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V.

Eine russische Lause.

gegen ihn ihren Arzt als Aus-

ob
es
Magnaten geboten?

kaum ihre Thränen zurück. Der ehrliche Heim-
bucher, die Nlpstifikation nicht ahnend, trat zu
Marien und flüsterte: „was rathcn Sie mir,
Fräulein Marie, soll ich nach Ungarn gehen?"
Frank sah die Baronin bedeutungsvoll an,
einige Worte genügten, sie aufzuklären, so weit es
Frank sür nöthig hielt.
Ohne Zögern ging die Dame auf den Doktor
zu und sagte: „Zu was wollen Sie in der Ferne
das Glück suchen, da es Ihnen so nahe liegt?
Ihre Praxis wird von Jahr zu Jahr größer
werden, ich gebe Ihnen einen anständigen Jahr-
gehalt, und will Ihnen denselben schriftlich ver-
sprechen, wenn Sie hier bleiben, und wollen Sie
sich verheirathen, ist es vielleicht ein Mädchen,
das auch ich kenne, welches Sie gewühlt haben,
so statte ich die Braut aus."
Natürlich blieb der gute Heimbucher; natürlich
richtete die Baronin ihm und Marien sechs Monate
später die Hochzeit aus, zn welcher Franconi als
der liebste Gast geladen ward.
Jetzt ist Doktor Heimbacher auch noch mit

Russische Gebräuche.
I.
Die Taufe.
Die russische Kirche ist sehr reich an Ceremonieen
und Festen und begleitet den Gläubigen in allen Ver-
hältnissen des
Lebens von der
Geburt bis zum
Grabe mit be-
stimmten äußer-
lichen Gebräu-
chen, welche den
Sinnen die Er-
habenheit und
Heiligkeit des
unveränder-
lichen Dogma's
zum Bewußtsein
zu bringen be-
stimmt sind. Auf
unserem Bild
haben wir jene
kirchliche Hand-
lung unseren
Lesern vorge-
führt, wodurch
der russische Ri-
tus den neuge-
borenen Men-
schen in die Ge-
meinschaft der
Gläubigen auf-
nimmt. Die
Russen lassen
ihre Kinder bald
nach der Geburt
taufen. Der
Priester oder
Pope begibt sich
nach der Geburt
sofort zur Wöch-
nerin, betet zu
GottsürihreGe-
sundheitund seg-
net den Spröß-
ling. In der
Regel acht Tage später wird die feierliche Taufe ent-
weder in der Vorhalle der Kirche oder im Hause
vollzogen. Die Ceremonie selbst hat viele Ähnlich-
keit mit der katholischen Taufe, wie denn die grie-
chische Kirche gar viele Gebräuche beibehielt, als sie
sich von der römischen trennte. Der russische Täuf-
ling, so will es die Sitte, hat zwei Taufzeugen, einen
Pathcn und eine Pathin. Die letztere hält den in
feines Linnen gewickelten jungen Weltbürger auf den
Armen, der Pathe steht rechts neben ihr. Der Pope
nähert sich nun dem Täufling, schlägt das Linnen
zurück und wendet das Kind gegen Osten, bläst ihm
in das Gesicht und bekreuzigt ihm Stirue, Mund
und Brust, verkündigt mit lauter Stimme den Na-
men des neuen Christen und spricht dreimal die gegen
den bösen Feind gerichtete Beschwörungsformel. Ist
der böse Geist auf diese Weise ausgetriebeu, so dreht
sich der Pope nach Westen und fragt die Taufpathen,
ob sie au des Neugeborenen Statt, alle Gemeinschaft
mit dem Satan für die Zukunft abschwörcn wollen,
worauf diese durch Blasen, Räuspern und Ausspucken
ihre Verachtung aller Verführungskünste und Werke
des Teufels künd thun. Nun. folgt eine Proccdur,
welche unseren Damen wohl etwas barbarisch vor¬

unk) die Gesellschaft mit seinem Gesänge zu ent-
zücken. Doktor Heimbacher wollte sich empfehlen,
da aber Sternberg des Letzteren Toilette tadellos
fand, lud er ihn artig zum Bleiben ein und ver-
sicherte, es würde den Papa sowie Mama freuen,
die Bekanntschaft eines so vorzüglichen Heilkünstlers
zu machen.
Der Doktor nahm mit der Miene des ge-
wandten Weltmannes diese Einladung an. Beide
Excellenzen waren große Musikfreunde und hoch-
erfreut, daß durch Heimbucher's Kunst der Sänger
wieder hergestellt worden war, von dem sich heute
Abend die ganze Gesellschaft einen hohen Kunst-
genuß versprach, denn in das Haus des Präsidenten
wurden nur Musikkenner eingeladen.
Während die ganze Gesellschaft entzückt dein herr-
lichen Vortrage des berühmten Tenoristen lauschte,
ließ Heimbucher seine Blicke im Salon umher-
schweifen, wer beschreibt wohl seine stille Freude,
als er unter den jungen Damen Fräulein Marien
erblickte.
Selbstverständlich wurde Frank, als er den
Flügel,verließ,
mit Lobeser¬
hebungen über¬
schüttet , aber
dieser wies sie
mit gut gespiel¬
ter Bescheiden¬
heit von sich
und versicherte,
daß er es nur
dem Doktor
Heimbucher,
von dessen Ge¬
lehrsamkeit er
schon früher ge¬
hört habe, ver¬
danke, daß der
Kehlkrampf so
schnell gewichen
sei.
Als es zur
Tafel ging, kam
Frau v. Reck-
nitz auf Heim¬
bucher zu und
begrüßte ihn
enthusiastisch,
als einen vor¬
trefflichen
Mann, sie hatte
auch gar nichts
dagegen, daß
er Marien zu
Tische führte,
und wandte sich
hieraus zu dem
Präsidenten, um
bund von Gelehrsamkeit und Muster von Zart-
gefühl zu preisen, hat er doch, sagte die gute
Dame zu sich selbst, Mimi, das liebe Geschöpf,
Fräulein titulirt.
Frank blieb vier Wochen der gefeierte Gast der
Bühne und der Stadt. In dieser Zeit war Heim-
bucher mehrmals zu Frau v. Recknitz eingeladen
worden, auch wegen ihrer Gesundheit zog sie ihn
zn Rathe, und die singenden Herren und Damen
der großen Welt consultirten Heimbucher von jetzt
an so oft sie sich etwas indisponirt fühlten. Da
er etwas Tüchtiges gelernt hatte, vermochte er
auch oft zu helfen und bekam Rnf. Der schlaue
Frank machte öffentlich Brüderschaft mit Heim-
bucher, weil er merkte, daß Heimbucher zu offen
war, um längere Zeit eine Nolle zn spielen. Der
schlaue Frank hatte aber auch entdeckt, daß der
junge Doktor sehr gerne Marien zur Frau Doktorin
gemacht Hütte, aber aus Furcht vor Sorgen um
das Nöthigste sein Geständnis; zurückhielt.
„Morgen reise ich ab, also muß ich dein Freunde

dem Titel Geheimer Sanitätsrath geehrt, er ist
nicht nur der gesuchteste, sondern auch der belieb-
teste Arzt der Stadt und Umgegend und in seinem
Famlienkreise ein glücklicher Mann.
Wenn sich ihm junge Aerzte vorstellen und
Sorgen wegen ihrer Zukunft verrathen, spricht
Heimbucher ihnen Muth ein, er blickt dabei auf
die Porträts der Frau v. Recknitz und seines
Freundes Frank, welche sein Zimmer schmücken
und sagt dann: „Nur nicht verzagt, junger
Doktor, aller Anfang ist schwer, aber wer Etwas
gelernt hat, der geht nicht zu Grunde. Man
weiß oft selbst kaum, wie man zu großer Praxis
kommt!"

heute noch helfen," sagte er zu sich selbst. Er
wußte, daß Heimbucher diesen Tag bei Frau von
Recknitz speisen würde. Als die Dame mit ihrem
Gaste und Marien sich von der Tafel erhoben,
wurde Herr Franconi gemeldet.
„Sie verzeihen gütigst, meine gnädige Frau,
daß ich meinen Freund und Arzt hier bei Ihnen
aufsuche, allein ein Telegramm —"
„Was ist geschehen?" riefen gleichzeitig Frau
Recknitz, Marie und Heimbucher!
„Nur eine Bitte an mich, bei Dir anzufragen,
Du geneigt wärest, diese Stadt zn verlassen,
wird Dir eine schöne Stellung im Hause eines
„Diese Stadt verlassen, unmöglich!" rief in
großer Aufregung Frau v. Recknitz. „Wer sollte
denn Mimichen so schnell Herstellen, und mich —"
„Gewiß wäre Heimbucher's Abgang von hier-
ein Verlust, aber was könnte ihn hier, wo er
noch nicht hinreichend Praxis hat, festhalten?"
crwiedcrte Frank.
Marie war sehr blaß geworden und hielt
 
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