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Baumeister: das Architektur-Magazin — 3.1905

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Heft 9 (1905, Juni)
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Hocheder, Karl: Mitteilungen aus der Baupraxis
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https://doi.org/10.11588/diglit.49991#0105

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DB BAUMEISTER

ARCHITEKTONISCHE LEITUNG: ooo
HER'vIANN JANSEN UND
WILLIAM MÜLLER.
SCHRIFTLEITUNG: ooooocojooooo
F. v. BIEDERMANN,
ALLE ZUSENDUNGEN AN DIE SCHRIFTLEITUNG
BERLIN W„ STEGLITZERSTR. 53.
III. Jahrgang

MONATSHEFTE
FÜR ARCHITEKTUR
UND BAUPRAXIS.
1905, Juni

VERLAG UND EXPEDITION: ooooco
GEORG D. W. CALLWEY
MÜNCHEN, FINKENSTR. 2
BERLIN W., KOENIG1N AUGUSTA-
STRASSE 36.
Heft 9

INHALT: Hauptblatt: Mitteilungen aus der Baupraxis von Carl Hocheder (34 Abb.). — Die Protestantische Kirche in Neupasing-München,
Architekt Carl Hocheder.
Beilage: Projekt eines Wintergartens von Silber (4 Abb.). — Geschichte der Baukunst als Lehrgegenstand von W. Kornick. —
Büchermarkt: Bauordnung für Riga; Denkmäler der Baukunst im Elsass; Jahrbuch baurechtlicher Entscheidungen; Kautzsch, die
bildende Kunst und das Jenseits; Kunst auf dem Lande; Strzygowski, Der Dom zu Aachen. — Chronik. — Vermischtes.
Tafeln No. 65—72. Supplementtafeln No. 17 u. 18.

Mitteilungen aus der Baupraxis.
Von Carl Hocheder.

Wie auffallend der Unterschied ist zwischen den Eindrücken,
welche der Mensch aus Kenntnissen, die er auf dem Wege
des Unterrichts, damit also indirekt empfängt, und denen,
welche er empfängt direkt aus Selbsterlebtem, kann man in
allen Berufsarten unseres hochentwickelten Kulturlebens be-
obachten. Man wird daraus immer die Erfahrung ziehen,
dass die Eindrucksfähigkeit durch das Erlernte stets zurück-
bleibt hinter den weitaus grösseren Eindrücken, welche das
Selbsterlebte hervorruft. Immer wird das Erlebte als das
bleibendere Eigentum in der Erinnerung jedes Individuums
sich kennzeichnen.
Nicht minder wird diese Erfahrung auch in dem Berufe
des Architekten gewonnen, ja bei diesem ist das Faktum jener
Erfahrung erst der Prüfstein dafür, ob
er wirklich Künstler ist und nicht etwa
seine Fähigkeiten mehr in der Beherr-
schung des bautechnischen Wissens und
Könnens, das durch scharfen Verstand
sich aneignen lässt, sondern nach
der Seite des Gestaltens im künstleri-
schen Sinne als Ergebnis des Em-
pfindens zeigt.
Freilich bringt es die heute allgemein
übliche schulgemässe Ausbildung des
Baukünstlers mit sich, dass dieser nicht,
wie bei der lehrlingsmässigen Ausbil-
dung aus der praktischen Betätigung
selbst langsam heranreift und so von
Anfang an schon auf das innigste ver-
wachsen ist mit dem eigentlichen Wesen
des Gestaltens, sondern dass er beim
Eintritt in die Praxis mit einer Summe
von erlernten positiven Anleitungen,
deren Wert und Bedeutung ihm erst durch
eben diese Praxis klar werden kann, beginnen muss. So
grosse Vorteile ein solcher positiver Wissensschatz für die
praktische Betätigung nun auch nach manchen Richtungen
hin bieten mag, so stellt er doch wieder eine Gefahr einer
selbständigen Künstlernatur gegenüber dar, für welche
jede mit einem solchen Wissen verbundene Voreingenommen-
heit von einer Sache störend wird, weil sie die Bahn frei
haben soll in all den Dingen, wo sich das Individuum mit
seinem persönlichen Empfinden und Auffassen der Aussen-
welt entgegenstellt.
Das Schwanken in der Wertschätzung zwischen dem Er-
lernten und dem Selbsterlebten musste sich ganz besonders
stark hervorkehren in einer Zeit, welche die Kunst in
eine wissenschaftliche Behandlung nahm, welche an eine
universelle, allein gültige Kunst glaubte und sie als die ein-
zig wahre pries: ich meine die Zeit des Klassizismus und der
damit zusammenhängenden Bewegungen. Diese Kunst von
einzelnen führenden Geistern ausgehend nahm bekanntlich

einen Verlauf, der sich zu jener natürlichen Entwicklung auf
der Basis gesunder volkstümlicher Bauweise, wie sie die
historischen Baustile mehr oder weniger aufweisen, dadurch
in Gegensatz stellen, dass sie eine Bewegung künstlicher
Art darstellt, welche mit dem Ureingesessenen völlig bricht
und Neues an die Stelle setzen will.
Dieser Auffassung der Baukunst stellte sich im letzten
Drittel des verflossenen Jahrhunderts eine von der Praxis
ausgehende Bewegung entgegen, die später ihrerseits wieder
auf die Schule zurückwirkte und welche dem baukünstlerischen
Schaffen wieder jene freie Beweglichkeit im Gestalten er-
wirken wollte, wie sie durch eingehendes Studium unserer
alten einheimischen bescheidenen Bauerscheinungen des
Bürgertums aus diesen herausgelesen
werden konnte, eine Erkenntnis, welche
Veranlassung gab, die unterbrochenen
volkstümlichenTechniken und Bauweisen,
die bisher entweder absichtlich unter-
drückt oder doch wenigstens verkannt
beiseite geschoben worden waren, wieder
zu Ehren zu bringen.
In dieser Zeit galt es demnach ganz
besonders, sich baukünstlerisch so viel
als möglich auf eigene Füsse zu
stellen und sich nicht mehr so sehr
zu verlassen auf das Gängelband der
schulmässigen Ausbildung, wie es dem
Architekten damals mit auf den Weg ge-
geben worden ist.
Beispiele von Erlebnissen aus dieser
Zeit sind daher hervorragend geeignet,
den Eingangs erwähnten Unterschied
zwischen den Eindrücken von Erlerntem
und Erlebtem schärfer zu umreissen.
Wenn ich es nun unternehme, dieses Beispiel aus meinem
eignen Leben herauszugreifen, um an der Hand von Abbil-
dungen der wichtigsten Bauten, welche ich innerhalb etwa
zwölf Jahren nach meinen Entwürfen ausgeführt habe, gerade
in dem Zeitraum, in welchem die moderne Bewegung gegen
den Doktrinarismus in der Architektur eingesetzt hat, so ge-
schieht das in der Annahme, dass mir von der Fach-
genossenschaft dies nicht als Unbescheidenheit ausgelegt,
vielmehr hingenommen wird als ein zur Beleuchtung der
eben geschilderten Verhältnisse nicht unerwünschter Beitrag,
der ja eben dadurch, dass er eine Schilderung von Selbst-
erlebtem darbietet, immerhin den Vorzug der Unmittel-
barkeit besitzt.
Meine baukünstlerische Erziehung habe ich in der zweiten
Hälfte der 70er Jahre in München genossen, zu einer Zeit,
da die Wogen des Klassizismus noch hoch gingen. Die
Aufmerksamkeit der Lernenden wurde damals auf die Ein-
prägung und gewandte Hantierung des klassischen Formen-


Carl Hocheder.
 
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