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Der Richter itat zu ihnk.
„Hier," fichr der Alte fort, indem er dem
Richter das Papier überreichte, „das Papier
ist als Pfropf des Schusses benutzt worden, hier
lag es, folglich ist der Schuß aus dieser Richtung
gekommen."
Sorgfältig betrachtete der Richter das Papier,
es schien von einem Briefe herzurührcn, einzelne
Worte darauf waren noch deutlich zu leseu. Er
legte es in seine Brieftasche, um es aufzubewahren.
Er durchsuchte daun mit dem Förster gemeinschaft-
lich die Umgebung, allein nicht einmal die leiseste
Spur eines Fußtrittes ließ sich auf dem weichen
Moosgrunde entdecken.
Er wiederholte dann gegen den Förster die
Frage, welche er an Mottau gerichtet.
Verneinend schüttelte der Alte mit dem
Kopfe.
„In mein Revier wagt sich kein Wilddieb,"
erwiederte er. „Als ich vor Jahren hierher kam,
sah es freilich anders aus. Mein Vorgänger war
ein schwacher, kränklicher Mann gewesen, das hatte
die Wildfrevler dreist gemacht, ich bin indeß scharf
gegen sie aufgetreten und habe keine Schonung
geübt. Es hat mich manche Rächt gekostet, allein
ich war unermüdlich, ich wollte dem Unwesen ein
Ende machen und cs ist mir gelungen. Jetzt bin
ich freilich alt geworden, allein mein Sohn ist
noch strenger."
„Sie glauben also nicht, daß ein Wilddieb
das Verbrechen begangen habe könnte?" warf der
Richter ein.
„Nein," lautete die bestimmte Antwort. „Hie-
her wagt sich keiner der Gesellen, und wenn es
der Fall gewesen wäre, so würden Sie nicht auf
den jungen Herrn, sondern auf mich oder meinen
Sohn geschossen haben."
„Es wäre eine Verwechslung möglich," be-
merkte der Richter. „Die Kugel könnte Ihrem
Sohne gegolten haben?"
Wieder schüttelte der Alte mit dem Kopfe.
„Die Nacht war nicht so finster und das Auge
eines Wilddiebes ist an die Nacht gewöhnt," ent-
gegnete er. „Alis der Sicherheit des Schusses
sehen Sie, wie fest der Verbrecher sein Opfer auf
das Korn genommen hat. Dies hat eine andere
Hand gethan."
„Welche?" fragte der Richter rasch.
Der Förster blickte ihn ruhig an.
„Ein Jahr meines Lebens würde ich hingeben,
wenn ich hierauf antworten könnte," entgegnete er.
„Unter meinen Augen ist der junge Herr ausge-
wachsen, ich habe ihm zuerst gezeigt, wie man die
Büchse anlegt, unter meiner Leitung hat er schießen
gelernt, ich habe ihn lieb gehabt, wie meinen
Sohn — da würde ich nicht Ihre Frage abge-
wartet haben, wenn ich wüßte, welche Hand das
Bubenstück ausgeführt."
„Und Sie haben auch keinen Verdacht?"
„Keinen."
„Hatte der Todte Feinde?"
„Ich kenne keinen, ich weiß nur, daß ihn Alle
gern hatten, denn er war freundlich gegen Jeder-
mann und hat schon als Knabe manchen armen
Arbeiter mit feinem Taschengelde unterstützt. Fragen
Sie alle Diener lind Arbeiter seines Vaters, sie
würden ihn auf den Händen getragen haben. Er
hat wohl manchen lustigen Jugendstreich ansgeführt,
allein trat er dadurch Jemand zu nahe, so hat er
es auch wieder gut gemacht."
„Ist Ihnen irgend ein Umstand, der zur Ent-
deckung des Thüters führen könnte, ausgefallen?"
fragte der Richter.
Der Förster sann einen Augenblick lang nach.
„Nein," entgegnete er dann. „Die Entfernung,
aus welcher der junge Herr erschossen wurde, ist
eine ziemlich große; es muß also eine sichere
Hand gewesen sein, welche die Kugel gcfaudt,
zumal da das Dämmerlicht der Nacht das Zielen
erschwert."

Der Richter merkte sich jeden einzelnen Um-
stand genau, dennoch hatte er noch nicht den ge-
ringsten Anhaltspunkt gefunden, an dem er eine
Untersuchung anknüpfen konnte.
Auch Mottau hegte gegen Niemand Verdacht,
freilich war der unglückliche Mann jetzt nicht im
Stande seine Gedanken zu sammeln. Er hielt sich
aufrecht und suchte dell Schmerz in seiner Brust
zu verschließen, wer ihn indeß aufmerksamer be-
trachtete, mußte wahrnehmen, daß er jeden Augen-
blick vollständig zusamen zu brechen drohte.
Der Todte wurde in den Wagen gelegt, welcher
den Richter und Arzt aus der Stadt geholt halte.
Langsam wurde er zum Gute gefahren. Auf
Mottau's Befehl wurde derselbe indeß nicht in das
Haus gebracht, sondern in einem durch den Schalten
hoher Linden geschützten Gartenhause niedcrgelegt.
Mottau wollte seiner Frau und Cläre den Anblick
des Todten ersparen.
„Lachend ist er von ihnen geschieden," sprach
er zu dem Förster. „Dies heitere Bild soll in
ihnen durch nichts verwischt werden, vielleicht trägt
es dazu bei, ihren Schmerz zu mildern, wenn
dies überhaupt möglich ist."
Den Schlüssel des Gartenhauses steckte er zu
sich und wankte dem Hanse zu. Er zitterte vor-
dem Anblicke seiner Frau und Tochter und doch
trieb es ihn zu ihnen. Er sann vergebens nach
einem Worte, durch welches er ihnen Trost zu-
sprechen konnte, er selbst bedurfte des Trostes nur
zu sehr. Er schritt so gebrochen dahin, als wäre
es unmöglich, daß er sich je wieder emporrichten
könne.
Es war ein erschütterndes Wiedersehen mit den
Seinen. Er hatte den Schmerz und die Ver-
zweiflung derselben nicht unterschätzt und stand ihnen
machtlos gegenüber. Und doch lag ein Trost für
.sie darin, daß sie sich an seiner Brust ausweinen
konnten.
Mit einem Schlage war das sonst so frische
und fröhliche Leben auf dem Gute vernichtet; eine
bange, schwere Lust lag auf Allen. Selbst den
Arbeitern fehlte die Lust zur Arbeit, sie verrichteten
dieselbe nur mechanisch oder standen neben einander
und besprachen leise das Unglück. Alle nahmen
Thcil daran, denn es war ihnen, als ob sie Alle
einen Verlust erlitten hätten.
Mottau bestand darauf, daß die Seinigen den
Todlen nicht sehen sollten, nur Hugo gab er
den Schlüssel zum Gartenhause, als dieser ihn
darum bat.
„Ich muß ihn noch einmal sehen," sprach Hugo.
„Der Vorwurf, daß ich ihn gestern Abend nicht
begleitet habe, drückt mich nieder. Es würde
anders gekommen sein, er würde noch leben, wenn
ich seine Aufforderung nicht abgelehnt Hütte. Es
ist mir, als ob ich ihn um Verzeihung bitten
müsse."
Mottau drückte ihm die Hand.
„Niemand konnte dies ahnen," entgegnete er.
Keinen von uns trifft ein Vorwurf. Der Schmerz
ist bereits groß genug, wir brauchen ihn nicht durch
Selbstpein noch zu erhöhen."
„Hat der Richter keine Spur des Mörders
entdeckt?" fragte Hugo.
„Keine," entgegnete Mottau mit schwerem
Seufzer. „Aber solche entsetzliche Thnt kann nicht
ungesühnt bleiben, die Freude meines Lebens ist
vernichtet, sie ist dahin für immer, jetzt habe ich
nur noch ein Streben, den Mörder meines Sohnes
zu entdecken."
„Wir werden ihn finden," versicherte Hugo.
Der Abend war hereingebrochen, still wie im
Grabe war es auf dem Gute. Der Schmerz
stumpft ab und ermüdet. Zu heftig hatte die
Aufregung dieses Tages an Allen gerüttelt, die
Meisten sehnten sich nach Ruhe. Und der Schlaf
ist barmherzig, er legt wenigstens für Stun-
den auf das gequälte Herz die Hand des Ver-
gessens.

Hugo stand in seinem Zimmer' an dem ge-
öffneten Fenster. Ihn hatte noch nicht das Be-
dürfnis; nach Ruhe erfaßt. Wie still der Abend
war! In tiefstem Frieden lag der Park vor ihm,
die Blumen dufteten und nur leise flüsternd fuhr
der Abendwind durch die Wipfel der Bäume.
An den: wolkenlosen Himmel schimmerten Millionen
von Sternen. Alle gingen ruhig ihre Bahn, was
kümmerte es sie, ob ans der kleinen Erde ein
Menschenleben ausgelöscht war? War dies für
sie mehr als wenn der Fuß eine Ameise, die
sorglos über den Weg lief, zertrat? War nicht
auch sie ein Leben, hatte sie nicht dieselbe Berech-
tigung zum Dasein wie der Mensch? Hatte nicht
auch sie Sorgen, wenn sie geschäftig Blätter und
Nahrung in ihren Bau trug? Wer trauerte um
sie, wenn sie zertreten dalag, wenn eine rohe
Hand Hunderten von ihnen mit einem Schlage
das Leben raubte, wenn sie dem Vogel zur Bente
siel, wenn sie im Kampfe mit ihres Gleichen
unterlag?
Er preßte die glühende Stirn an das Fenster.
Thorheit war es, was sein Blut heiß durch die
Adern trieb! Leise pochte cs an die Thür, sein
scharfes Ohr vernahm es und erschreckt zuckte er
zusammen. In dem nächsten Augenblicke hatte er
sich bereits wieder gefaßt, eilte zur Thür und
öffnete sie. Eine Frauengestalt trat ein.
„Cläre!" rief er überrascht, als er die Einge-
tretene erkannte. „Cläre!" Wie eine Traumgestalt
erschien ihm die vor ihm Stehende.
Oder träumte er wirklich? War es nur ein
Bild seiner aufgeregten Phantasie? Er fuhr mit
der Rechten über die brennende Stirn hin.
„Hugo, Du hast den Schlussel zu dem Garten-
hause," sprach Cläre. „Gib ihn mir, ich muß
Heino noch einmal sehen."
Ihre Stimme klang weich, flehend.
„Nein, nein!" rief Hugo hastig. „Dein Vater
will es nicht, er würde mir zürnen!" Ruhiger
fügte er dann hinzu: „Thue es nicht, Cläre, er-
spare Dir die Aufregung."
„Ich muß ihn sehen," suhr das unglückliche
Mädchen fort. „Ich finde keine Ruhe, wenn ich
ihn nicht noch einmal gesehen habe. Ich kann nicht
glauben, daß er todt ist — cs ist unmöglich!
Die Hand, die er mir gestern Abend zum Abschiede
reichte, kann nicht erstarrt sein — ich muß ihn
sehen!"
„Er ist todt!" entgegnete Hugo. „Das ein-
mal entflohene Leben vermag nichts zurückzurufen.
Du mußt es ertragen, wie wir alle, und die
Zeit wird verwischen, was heute Dein Herz
zerreißt!"
„Nie, nie!" rief Cläre erregt. Sie hatte den
Bruder zu innig geliebt; er war ihr Bruder und
Freund zugleich gewesen. Der Gedanke, daß er
in das Grab gelegt werden könne, ohne daß sie
seine Züge noch einmal gesehen, trieb sie fast zum
Wahnsinn. Erregt erfaßte sie Hugo's Hand.
„Du hast gesagt, daß Du mich liebest, Du hast
mir geschworen, daß jeder meiner Wünsche Dir
ein Gebot sein werde und Du lehnst selbst diese
Bitte ab."
Hugo's Rechte zuckte, als Cläre's weiche Hand
dieselbe berührte. Konnte er ihrer Bitte wider-
stehen? „Du wirst den Anblick nicht ertragen,"
warf er ein.
. „Ich werde ihn ertragen. Ich will ruhig sein,
kein Wort der Klage soll über meine Lippen
kommen, nur einmal will ich seine Hand noch
ersaßen — es ist ja das letzte Mal, für
immer!"
„So komm!" entgegnete Hugo entschlossen.
„Aber Dein Vater darf es nicht erfahren, er
würde mich mit Vorwürfen überhäufen, Cläre,
ich lasse mich zu einer Thorheit durch Dich hin-
reißen, ich sollte es nicht thun."
„Komm, komm," erwiederte sie und trat zur
Thür.
 
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