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Das eiserne Kren).
Erzählung aus der Gegenwart
von
L. Heinrichs.
(Fortsetzung.)
3.
Doktor Berthold reiste in der That noch am
nämlichen Abend nach dem Kriegsschauplatz. Sein
Ziel war zunächst Weißen¬
burg. Nicht so schnell als
sein Wunsch trug ihn das
Dampfroß: allerorten wa-
ren durch den kolossalen
Nachschub von Truppen
die Bahnen belegt und
jeder regelmäßige Verkehr
brach gelegt. Am zweiten
Tage endlich befand sich der
Arzt an Ort und Stelle.
Er kam sehr gelegen
und wurde sogleich in ein
Lazareth, das man in
einem Schulhanse von
Weißenburg eingerichtet,
zum Dienste angestellt.
Hier hatte er den vollen
Jammer des Krieges vor
Augen, ja so zu sagen
unter den Händen. Bert¬
hold war nicht allein ein
tüchtiger Arzt, sondern auch
ein wahrhaft guter Mensch,
dem das echte Gefühl in
seinem Berufe noch nicht
abhanden gekommen war,
und den auch deshalb das
grauenhafte Bild des blu-
tigen Elends nicht abzu¬
stumpfenvermochte. Freund
und Feind behandelte er
mit gleicher Sorgfalt, mit
gleichem Erbarmen und der
rücksichtsvollsten Milde, die
oft mehr thut als Messer
und Säge.
Es waren neue Trans-
porte Verwundeter an-

gekommen, die Lazarethe überfüllt, die Aerzte Tag
und Nacht in der angestrengtesten Thätigkeit; das
Samariterwerk im Felde ist ein Heldenthum mit
den Waffen der Liebe, des Erbarmens.
Der erste Tag entrann dem Arzte wie im
Traum; die Arbeit hatte sich so sehr gehäuft, daß
er erst spät nach Mitternacht daran deuten konnte,
sich zur Ruhe niederzulegen. Wenige Stunden
Schlafes erquickten und stärkten ihn zu dem neuen
Tagewerk. Am folgenden Morgen, als er Muste-

rung hielt über all' seine Kranken, stellte sich ihm
ein Offizier von einem preußischen Schützenbataillon
vor, nannte seinen Namen: Marek, und fragte nach
einem Jäger Brandt, der in dem Lazareth unter-
gebracht sein sollte.
Der Gesuchte war denn auch bald gefun-
den ; aber er schien noch in tiefem Schlaf oder
einer Art von Betäubung zu liegen. Der Offi-
zier wandte sich leise mit den Worten an den
Arzt: „Wird er zu retten sein?"
Brandt gehörte zu den
Verwundeten, die im Lause
des vorhergegangenen Ta-
ges eingebracht und von
Berthold frisch verbunden
worden waren; Letzterer
kannte daher den Zustand
des Schützen genau. Er
erwiederte: „Die Wunde
ist zwar bedenklich, doch,
hoffe ich, nicht tödtlich."
„Das läßt sich immer-
hin hören," gab der Offi-
zier zurück, „es wäre schade
für den Burschen, denn er
hat sich wie ein Löwe ge-
schlagen und mir selbst war
derBayonnetstich zugedacht,
der ihm die Schulter durch-
bohrte — ick werde es
ihm nie vergessen! Ich bin
zur Bedeckung der Etappen-
straße hier in der Nähe
zurückgeblieben und werde
heute von nachrückenden
Landwehrtruppen abgelöst,
muß mich daher beeilen,
zu der Armee des Kron-
prinzen zu stoßen, die un-
aufhaltsam in's Innere von
Frankreich vordringt. Zu-
vor aber wollte ich noch
meinem wackeren Brandt,
den ich seit dem Tage von
Wörth nicht mehr gesehen,
Lebewohl sagen."
In diesem Augenblick
öffnete der Verwundete seine
Augen; ein mattes Lächeln

General August v. Werder. (S. 359.)


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