studien am alten Wiener Polytechnikum fortsetzen.
Im Jahre 1847 absolvierte der junge Ferstel diese Lehranstalt,
die damals nur in den baukonstruktiven Fächern eine Aus-
bildung vermittelte. Schon während dieser Zeit sehen wir
ihn an der Wiener Akademie, wo er unter Kuppelwieser und
Ender die Malschule frequentirt, um sich hier die nötige
künstlerische Vorbildung zu holen. Ferstel tritt mit Herbst
1847 in die Architekturschule der Akademie ein, die damals
unter Leitung des Professors Rösner, einem Romantiker der
nach Deutschland zieht es ihn
hin, hier sehen wir Ferstel län-
gere Zeit in München. Die Zeit,
in der Ferstel das erste Mal vor
praktisch künstlerische Aufgaben
gestellt wird, steht im Zeichen
der Romantik, ihr zollt auch der
junge Künstler den ersten Tribut.
Bald sollte aber die Zeit er-
scheinen, wo Ferstel, befreit von
den Fesseln, sich der glanzvollen
italienischen Kunst zuwendet, die
unter Bramante, San Gallo Rafael
Peruzzi und anderen grossen
Meistern der Hochrenaissance,
Monumentalschöpfungen aller-
ersten Ranges hervorgebracht.
1851 sehen wir ihn bei seinem
Onkel Stäche im Atelier tätig;
Schlossrestaurierungen sowie an-
dere Bauten und Konkurrenzen
gehören dieser Zeit an. Als erste
selbständige Arbeit erscheint der
Bau des Schlosses für den Grafen
Nostiz und die in Fachkreisen
sehr lobend erwähnte Konkurrenz
um die Breitenfelderkirche. 1853
erhielt Ferstel den Kaiserpreis
und damit die Möglichkeit, Italien,
das ideale Land der Kunst, auf-
suchen zu können. Von ausschlaggebender Bedeutung sollte
das Jahr 1854 werden, das Jahr der Konkurrenzausschreibung
für die Votivkirche. Ferstl schiebt seine Studienreise auf
und innerhalb der Zeit von 4 Monaten hat er seine grosse
Arbeit, die ihm den grössten Ruhm bringen sollte, vollendet.
Nach Ueberreichung der Arbeit zieht er fort gegen Rom. Hier
erhält er am 29. Mai 1855 die Nachricht, dass er unter 72
Konkurrenten den ersten Preis davongetragen. Mit diesem
hohen künstlerischen Sieg stellt sich nun der kaum 27 jährige
Künstler auf den Meisterstuhl. Im Herbst 1855 eilt er nach
Wien, im April 1856 wird der Grundstein zum Neubau gelegt.
Als Praktiker wird dem Meister der Dombauleiter von Prag,
Josef Kranner, beigegeben. Kurze Zeit darauf erringt Ferstel
einen neuen Sieg, ihm fällt der erste Preis und damit auch