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Das eiserne kreuz.
Erzählung aus der Gegenwart
<L. Heinrichs.
(Fortsetzung.)
Der Jäger begann: „Sie wissen, was mir als
Kind vorschwebte — ick wollte Soldat werden,
allein ich wurde zum Kaufmann bestimmt ..."
„Ich weiß, ich weiß!" brachte
der Bürgermeister jetzt so hastig
hervor, als wolle er sich beeilen,
jeden Vorwurf, der etwa ihm
selbst als dem Berather bei der
Wahl jener Laufbahn gemacht
werden könne, im Voraus von
sich abzuwälzen.
„Ich fühlte mich unglücklich
in dem Beruf, den man mir
aufgedrungen hatte," fuhr
Brandt fort, „denn ich ver-
mochte noch nicht zu über-
schauen, wie gut man es mit
mir meinte, als man mich in
das Haus des Kaufmanns Wit-
tenbach in die Lehre brachte.
In den Laden des Letzteren
kam einst ein Mensch, der sich
als Matrose ausgab und ver-
schiedene Einkäufe that, die ich
ihm vormaß. Er gab sich Mühe,
mit mir bekannt zu werden, lud
mich ein, Abends nach Feier-
abend mit ihm den Mayer'schen
Biergarten vor der Stadt zu
besuchen — ich that es — und
da erzählte er mir, daß er Pitt
heiße, Matrose und im Begriff
sei, über Hamburg nach Amerika
zu reisen. Er hatte aus mir
herausgelockt, daß ich mich un-
glücklich im Hause des Kauf-
manns fühle, ich hatte Worte
fallen lassen, daß ich lieber da-
vonlaufen, als dort bleiben
wolle. Darauf baute mein
„Freund", wie er sich nannte,
seinen Plan. Er entzündete

meine Phantasie — ich war damals sechszehn
Jahre alt und mehr als zwölf Jahre sind seitdem
dahingegangeu — er erzählte mir von den Reizen
ferner Länder und erbot sich, mich auf seinem
Schiffe kostenfrei als Schiffsjunge nach Amerika
mitzunehmen. Ich armer Thor merkte nicht, daß
der Versucher es nur darauf abgesehen hatte,
mich nebenher über die Verhältnisse im Hause
Wittenbach's ausznhorchen; ich wohnte daselbst
und war mit den Gewohnheiten, die dort herrsch-

Bictor Emanuel, König von Jlalicn. (S. o87.)

ten, geuau vertraut. Arglos, wie ich war, gab
ich dem verkappten Räuber Auskunft über die
Haus- und Comptoireinrichtung meines Lehrherrn,
ich wußte, daß bedeutende Summen im Hause
waren, sie lagen in einem Schranke, der mir be-
kannt war. Wittenbach war ein Feind der Neue-
rungen, auch der feuerfesten Geldkisten, denn man
hatte ihn noch nie zuvor bestohlen. Pitt bestellte
mich auf eine gewisse Samstagnacht — ich weiß es
noch wie heute — wieder in den Mayer'schen
Garten. Ich sollte nur das
Nothwendigste von meinen Klei-
dern voraus an einen Ort im
Walde schaffen, in der näm-
lichen Nacht sollte unsere Flucht
stattfinden. An jenem Tage
war ich wie in einem wüsten
Taumel befangen — je näher
der verhängnißvolle Abend kam,
desto mehr quälte mich Angst
und Gewissenspein. Allein ich
wollte vor Pitt nicht als der
„Feigling", den er mich oft
gescholten, dastehen, und mit
einer Art verzweifeltem Eigen-
sinn handelte ich nach unserer
Verabredung. Anstatt mich in
der bezeichneten Nacht schlafen
zu legen, schlich ich mich durch
die Hinterthüre des Hauses, zu
welcher ich mir den Schlüssel
verschafft, durch den Garten
auf die Straße und stellte mich
am bezeichneten Orte ein. Mein
Gefährte war schon da. Wir
fetzten uns an einen verlassenen
Tisch im Dunkel des Gartens
und nach einiger Zeit machte
mir Pitt die Mittheilung, daß
er nochmals in die Stadt zurück
und sein Gepäck, das er nicht
habe mitbringen können, holen
müsse. An der Steinbank rechts
vom Walde, wo ich mein Bündel
hingeschafft, solle ich ihn erwar-
ten; es daure vielleicht längere
Zeit, bis er wiederkomme, doch
solle ich mich dadurch nicht irre
machen lassen. Mit bangem

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