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584 ^3 ^"

geister zu beleben. Sie sah sehr elend aus, so
elend, daß Niemand wußte, ob Alter, Krankheit
oder Kummer tiefere Falten in diese Züge gegra-
ben hatten. Ihr mattes Auge haftete am Boden,
als wollte sie es mit Gewalt von dem Kinde
abwenden. Ein grobes Tuch, fast nur eine Decke
zu nennen, umhüllte ihren Kopf und ihre Ge-
stalt; darunter wehte der Wind das grüne Röck-
chen um die Füße, die von den zerrissenen
Schuhen nur schlecht gegen das Schneewafser ge-
schützt waren.
Polnischs Bauern gingen an ihr vorüber,
warfen meist einen verachtenden Blick auf die
Unglückliche, aber Niemand dachte daran, ihr
etwas zu geben. Die Füße schienen sie nicht
mehr tragen zu wollen, sie fetzte sich auf eine
steinerne Bank vor einem Häuschen nieder.
Graf Dembinsky schritt gerade auf sie zu.
„Dir geht es sehr schlecht," sagte er in mil-
dem, herzgewinnendem Tone, „kann ich Dir helfen?
ich bin der Gutsherr!"
„Gerechter Gott meiner Väter, mir helfen!
wer wird helfen mir, bin ich doch eine Jüdin,
ein armes verstoßenes Weib!"
Graf Dembinsky sah sie mit seinen klaren,
großen Augen erstaunt an, dann aber gab er ihr
einige Rubel und sagte zu Orlanoff gewendet:
„Wohnt ein Jude hier im Orte?"
„Zu dienen, Herr Graf, dort in dem ein-
stöckigen Hause wohnt Baruch Levi, der Brannt-
weinbrenner."
„Also gehe dorthin," fuhr der Graf zu der
Unglücklichen fort, „und sage, daß ich befohlen
babe, Dich dort aufzunehmen, Dir Kost und
Wohnung zu reichen; für das Geld, das ich Dir
gab, kaufe Dir Schuhe und ein Tuch."
„Gott segne Euer Gnaden viel tausendmal,
und möge vergelten Ihnen, was sie einer armen
Jüdin Gutes gsthan, aber wird mir glauben der
Baruch Levi, wenn ich ihm werde sagen, was
Euer Gnaden mir befohlen?"
„Geh mit ihr, Orlanoff, und sage dem Baruch
Levi, ich werde mich selbst überzeugen, ob er
meine Befehle vollzogen hat."
Ernst und schweigend setzte der Graf seinen
Weg fort. Die Scene mit der Bettlerin hatte
ihn ernstlich ergriffen. Auf seinen Reisen, wäh-
rend seines Aufenthaltes in den größeren Städten
Europa's hatte er wohl die Armuth in den ver-
schiedensten Gestalten kennen gelernt, aber noch
nie war sie ihm in solch erschreckender Gestalt
gegenüber getreten, wie eben jetzt in seinem Vater-
lande, auf seinem Gute!
„Armes Weib," sprach er halblaut, „Du bist
ein getreues Bild des armen Vaterlandes! —
0/62)-'6na!" seufzte er. Ein Blick auf die Wache,
die immer in gleicher Entfernung von ihm blieb,
verwandelte seine Wehmuth in Bitterkeit. —
Während die Brüder für . die große geliebte
Mutter von allen Seiten sich zum Kampfe schaar-
ten, sollte er hier bleiben im trägen Nichtsthun;
während Polens tapfere Söhne Blut und Leben
opferten, konnte er hier auf seinem Schlosse höch-
stens — beten! Und wenn er gelingt, der große,
entscheidende Kampf, wie werden ihn die Jugend-
genossen ansehen? Die Schamröthe stieg ihm
iu's Gesicht. Dann kann ich mich selbst verban-
nen aus meiner Heimath, sagte er sich, und immer
mißmuthiger ging er weiter.
So war er eine kleine Strecke außerhalb des
Dorfes gelangt, als er plötzlich das Geläute eines
Schlittens vernahm, der mit rasender Eile über
die Ebene dahinschoß; Orlanoff, der in diesem
Momente zurückgekommen war, rief erschreckt:
„Um Gotteswillen, die Pferde gehen durch;
wenn sie an das Ende der großen Wiese kommen,
müssen sie dort unfehlbar über den felsigen Ab-
hang hinunterstürzen, und die Insassen des Ge-
fährtes sind verloren!"
Die scheuen Thicre kamen schon ganz nahe

und hatten jetzt ebenfalls die beiden Männer er-
blickt. Mit einem raschen Sprungs wollten sie
an ihnen vorbei, aber schon hatte der Graf die
Zügel des einen Thieres erfaßt, und ebenso fiel
der Jäger in die Zügel der beiden anderen, daß
sie sich hoch anfbäumten und der Schlitten nach
einem gewa tigen Stoß zum Stehen kam.
Es war aber auch die höchste Zeit, denn noch
einige Sekunden und Rosse und Schlitten wären
in den Hohlweg, der am Rande der ebenen Fläche
hinführte, hinabgestürzt.
In dem Schlitten saßen zwei Frauen; beide
waren jedoch ohnmächtig; der Kutscher mochte
schon früher abgesprungen oder herabgefallen sein,
als die Pferde ihren wilden Lauf begannen.
„Schnell, schnell mit den Frauen in's Schloß!"
rief der Graf.
„Herr, es sind Russinnen," erwiederte leise Or-
lanoff.
„Es sind Menschen, die unserer Hilfe bedür-
fen; nur rasch vorwärts!" Dembinsky setzte sich
selbst auf den Platz des Kutschers, während der
Jäger und der inzwischen herbeigekommene Ko-
sake die noch immer unruhigen Pferde an den
Zügeln führten.
Nach einer kleinen Panse schlug die jüngere
Dame die großen ausdrucksvollen Augen auf; die
fremden Gestalten mochten sie überraschen, sie strich
sich mit der zartgeformten Hand über die hohe
Stirne; plötzlich schien ihr die klare Erinnerung
zu erwachen, ihre schöngeformten Lippen zuckten
schmerzlich und sie wendete ihr Auge auf die
Mutter. Der Ausdruck des Schmerzes, die kind-
liche Liebe, die aus den Augen mit den langen
seidenen Wimpern hervorleuchtete, machte das
schöne Gesicht ungemein rührend.
„Ach Gott, meine liebe arme Mutter!" rief
sie und streichelte sanft das Antlitz der neben ihr
Ruhenden.
„Mein verehrtes Fräulein, seien Sie ganz
beruhigt, die Gefahr ist glücklich überstanden und
die Mutter wird sich bald wieder erholen," trö-
stete sie der Graf.
Unter den Liebkosungen der Tochter erwachte
auch die Mutter, und der Graf lud die beiden
Damen ein, in seinem Schlosse Rast zu halten.
Der Vorschlag wurde dankbar angenommen.
Sobald die Damen am warmen Kamin sich von
dem ausgestandenen Schreck erholt halten, erzählte
ihnen Graf Dembinsky den Grund seiner unfrei-
willigen Anwesenheit im Schlosse. „Das heutige
Ergebniß," schloß er mit einer leichten Verbeu-
gung, „söhnt mich mit dem Schicksale aus, das
mich hierher verbannt hat."
Mit warmen Worten dankte die Mutter, die
erst jetzt die Gefahr, in welcher sie geschwebt, in
ihrer vollen Größe erkannt hatte.
Die blassen Wangen ihrer Tochter färbten sich
mit lebhaftem Roth, als sie den Namen Dem-
binsky's, der damals schon berühmt war, ver-
nahm und seine Augen den ihrigen begegneten.
„Ohne Ihre rasche Hilfe, Herr Graf, wären
mir verloren gewesen," sprach sie saust; „ich werde
zeitlebens zu Gott um Segen für unseren Retter
flehen!"
„Erlauben Sie, Herr Graf, daß mein Gemahl,
der Fürst Felotiskoff, Ihnen später persönlich seinen
Dank darbringe. — Wenn auch seine politischen
Ansichten nicht mit den Ihren übereinstimmen,
wird er in Ihnen doch stets nur den Retter
seiner Gattin und seines Kindes erblicken."
„Ich preise den glücklichen Zufall, der mir
gestattete, den Beweis zu liefern, daß meine Na-
tion nicht mit den Russen als Volk, sondern nur
gegen die eingeführten Mißbräuche der Negierung,
gegen die maßlose Bedrückung seiner Beamten
Krieg führt!" —
(Fortsetzung folgt.)

Gemeinnütziges.
* Beseitigung von Tinten- und Oelflecken aus weißem
Marmor. Was das Reinigen schmutzig gewordener Marmor-
gegenstände betrifft, so kann hiebei folgendes Verfahren an-
gewendet werden. Man nehme gelöschten Kalk und vermische
denselben gründlich mit starker Seifenlöfnng, so daß eine
rahmartige Masse entsteht. Diese Masse breitet man ans
dem zu reinigenden Gegenstände aus und läßt sie 24—80
Stunden darauf. Dann nimmt man sie wieder ab, wäscht
den Marmor mit Seifenwasser und hierauf mit reinem
Wasser; oder man vermischt mit Y4 Pfund Seifensiederlange
und Vs Pfund Terpentin eine Rindsgalle, verwandelt Alles
in einen Teig mit einem Zusätze von Pfeifenerde, trägt
diesen auf den Marmor auf und reibt ihn dann wieder ab.
Man wiederholt dieses Verfahren, bis der Marmor vollstän-
dig rein ist. Oel dringt bekanntlich sehr tief in den Mar-
mor ein, so daß z. B. Tischplatten davon ganz durchdrungen
werden; es durchdringt auch polirten Marmor. Um solche
Flecken zu reinigen, empfiehlt es sich, dieselben erst mit Pe-
troleum zu tränken, damit das verharzte -Oel aufgelöst werde.
Nach dem behandelt man die Fläche mit oben angegebener
Mischung aus Seifensiederlauge, Terpentin, Rindsgalle und
Vfeifenthon, oder auch mit Pfeifenerde allein, mehrmals.
Tintenflecken konnte ich auf polirtem Marmor nicht erzeugen.
Dieselben ließen sich durch Abwaschen mit Wasser vollständig
entfernen, auch wenn der Stein beim Aufträgen der Tinte
erwärmt war; nicht polirter Marmor nimmt jedoch die
Tinte auf. Durch Abwaschen mit reinem Wasser läßt sich
ein großer Theil des Flecks entfernen. Man behandelt hier-
auf den Fleck mit Klecsalzlöfung und schleift schließlich ab.
Zum Abschleifen kann man zweckmüßigerweise fein zerstoße-
nen, gesiebten, weißen Marmor verwenden und zwar ver-
mittelst eines leinenen Lappens, der in Wasser und dann in
Pulver getaucht wird. Reibt man nachher mit weißem Fla-
nell trocken, so entsteht wieder ein matter Glanz. Weißer
Marmor ist ein äußerst empfindliches Material und die
ganz spurlose Entfernung von Tinten- und Oelflecken
dürfte wohl nie gelingen.

-Mogrypl).
Nimmst Du mich ganz, dann bin ich eine Mythe,
Ein Hochgennß für jedes Kinderherz,
Auch Große von empfänglichem Gemüthe
Erfreut gar oft mein sinnig frommer Scherz.
Nimm mir den Kopf, erschlagen bin ich dann
Ein Opfer blinder Eifersucht und Wuth.
Du kennst mich schon von Deiner Jngend an,
Zum Himmel schreit mein längst vergoßncs Blut.
Auflösung folgt in Nr. 44. L. N.

Wilder-MtM.




Auflösung folgt in Nr. 44.

Wricfkastcn.
* E. E. in Lindenau. — Fortsetzung der Ncceptc
zur Sicgellackfabrikntion: F ei nr 0 t h er S i e g e l l ack. Man
schmilzt 14 Loitz Schellack, 8 Loth vcnctianischen Terpentin
und setzt 8 Loth Zinnober und 3 Quent Talkcrde hinzu. —
Feinrothcr Siegellack Nr. 1. Man schmilzt 14 Loth
Schellack, 8 Loth venetianischcn Terpentin und setzt 5 Loth
Zinnober und 2 Quent Talkcrde, mit Terpentinöl abgcrieben,
hinzu. — Fein s ch w a r z er Siegellack. Mau schmilzt
18 Loth Schellack, 1 Loth Kolophonium, 11 Loth venelia-
nischen Terpentin, und setzt so viel Kienruß, mit Terpentinöl
abgcrieben, als nöthig ist, hinzu.
* R. in B. — Zn der Zeit, wo Sie an Verschlei¬
mung des Magens, leiden, essen Sie Abends nur
Suppe und Weißbrot,. Früh nüchtern trinken Sic dann
8 Tage lang Va bis Y4 Litre Fricdrichshallcr Bitterwasser,
pur oder mit SelterSwnsscr gemischt. In diesen 8 Tagen
genießen Sie nichts Saures und kein Bier, wohl aber Wein.
Im Allgemeinen trinken Sie viel Milch. Es ist ein Vor-
nrtheil, daß Milch „verschleime"; sie löst den vorhandenen
Schleim in Magen und Lunge und hält die Neubildung von
solchem hintenan. Or. E.
* Frl. Karoline M. in Altona. — Wir haben die
von Ihnen gestellte Nachfrage schon mehrfach beantwortet,
unter Anderem erst im letzten Heft.
Redaktion von Adolf Palm.
Druck und Verlag von Hermann Schönlcin.
 
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