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Ein MajeMsverbrechen.
Aus dm Papieren eines Rechtsanwalts mitgetheilt
von
Karl Hisop.
lFortsetzung.)
„Aber, wie wollen Sie uns helfen, Meister
Luppe?" fragte der Obergerichtsanwalt, schon
etwas beruhigt. „Hier gilt es nur, den Unglück-
lichen möglichst schnell fortzuspediren. '
„Meinen Sie? Nun, ich erlaube
mir, etwas anderer Ansicht zu sein.
Der Doktor hat allzuweuig Vorsprung,
und es wäre leicht möglich, daß er
von den berittenen Gendarmen oder
mit Extrapost unterwegs eingeholt
würde. Nach meiner Meinung ist es
bester, die Verfolgung auf eure falsche
Spur zu leiten."
„Ganz gut, aber wie gedenken
Sie das zu bewirken?"
„Einfach so, daß wir Beide dem
Wagen etwas entgegengehen. Kommt
nun der Doktor, so steige ich ohne
Weiteres in den verschlossenen Wagen
und gebe ihm rasch den Mantel, das
karrirte Taschentuch und meine Mütze.
Er steigt dann statt meiner wieder
aus und wandert mit Ihnen uner-
kannt über Berg und Thal davon,
während ich die Polizei durch tolle
Reisen kreuz und quer ermüde und
dann, wenn mir das Glück hold ist,
auf irgend einer Poststation verdufte,
um völlig ungeuirt nach Südheim
zurückzukehren! Werde ich aber ab-
gefaßt, je nun, so lache ich eben die
Polizei einmal gründlich aus, denn
was haben im Grunde die Herren
nach den Irrfahrten des Schlosser-
meisters Luppe zu fragen? Weder auf
Sie, den man hier hoffentlich nicht
kennt, noch auf den Doktor kann ein
Verdacht fallen, denn der mit Ihnen
wandernde Mann im langen blauen
Mantel hat, wie die Wirthin bezeu-
gen wird, viele Stunden vor An-
kunft der bewußten Kutsche im Gast-

hause gesessen und ist schon vor deren Ankunft
wieder fortgegangen."
„Bravo, Meister Luppe," sprach ich freudig er-
regt. „Dieser Vorschlag läßt sich allerdings hören.
Schon im Walde soll der Doktor sich seines
Barts und seiner Brille entledigen, durch diese
zweite Vermummung wird er so unkenntlich, daß
wir ihn am Ende selbst nicht wieder erkennen. —
Aber was weiter! Wohin soll ich den Doktor
führen?"
„Ei nun," lachte der Andere, „just dahin, wo

er zeigen kann, daß er sich auf das Scheermesser
versteht."
„Was wollen Sie damit sagen?" fragte ich
ziemlich verblüfft.
„Das sollen Sie gleich erfahren. Sehen Sie,
ich habe einen sehr feinen Plan mit den Frauen
ausgedacht: Sie wandern Beide hübsch langsam
wie Spaziergänger auf dem Fußwege, den Sie
dort drüben sehen, an der großen Linde vorüber
in den Wald hinein. Das iss der Weg nach
Ulmenau und diesen wählen Sie natürlich nur
zum Schein. Im Walde, da, wo
links die Haide und rechts eine Tan-
nenschonuug biegt, führt ein schmaler
Fußweg rechts über den Berg in
einem Stündchen nach Katzendorf hin-
unter. Sie können gar nicht irren,
nur immer gerade aus. Dort gibt
der Doktor diesen Brief bei meinem
Vetter, dem Barbier, ab. Sie
brauchen nicht zu stutzen, mein Vet-
ter ist zuverlässig und schweigsam,
wenn er auch Barbier ist."
„Aber, was soll der Doktor in
Katzendorf?"
„Nun, zunächst sucht ihn in
Katzendorf Niemand und das ist
schon etwas. Wenn sich nun der
Doktor gar noch kurz entschließen,
den gelahrten Hochmuth sür einige
Wochen besiegen kann und meinem
Vetter beim Rasieren hilft —"
Ich mußte laut auflachen.
„Steinmaun soll Dorfbarbier
werden? — Famoser Gedanke das,
Meister Luppe! Ich möchte mich wahr-
lich nicht von ihm scheeren lassen."
„Die Katzendorfer Bauern sind
nicht so feinfühlend, als Sie, und
nehmen einen kleinen Schnitt dank-
bar als wohlfeilen Aderlaß an.
Kurzum, in einigen Wochen ist die
erste Hitze der Verfolgung sicher ver-
raucht und wir bringen ihn dann
ohne Mühe über die Grenze."
Ich konnte dieser Modlficirung
des Fluchtplans meine Bewunderung
nicht versagen.
„Aber, mein lieber Meister,"

Madame Grisi. (S. 587.)


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