Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann (6.1871)

Der verschwundene,
Novelle
von
A Sleuvel.
(Fortsetzung.)
Richard fühlte sich
glücklich im Besitze dieses
(einen liebevollen Herzens,
Vas so selig, so vertrau-
ungsooll dem jugendlichen
Geliebten sich mehr und
mehr erschloß; glücklich in
der Freude der theuren
Eltern, die ihre liebsten
Wünsche nun gekrönt sahen!
Eva war ihm nächst den
Seinigen das geliebteste
Wesen, ihre sanfte Au-
muth, die rührende hin-
gebende .Zärtlichkeit, die
aus jedem ihrer Worte,
ihrer Blicke zu ihm redete,
wiegten sein Herz in won-
nige, süße Tränme; — er
wußte sich geliebt und —
er täuschte sich gewiß nicht:
was er für die holde
Braut jetzt empfand, es
war innige wahre Liebe.
In Gesellschaft einiger
jungen Leute hatte Richard
einen Ausflug nach Brigh-
ton gemacht. Nach seiner
Zurückkunft machte sich den
Seinigen ein fremdes „Et-
was" in feinem Wesen be-
merkbar; keines wußte die
mit ihm vorgcgangene Ver-
änderung sich mit Worten
zu bezeichnen, alle aber
fühlten, daß sie da war.
Eine gewisse Befangenheit,
' ja etwas wie Zwang schlich
sich in seinen Verkehr mit
Eva; die Mutter vermißte
seinen offenen Blick; der
Vater tadelte seine Zec-

Victoria, Königin von England. (S. 267.)


streutheit, wollte er über -
geschäftliche Angelegenhei-
ten sich mit dem Sohne
besprechen, und Florence
klagte: der Bruder sei
nicht halb so lustig mehr '
von dem abscheulichen
Brighton znrückgekehrt.
Auch seine Gewohn-
heiten hatten eine Aende-
rnng erlitten: stundenlang
schloß er sich in sein Zim-
mer ein; er mied die Ge-
sellschaft seiner lebens-
frohen Freunde und machte,
und zwar stets allein, weite
und, wie man des anderen
Tages wohl bemerken
konnte, anstrengende Spa-
zierritte, von denen er oft
spät in der Nacht erst zu-
rückkam.
Eva, welche unter die-
sen Wahrnehmungen viel-
leicht am meisten litt,
äußerte sich gleichwohl nie,
daß sie besorgt wäre, allein
ihreWangenwurdenblässer,
sie ward stiller und eine
gewisse Aengstlichkeit, wenn
sie sich mit dem Verlobten
unterhielt, mischte sich in
das Bestreben: ihn nicht
merken zu lassen, daß sie
ihn verändert finde.
Diese die Seinigen be-
unruhigenden Symptome
einer in ihrem friedlichen
Gleichgewicht gestörten
Seele schwanden indeß nach
Verfluß einiger Wochen fast
plötzlich; Richard gewann
seine frühere Sicherheit
wieder, ja sein Auftreten
nahm mehr und mehr eine
Bestimmtheit an, die ihm
sonst nicht eigen gewesen,
es war das eines Mannes,
der mit sich einig das Ziel,
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