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Der Verurteilte.
Eine dunkle Geschichte
von
Arä.rl'er-Manfred.
(Fortsetzung.)
Der öffentliche Ankläger er-
hob sich und Alles erwartete
zu vernehmen, daß die Anklage
grundlos sei; wie groß aber
war das Erstaunen der Zu-
hörer, als er den Hos einen
neuen Zeugen zu hören er-
suchte. Alle Augen wendeten
sich jetzt nach der Zeugenbank,
auf welcher mittlerweile der
Bauer, dessen wir oben er-
wähnten, Platz genommen hatte.
Das Verlangen wurde ge-
nehmigt und die Deposition
ergab beiläufig folgendes: "
„Ich bin ein Bewohner
des Malengothales. Der Sturm
überraschte mich auf dem Heim-
wege von der Alp und trieb
mich in eine Berghöhle, in
welcher auch der Graf Schutz
suchte, und worin man später
auch die Leiche des Ermordeten
gefunden hat. Anfangs glaubte
ich mich au dem dunklen Zu-
fluchtsort allein zu befinden.
Aber in der Kürze und zu
meinem großen Schrecken ver-
nahm ich wenige Schritte von
mir zwei Stimmen, ohne jedoch
in der Finsterniß etwas unter-
scheiden zu können. Zitternd,
daß dies vielleicht zwei Räuber
aus der Bande des gefürchteten
Cesari seien, legte ich mich
glatt zur Erde und schob mich
sachte vor, um vielleicht in dem
von außen hereinfallenden Schim-
mer etwas gewahren zu können.
Das gelang mir auch bald, denn
ich sah, daß die Sprechenden
ihrer Kleidung nach zwei Edel¬


leute waren und schon stand ich im Begriff, meine
Mitanwesenheit zu erkennen zu geben, als ein
rasches Wort des Einen einen plötzlichen Streit
hervorrief, in dessen heftigem Verlause der Andere,
der größere, sein Gewehr anlegte (wohl dasselbe,

das dort auf dem Bureau liegt) und den Ersteren
todt zu Boden streckte. Der Mörder schleuderte
hierauf die Waffe von sich und floh in der
Richtung nach dem Schlosse Pellizani."
Bei dieser Erzählung erhob die anwesende
Menge ein Gemurmel der Ueber-


raschung und des Unwillens.
Enrico war auf die Anklage-
bank zurückgesunken und be-
deckte sein Angesicht mit bei-
den Händen. War dies ein
Zeichen seines Schuldgefühls
oder des tiefsten Abscheu's! —
Niemand konnte es erralhen,
aber Jedermann folgte gespannt
der Frage des Vorsitzenden:
„Würdet Ihr den Mörder wohl
wieder erkennen?"
„Ich würde es," war die
Antwort.
„Ist es der Mann, welcher
auf jener Bank sitzt?"
„Ja, er ist es."
Der öffentliche Ankläger
hatte die Anklage unglücklicher-
weise mit allem Scharfsinn und
allen erdenklichen Wahrschein-
lichkeitsgründen durchgeführt,
und sein Vortrag hatte einen
tiefen Eindruck hervorgebracht.
Der Vertheidiger fragte,
warum diese Angabe, wenn sie
Wahres enthalten solle, nicht
schon früher gemacht wurde? —
Der Zeuge gibt an, die
mächtige Familie des Grafen,
auf deren Ländereien er lebe,
gefürchtet zu haben.
„Seid Ihr nicht durch irgend
geheime Beweggründe zu einer
solchen Anschuldigung veran-
laßt ?"
„Wie wäre das möglich?
habe ich doch niemals vor dem
Auftritte in jener Höhle den
Grafen gesehen. Er muß es
selbst bestätigen, daß wir uns
Beide gänzlich fremd sind."

Tom Taytor. (S. 691.)

Wiewohl dem Grafen eine

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