Baumeister: das Architektur-Magazin — 3.1905
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https://doi.org/10.11588/diglit.49991#0083
DOI Heft:
Heft 7 (1905, April)
DOI Artikel:Leixner, Othmar von: Heinrich Freiherr von Ferstel: geb. 7 VII. 1828, gestorb. 14. VII. 1883
DOI Seite / Zitierlink:https://doi.org/10.11588/diglit.49991#0083
DER BAUMEISTER ♦ 1905, APRIL.
75
erhält er vom Kaiser den Auftrag, ein Projekt für eine Kathe-
drale in Serajewo zu verfassen, die Bauausführung musste
aber mangels genügender Geldmittel unterbleiben. — Nicht
uninteressant ist es
zu hören, dass der
Schöpfer der Votiv-
kirche von Seite
eines reichen Eng-
länders, SirTratton,
aufgefordert wurde,
einegotischeKirche
für England zu
bauen; Ferstel reiste
auch nach London,
um über diese Bau-
anlage schlüssig zu
werden. Der Bau
war der Votivkirche
gleich geplant, nur
sollte er im Lang-
haus ein Travee
mehr erhalten. In
die letzte Zeit sei-
ner Tätigkeit fällt
sein Entwurf für
das Reichstagsge-
bäude in Berlin, ein
ungemein monu-
mentales Werk, das
ihm leider keinen
Erfolg brachte. Die-
ser schwere Miss-
erfolg verstimmte
den Meister sehr.
Als seine letzten
Arbeiten erschei-
nen der Bau des
Rathauses in Tiflis,
der Bau des Ad-
ministrationsge-
bäudes des österr.-
ungar. Lloyd in
Triest und der
prächtige Renais-
sancehochaltar der
Schottenkirche in
Wien. Noch 14Tage
vor seinem Tode
ist er an diesem
Werke tätig. Nicht
unerwähnt möge
noch sein Projekt Hrch- v- Ferstel,
der künstlerischen
Schwulst niedergeschrieben. Erwähnt seien die Broschüre
„Das bürgerliche Wohnhaus und das Wiener Zinshaus“, 1860
verfasst, die Frage der Regulierung Wiens und die Begleit-
schrift zu seinem
Reichstagsprojekt
für Berlin, ein un-
gemein wertvolles
Dokument für Fer-
stels künstlerische
Anschauung. Das
ganze edle Wesen
des Meisters, seine
vornehme künstle-
rische Anschauung
spiegelt sich aber
in jenem Briefe
wider, den er als
Sterbender an Han-
sen zu dessen sieb-
zigstem Geburtstag
gerichtet. Selbst ein
erster Meister der
Baukunst, feiert er
hier Hansen als
Lehrmeister der
neuen Wiener
Kunst, bescheiden
im Wort, alles aber
echt im Empfinden.
Gerade dieser Brief
ist der schönste Be-
leg für Ferstels We-
sen.
Gehen wir nun
zur Betrachtungsei-
ner künstlerischen
Arbeiten über. Wie
wir bereits gesehen,
steht der Meister bis
anfangs der sech-
ziger Jahre als Ver-
treter der mittel-
alterlichen Baustile
vor uns. Sein er-
stes grosses Werk,
die Votivkirche,
zeigt uns die Frei-
heit der künstle-
rischen Anschau-
ung Ferstels; nichts
von jener Starrheit
Quer der Votivkirche. und Doktrin, die der
Gotik jener Zeit
Ausgestaltung des Arlbergtunneleinganges bleiben, höchst ’ eigen. Vor uns steht ein herrliches Bauwerk, erinnernd an
monumental in der Konzeption, das leider nicht zur Aus- jene Bauten, die der grossen Schule von Paris angehören,
führung gelangte. Ein schweres Lungenleiden,
das sich Ferstel zugezogen, zwingt ihn, einen
klimatischen Kurort aufzusuchen, doch ohne
Erfolg. Nach Wien zurückgebracht, hauchte
er am 24. Juli 1883 seine edle Seele aus, am
gleichen Tage, wo man in unmittelbarer
Nähe seines Heims den siebzigsten Geburts-
tag seines Kollegen Hansen feierte.
An äusseren Ehren fehlte es dem Meister
nicht, wir sehen ihn bei vielen in- und aus-
ländischen Konkurrenzen als Juror, er ist Mit-
glied der Wiener Akademie, Ehrenmitglied der
Akademien von München, Berlin und Paris
und Ehrenmitglied der englischen Architekten.
Nicht zu vergessen ist die literarische Tätig-
keit des Meisters. Die Liebenswürdigkeit und
Offenheit seines Wesens spiegelte sich in diesen
Arbeiten wider, seine trefflichen wohlbegrün-
deten Ansichten erscheinen einfach klar ohne
reich an Phantasie, reich an individueller
Eigenart. Die prächtige Hauptfront mit ihren
beiden von durchbrochenen Helmen bekrönten
Türmen, ihren reich figuralen Portalen, ihrer
herrlichen Fensterrose erheben das Werk zu
einem der edelsten Bauschöpfungen Wiens.
Besonders schön ist der Blick gegen die Chor-
partie mit ihren reichen Strebebogen und
Strebepfeilergestaltung am Kapellenkranz.
Noch glücklicher komponiert erscheint der
hehre Innenraum. Raumgestaltung, Lichtver-
teilung und Polychromie feiern hier Triumphe.
Ein schönes Werk, wenn auch weit beschei-
dener, ist seine protestantische Kirche für
Brünn, ein dreischiffiger Hallenbau mit sehr
schmalen Seitenschiffen, die als Umgang um
den polygonalen Chor ziehen. Die Raum-
wirkung ist edel, besonders schön der Blick
in den Chor mit seiner Emporenanlage. Die
Grundriss der Votivkirche.
75
erhält er vom Kaiser den Auftrag, ein Projekt für eine Kathe-
drale in Serajewo zu verfassen, die Bauausführung musste
aber mangels genügender Geldmittel unterbleiben. — Nicht
uninteressant ist es
zu hören, dass der
Schöpfer der Votiv-
kirche von Seite
eines reichen Eng-
länders, SirTratton,
aufgefordert wurde,
einegotischeKirche
für England zu
bauen; Ferstel reiste
auch nach London,
um über diese Bau-
anlage schlüssig zu
werden. Der Bau
war der Votivkirche
gleich geplant, nur
sollte er im Lang-
haus ein Travee
mehr erhalten. In
die letzte Zeit sei-
ner Tätigkeit fällt
sein Entwurf für
das Reichstagsge-
bäude in Berlin, ein
ungemein monu-
mentales Werk, das
ihm leider keinen
Erfolg brachte. Die-
ser schwere Miss-
erfolg verstimmte
den Meister sehr.
Als seine letzten
Arbeiten erschei-
nen der Bau des
Rathauses in Tiflis,
der Bau des Ad-
ministrationsge-
bäudes des österr.-
ungar. Lloyd in
Triest und der
prächtige Renais-
sancehochaltar der
Schottenkirche in
Wien. Noch 14Tage
vor seinem Tode
ist er an diesem
Werke tätig. Nicht
unerwähnt möge
noch sein Projekt Hrch- v- Ferstel,
der künstlerischen
Schwulst niedergeschrieben. Erwähnt seien die Broschüre
„Das bürgerliche Wohnhaus und das Wiener Zinshaus“, 1860
verfasst, die Frage der Regulierung Wiens und die Begleit-
schrift zu seinem
Reichstagsprojekt
für Berlin, ein un-
gemein wertvolles
Dokument für Fer-
stels künstlerische
Anschauung. Das
ganze edle Wesen
des Meisters, seine
vornehme künstle-
rische Anschauung
spiegelt sich aber
in jenem Briefe
wider, den er als
Sterbender an Han-
sen zu dessen sieb-
zigstem Geburtstag
gerichtet. Selbst ein
erster Meister der
Baukunst, feiert er
hier Hansen als
Lehrmeister der
neuen Wiener
Kunst, bescheiden
im Wort, alles aber
echt im Empfinden.
Gerade dieser Brief
ist der schönste Be-
leg für Ferstels We-
sen.
Gehen wir nun
zur Betrachtungsei-
ner künstlerischen
Arbeiten über. Wie
wir bereits gesehen,
steht der Meister bis
anfangs der sech-
ziger Jahre als Ver-
treter der mittel-
alterlichen Baustile
vor uns. Sein er-
stes grosses Werk,
die Votivkirche,
zeigt uns die Frei-
heit der künstle-
rischen Anschau-
ung Ferstels; nichts
von jener Starrheit
Quer der Votivkirche. und Doktrin, die der
Gotik jener Zeit
Ausgestaltung des Arlbergtunneleinganges bleiben, höchst ’ eigen. Vor uns steht ein herrliches Bauwerk, erinnernd an
monumental in der Konzeption, das leider nicht zur Aus- jene Bauten, die der grossen Schule von Paris angehören,
führung gelangte. Ein schweres Lungenleiden,
das sich Ferstel zugezogen, zwingt ihn, einen
klimatischen Kurort aufzusuchen, doch ohne
Erfolg. Nach Wien zurückgebracht, hauchte
er am 24. Juli 1883 seine edle Seele aus, am
gleichen Tage, wo man in unmittelbarer
Nähe seines Heims den siebzigsten Geburts-
tag seines Kollegen Hansen feierte.
An äusseren Ehren fehlte es dem Meister
nicht, wir sehen ihn bei vielen in- und aus-
ländischen Konkurrenzen als Juror, er ist Mit-
glied der Wiener Akademie, Ehrenmitglied der
Akademien von München, Berlin und Paris
und Ehrenmitglied der englischen Architekten.
Nicht zu vergessen ist die literarische Tätig-
keit des Meisters. Die Liebenswürdigkeit und
Offenheit seines Wesens spiegelte sich in diesen
Arbeiten wider, seine trefflichen wohlbegrün-
deten Ansichten erscheinen einfach klar ohne
reich an Phantasie, reich an individueller
Eigenart. Die prächtige Hauptfront mit ihren
beiden von durchbrochenen Helmen bekrönten
Türmen, ihren reich figuralen Portalen, ihrer
herrlichen Fensterrose erheben das Werk zu
einem der edelsten Bauschöpfungen Wiens.
Besonders schön ist der Blick gegen die Chor-
partie mit ihren reichen Strebebogen und
Strebepfeilergestaltung am Kapellenkranz.
Noch glücklicher komponiert erscheint der
hehre Innenraum. Raumgestaltung, Lichtver-
teilung und Polychromie feiern hier Triumphe.
Ein schönes Werk, wenn auch weit beschei-
dener, ist seine protestantische Kirche für
Brünn, ein dreischiffiger Hallenbau mit sehr
schmalen Seitenschiffen, die als Umgang um
den polygonalen Chor ziehen. Die Raum-
wirkung ist edel, besonders schön der Blick
in den Chor mit seiner Emporenanlage. Die
Grundriss der Votivkirche.