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Das eiserne Kreuz.
Erzählung aus der Gegenwart
von
A Seinrichs.
1.
Im Gasthof „Zum Lämmchen" ging es am
7. August sehr lebhaft und geräuschvoll her. Man
hatte soeben die Nachricht von der siegreichen
Schlacht bei Wörth erhalten und alle Patrioten
in dem Städtchen X. strömten an ihren Sammel-
platz zusammen, um beim fröhlichen Becherklang
und zahlreichen Toasten aus die tapfere
deutsche Armee und ihre Führer der
Begeisterung und Freude einen beredten
Ausdruck zu geben, während die Straßen
sich bald mit Fahnen schmückten und
die Schuljugend in lustigen Schaaren
die „Wacht am Rhein" sang.
„Ja, meine Freunde!" sprach der
Bürgermeister, nachdem man soeben
die Gläser auf das Wohl des sieg-
reichen Heeres geleert, „ich darf wohl
dreist behaupten, daß unser Vaterland
noch niemals eine solche Zeit erlebt
hat und selbst die Freiheitskämpfe von
1813—1ä im Vergleich zu unserer
Gegenwart erbleichen."
„Oho," rief ein alter hagerer
Mann mit finsterem Gesicht und grauem
Schnurrbart, „das bitte ich denn doch,
mir zu beweisen, Herr Bürgermeister!
Die Siege von Weißenburg und Wörth
mögen ganz respektabel sein, ich will
sie nicht verkleinern, Gott bewahre!
aber von einem Leipzig oder Waterloo
sind sie noch himmelweit entfernt!"
„Ich wollte den tapfern Helden
von Leipzig und La belle Alliance
nicht zu nahe traten, mein bester Herr-
Lieutenant!" erwiederte der Bürger-
meister lächelnd, „müßte fürwahr ein
schlechter Patriot sein. Aber ich meine
nur, daß sich die Väter über ihre
Söhne und Enkel freuen können im
Grabe, und Sie vor allen Dingen, Herr
Lieutenant, dem es vergönnt ist, als
Veteran der Freiheitskriege diese ge-

Hugo, Herzog von Ujest. (S. 335.)

waltige Zeit mit zu erleben, wo ein deutsches
Heer allein ohne fremde Hilfe die Franzosen aus's
Haupt schlägt und ihnen, will's Gott, solchen
Denkzettel gibt, daß sie sammt ihrem Napoleon
es niemals wieder wagen, die gierige Räuber-
faust nach Deutschland yuszustrecken, um wie
früher ein schönes Stück nach dem andern vom
Reiche abzutrennen und uns so ohnmächtig zu
machen, wie es der erste Bonaparte zu- Wege
brachte."
„Nun, drum war damals unser Kampf ge-
fährlicher, weil wir darniederlagen," meinte der
Lieutenant finster; „mit solcher Macht, wie sie

heut' d'rauf losgehen, hätten wir's Anno 15 auch
allein fertig gebracht."
„Gewiß," nickte der Bürgermeister, „wer
möchte daran zweifeln? Aber die Macht war eben
nicht da, damals mußte das Ausland mithelfen und
half fo wacker, daß es uns um alle Früchte der
blutigen Siege betrog und Deutschland ohnmäch-
tiger denn zuvor machte. — Oho, Alter! Ihr linker
Arm ist nicht umsonst zerschossen worden bei
Waterloo, er hat mitgeholfen, das deutsche National-
gefühl, welches uns gänzlich abhanden gekommen,
wiederzufinden und sestzuhalten für immerdar.
Darum, meine Freunde! ein Hoch dem wackern
Veteranen von 1815, dem Vorkämpfer
unserer Tage', ein Hoch dem Herrn
Lieutenant Heldberg!"
Die Gläser klangen hell zusammen.
Der alte Mann war überrascht und
gerührt.
Er trank hastig sein Glas aus,
murmelte etwas zwischen den Zähnen
von unverdienter Ehre und schloß
dann, auf seinen Armstumpf blickend,
mit den Worten: „Habe nichts davon-
getragen als dieses Andenken da . . .!"
„Ist auch ehrenvoller, als irgend
ein Band im Knopfloch von der Hand
eines Tyrannen gespendet!" tönte jetzt
eine scharfe Stimme vom Eingänge
her. Alle blickten auf nach einem
schlanken, bleichen jungen Mann, der
vor wenigen Minuten in die Stube
getreten und Zeuge des Hochs aus
den alten Lieutenant gewesen war.
„Man läßt die Invaliden verhungern,
die Großen stecken die Vortheile ein,
die das Volk mit seinem Blute erkauft
hat, und für die zerschossenen Glieder
schenkt man uns allenfalls ein Krenz
von Eisen! — Etliche sind nicht ein-
mal so glücklich, dies zu erringen,
denn auch da geht's bei der Verthei-
lung nicht allzu gewissenhaft her!"
Der fröhliche Jubel war augenblick-
lich verstummt. Finstere Blicke flogen
nach demunberufenen. Sprecherund dann
nach dem Invaliden, in dessen Antlitz
sich eine gewaltige Bewegung, ein müh-
sam verhaltener Grimm spiegelte.

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