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Das Aennchen von Plön.
Historische Novelle
von
Ludwig Salomon.
(Fortsetzung.)
Wir Knaben hatten eben erst schreiben gelernt,
und es trieb uns nun, unsere Wissenschaft zu ver-
werthen. Auf die Flächen,
wo einst fromme Sprüche ge-
standen, schrieben wir mit
allen möglichen Verzierungen:
Aennchen, Aennchen und im-
mer wieder Aennchen. Noch
heute ist das A bei mir der
Buchstabe, den ich am besten
schreibe.
Bald darauf wurden die
Steinplatten der Schauplatz
eines beliebten Spieles, Him-
mel und Hölle. Eine leiter-
artige Figur ward ausgezeich¬
net, an deren einem Ende ein
Platz abgegrenzt wurde, der
Himmel; an den Anfang der
gezeichneten Leiter ward dar-
auf ein kleiner Scherben ge¬
legt, und es war nun die
Aufgabe: nur auf einem Fuße
hüpfend, den Scherben von
einer Sprosse zur anderen bis
in den Himmel zu schleudern,
ohne dabei die Grenzen der
Leiter zu verlassen. Uns bei-
den Knaben gelang das nun
ziemlich leicht; aber die kleine,
weit jüngere Gespielin mußte
mit viel größeren Schwierig-
keiten kämpfen. Doch sie gab
sich alle erdenkliche Mühe, sie
biß die kleinen, reizenden,
rosigen Lippen fest zusammen,
sie grub die zusammeugeball-
ten Fäustchen in das hellblaue
Kleid und — noch immer sehe
ich das kleine niedliche Füß-
chen mit größter Geschicklich-
keit über die weißen Kreiden-

es um Tod uud Leben, und das kleine reizende
Wesen klatschte dem es erobernden Sieger Bei-
fall zu.
Dabei verrannen unsere Knabenjahre, und
plötzlich merkten wir, daß wir groß geworden.
Das Aennchen zog sich von unseren wilden
Spielen zurück — es schickte sich nicht mehr, daß
sie mit uns durch Zäune und Ställe kroch.
Immer holder, immer lieblicher, immer schöner
erblühte darauf das Aenn-
chen. Ich fühlte beklommen,
wie immer lebhafter mein
Herz schlug, sobald ich mich
ihr näherte, und mir entging
es auch nicht, daß mein Freund
Friedrich gleichfalls in diesem
Zauber des Mädchens befangen
war. —
Und während meine Blicke
so auf dem alten Hause ruh-
ten, stockte plötzlich mein
Athem; eine liebliche weiße
Gestalt trat drüben aus dem
Hause in den Schatten der
Linde, dann in das Gärtchen
am Hause — und sie brach
Epheuzweige vom Gemäuer,
volle saftige Ranken, und sie
legte sie wie eine Schärpe
über das lichte Kleid, über
die zarten Schultern, daß sich
die dunklen Blätter glänzend
abhoben, und sie pflückte einen
Rosenzweig voll glühend rother
Rosen und einen Stengel mit
weißen Lilien. Und sie schaut
mich an mit ihren großen
zauberischen Augen, und mir
wird so wonnig und angst-
voll zu Muthe. Und sie
schwebt langsam empor; leise
legen sich die langen Falten
des Kleides au den zarten
Leib. Und sie naht, ich strecke
ihr beide Arme in heißem Ver-
langen entgegen, sie senkt sich
herab zu mir; in höchster Er-
regung pocht mir das Herz.
Sie öffnet den kleinen rosigen

striche Hüpfen. Wir Knaben saßen dann im Himmel,
gespannt zuschauend, und breiteten zuletzt jubelnd
die Arme aus, wenn sie schließlich zu uns in den
Himmel hereinsprang.
Bald wurden dann unsere Spiele andere;
unsere Köpfe waren mit Räubergeschichten erhitzt
worden, wir fingen selbst an Räuber zu spielen
und sie war dann die gefangene Prinzessin, die ge-
! raubt werden sollte. Wir rangen dann, als ginge

Professor Friedrich Bischer. (S. 615.)

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