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Johann Miquel. (S. 455.)


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röthliche Farbe seines Gesichtes wich plötzlich einer-
fahlen Blasse, und er trocknete sich mit dem Taschen-
tuch die Schweißtropfen, die ans seiner Stirne
standen.
Mrs. Katherine Morton! Jetzt wußte ich,
warum mir der Name auf der Karte meines Be-
suchers so bekannt vorgekommen war. Diese Mrs.
Morton, welche er seine Nichte nannte, war, wie
ich vor einigen Tagen zufällig erfahren hatte, auf

den Verdacht hin, ihren Gatten vergiftet zu haben,
verhaftet worden. Man erzählte, daß sie sehr
schön und noch jung sei, und daß ihr Gatte,
ein roher, wüster Mensch, längst schon der Polizei
verdächtig gewesen, weil man wußte, daß er reiche,
unerfahrene junge Männer in sein Haus zu locken
suchte, um ihnen dort, wo hoch gespielt wurde,
ihr Geld abzulocken. So war es natürlich, daß,
als bei dem plötzlich erfolgten Tode Morton's
dessen Diener die Frau des Verstor-
benen des Giftmordes an ihrem Gat-
ten bei Gericht anklagte, die öffentliche
Stimme sich sehr entschieden für das
junge Weib aussprach, und man im
Publikum allgemein für die Ange-
klagte Partei nahm. Der eigentliche
Hergang und die näheren Umstände
des Falles waren mir ganz unbekannt;
aber es mußten dringende Verdachts-
gründe gegen die Frau vorliegen,
da man auf die Anklage des Dieners
hin wirklich zu ihrer Verhaftung ge-
schritten war. — Der Fall interefsirte
mich.
„Sie wissen ohne Zweifel schon,"
fuhr Sir Morton mit gepreßter Stimme
fort, „daß ein Schurke die Anklage
auf Mord gegen die Wittwe feines
t erhoben hat?"
Ich habe davon gehört."
Und Sie wollen die Vertheidigung
des armen Weibes übernehmen?" rief
er hastig.
„Ich sehe keinen Grund, weshalb
ich Ihren Wunsch nicht erfüllen follte."
„Ich danke Ihnen, ich danke
Ihnen!" sagt-e er, wie erleichtert auf-
athmend, während seine ehrlichen,
blaßblauen Augen mit einem Ausdruck
fast kindlichen Vertrauens sich auf mich
richteten. „Gewiß, Sie werden meins
unglückliche Nichte retten, wie Sie schon
so viele auf einen falschen Verdacht hin
Angeklagte gerettet haben. Ihrer Be-
redtsamkeit wird es gelingen, die Ge-
schworenen von ihrer Unschuld zu
überzeugen."
„Wenn Jugend und Schönheit
unter einer falschen Anklage stehen,"
F 65

Auf ewig verloren.
Den Erlebnissen eines Anwalts nacherzählt
von
Franz Lugen.
(Fortsetzung.)
Eines Abends — es sind jetzt drei Jahre her
— saß ich an einem schwülen Augusttag arbeitend
iu meinem Zimmer. Um diese Zeit
des Hochsommers ist Berlin sehr still,
Alles geht auf Reisen, und ich würde
die Gerichtsferien mir auch längst zu
Nutze gemacht, und statt der ersticken-
den Atmosphäre der staubigen Residenz
auf den Schweizerbergen reine Luft
geathmet haben, wenn nicht ein Pro-
zeß, bei welchem für meinen Klienten
die ganze Existenz auf dem Spiele
stand, mich am Arbeitstisch festgehal-
ten hätte. In alte, vergilbte Doku-
mente vertieft, saß ich an meinem
Schreibtisch, als ich einen Wagen rasch
an meinem Hause vorfahren hörte.
Gleich darauf brachte mir mein Diener
eine Karte: „Sir Anthony Morton"
las ich. Wo hatte ich doch den Namen
schon gehört? — Ich besann mich noch
darüber, als schon die Thüre des Zim-
mers sich öffnete, und der Gemeldete
schnell und aufgeregt eintrat. Es
war ein Mann vau einigen fünfzig
Jahren, in Gesicht und Haltung un-
verkennbar den Stempel englischer Ab-
kunft verrathend. Er redete mich
deutsch an, das er zwar mit einem
ausländischen Aceent, aber vollkommen
geläufig und korrekt sprach.
„Ich komme," sagte er, „nachdem
er sich auf den Sessel, den ich ihm
hinschob, niedergelassen hatte, „im
Namen meiner Nichte Mrs. Katherine
Morton, um Sie zu bitten, das Amt
ihres Vertheidigers zu übernehmen .. .
Sie ist. . . man hat sie verhaftet. .."
Er stockte einen Augenblick, die
Sprache schien ihm zu versagen. Offen-
bar tobte in seiner Brust ein furcht-
barer Sturm, denn die gesunde, braun-
 
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