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Äugust des folgenden Jahres wohnte Franz I.
der Vermählungsfeier seines zweiten Sohnes in
Innsbruck bei. Als er Anstalten zu seiner Rück-
reise von dort traf, fühlte er sich unwohl; Abends
wollte er sich mit Joseph in seine Gemächer be-
geben, fiel aber unter der Thürschivelle, vom
Schlage getroffen, dem Sohne leblos in die Arme.
Man brachte seinen Leichnam nach Wien. Unter
seinen Papieren sand man ein langes Verzeichnis)
von Notlsteideuden, welche er in aller Stille jähr-
lich unterstützt hatte — ein schöneres Denkmal
hat der Kaiser dadurch sich selbst gesetzt, als es
die Welt durch Standbilder von Stein oder Erz
Hütte thun können.

Deutsche Gefangene als französische
Galeerensklaven.
Historische Skizze
von
W. Waer-
Als sich der Abend des 31. Mai 1809 auf
die Stadt Stralsund herabsenkte, da ging eine
Tragödie zu Ende, die jeden Freund unseres
schmachvoll geknechteten Vaterlandes mit großer
Trauer erfüllte. Ferdinand v. Schill, der sich
in den Tagen der großen Verzagtheit im Jahre
1807 durch die Vertherdigung der Veste Colberg
einen Namen gemacht hatte, konnte die Schmach
des Vaterlandes nicht länger ertragen. Auf seine
eigene Faust erklärte er dem Kaiser von Frank-
reich den Krieg. Aber die Stunde für Deutsch-
lands Befreiung hatte noch nicht geschlagen; Schill
büßte seinen Feuereifer mit dem Tode. Das
Häuflein seiner Getreuen war zu schwach gegen
die Heeresmacht der Dänen und Holländer, die
gegen ihn heranzog. Vergebens waren alle An-
strengungen, den Feind vom Einbruch in die Stadt
abzuhalten. So gewaltig Schill selbst auch mit
eigener Hand auf die Feinde einhieb und so
mächtig auch sein Beispiel auf seine Truppen
wirkte — die Uebermacht war zu groß. Als er
allein in den Straßen von Stralsund herumirrte
und vergebens einen Ausweg suchte, durchbohrte
eine Kugel sein Haupt. Hoch zu Roß, den vom
Blute des Feindes triefenden Stahl in der Rech-
ten — so ereilte ihn das Geschick, das dem edlen
Dulder und heldenmüthigen Vorkämpfer . für die
Ehre und Freiheit des von dem unersättlichen
Korsen unterdrückten Vaterlandes einen echten und
rechten Reitertod bereitete.
181 der Helden hatte der blutige Tag den
Tod gebracht, darunter 4 Offizieren; der Feind
wagte feinen Verlust gar nicht anzugeben. Allein
die Zahl der kampfunfähig gemachten Offiziere
(23) bekundet, daß Schill'S Geführten ihr Leben
theuer verkauft hatten. Außer 11 Offizieren
fielen dem Feinde 557 unverwundete Gefangene
zu. Sie wurden zum Theil in der Jakobkirche,
zum Theil in den Kasematten am Knieperthore
auf das Strengste bewacht. Dem Lieutenant v.
Brünnow war es gelungen, sich durchzuschlagen;
bald sammelte er 195 Reiter und 230 Mann
Fußvolk mit zusammen 27 Offizieren um sich.
Obgleich von einer zehnfach größeren Heeresmacht
umringt, schlug die tapfere Schaar doch die an-
gebotene Kapitulation aus. Der General Gratien
aber, der die Schill'sche Reiterei hinreichend ken-
nen gelernt hatte, verspürte keine Lust weiter, mit
ihr auf freiem Felde anzubinden. Er bewillrgte
den geforderten freien Abzug. Die Glücklichen!
Reich an Ehre und Ruhm kehrten die Trümmer
der Schill'schen Schaar in das Vaterland zurück,
denn was sie auch gelitten und verloren hatten,
sie alle, bis auf den letzten Mann, trugen doch
das stolze Bewußtsein in sich, daß sie den über-
müthigen Unterdrückern wieder Achtung vor den
deutschen Waffen abgezwungen hatten.

Ihren unglücklichen Gefährten, die in Stral-
sund gefangen saßen, stand ein um so traurigeres
Schicksal bevor. Sorgenvoll fragten sie sich:
„Was wird aus uns werden?" Hatte doch Na-
poleon ihren verehrten Führer für einen Räuber-
hauptmann erklärt und die tapfere Schaar für
eine Räuberbande. Große Besorgniß erfüllte die
Gefangenen, als schon am folgenden Morgen die
Offiziere von ihnen getrennt wurden. Vergebens
berief man sich auf die durch den Lieutenant
v. Brünnow abgeschlossene Kapitulation; der Ge-
neral Gratien antwortete, daß sie keinen Theil
daran hätten; indessen gab er ihnen die Versiche-
rung, daß ihnen kein Leid geschehen werde.
Sehr bald aber trat ein Ereigniß ein, das
die eben erst beruhigten Gemüther wieder mit
banger Besorgniß erfüllte. Am Morgen des
4. Juni wurden die Gefangenen durch eine Ge-
wehrsalve aufgeschreckt. Was war das? Einer
ihrer Wasfeugefährten war d"er Rachsucht der
Sieger zum Opfer gefallen. Peterssen, einem
ehemaligen schwedischen Artillerie-Offizier, der
'chon bei der Einnahme von Stralsund und dann
bei der Befestigung und Vertheidigung der Stadl
Schill wichtige Dienste geleistet hatte, war es nicht
geglückt zu entkommen. Er wurde in seinem Ver-
steck aufgefunden und von einem Kriegsgericht zum
Tode verurtheilt, weil er gegen fein Vaterland
die Waffen ergriffen hatte. Dieses Unheil, ob-
gleich eene wahre Verhöhnung der Gerechtigkeit,
da Schweden sich im Kriege mit Frankreich be-
fand, wurde auf der Schanze, die er selbst er-
baut und mit großem Muthe vertheidigt hatte,
an ihm vollzogen.
Am 10. Juni zog der General Gratien mit
den Holländern ab und nahm die Gefangenen
mit, ohne sie über ihr Schicksal aufzuklären. Die
Gefangenen wurden in zwei Haufen getheilt und
der eine von dem 6. und der andere von dem 9.
holländischen Regiment eskortirt. So ging es
über Rostock und Schwerin nach Braunschweig.
Ueberall erregten die Unglücklichen das Mitleid
der Bevölkerung; man suchte ihre traurige Lage
möglichst zu erleichtern, während die Holländer
nicht müde wurden, die Unglücklichen durch Wort
und That zu quälen. Von Braunschweig ging es
weiter über Kassel, doch wurden die westphättschen
Unterthanen sämmllich zurückbehalten; emigo von
diesen wurden erschossen, die meisten aber kamen
auf die Festung.
Jetzt, wo sie Westphalen, also Deutsche, zur
Bewachung bekamen, faßten die Gefangenen den
Entschluß, sich zu befreien, indem sie hofften, daß
die deutschen Wächter aus Mitgefühl nicht sehr
großen Widerstand leisten würden. Sie hatten
sich jedoch verrechnet. Die Westphalen waren
nicht viel besser wie die Holländer. Der Be-
freiungsversuch mißglückte und von da an wurden
die Gefangenen an den Händen gefesselt.
Als die Unglücklichen in Frankfurt am Main
eingezogen, war die ganze Bevölkerung auf den
Beinen. So manches Auge in der dichtgedrängten
Menge war mit Thränen gefüllt. Aber man ließ
es bei den Klagen nicht bewenden, sondern suchte
auch zu helfen wo man konnte. Die Gefangenen
wurden mit Kleidern, Lebensmitteln und reichlich
mit Geld versehen. Dann ging es weiter auf
Kähnen nach Mainz. Hier wurden sie französi-
schen Wächtern übergeben. Noch wußte Keiner,
welche Zukunft seiner harre, indessen die Worte,
mit denen der französische Kommandant den Zug
begrüßte, waren nicht tröstlich. Man ließ es die
Leute fühlen, daß man sie nicht als ehrliche Sol-
daten ansah, sondern als Freibeuter. Als Aufent-
halt wies man ihnen den Holzthurm an, das
ehemalige Gefänguiß des berüchtigten und in
Mainz guillotinirten Räuberhauptmannes „Schin-
der Hannes" und seiner Spießgesellen. Vermo-
dertes Stroh war die Lagerstätte der Unglück-
lichen und überdies wurde das enge Gelaß der¬

maßen mtt Menschen angefüllt, daß sie buchstäblich
wie die Häringe zusammeugepackt wurden.
Die Nahrung der Gefangenen bildete Tag für
Tag dicker in Wasser gekochter Hirsebrei. Je zwölf
Mann erhielten eme hölzerne Schüssel voll, die,
so alt sie war, noch nie einen Tropfen Wasser zur
Reinigung gesehen hatte, vielmehr wurden nach
jeder Mahlzeit die leeren Schüsseln einigen Ketten-
hunden auf dem Hofe zum Auslecken vorgesetzt.
Mitunter machten sich auch einige Schweins, die
des Nachmittags zu einer Promenade auf dem
Hofe aus den Ställen gelassen wurden, über die
Schüsseln her, warfen sie um und mit diesem
Schmutz innen und außen wurde die Schüssel am
nächsten Tage den Gefangenen wieder vorgesetzt.
Trotz alledem war es doch selten, daß von diesem
ekelerregenden Gerichte etwas übrig blieb, denn
der Hunger quälte Jeden — anderthalb Pfund
Brod täglich war nicht ausreichend zur Sättigung.
Nachdem der zwette Transport der Gefange-
nen, die bis dahin in Dömitz und Magdeburg
gesessen, angelangt, ging es weiter nach Frank-
reich hinein. Wie man sagt, hatte der Kurier
mit dieser Ordre zugleich auch einen General-
Pardon gebracht, denn eigentlich hätten sämmtiiche
Gefangene in Mainz erschossen werden sollen. Die
Unglücklichen wurden zusammengekoppelt und in
Trupps von 20 Mann durch Gendarmen trans-
porttrt. Jeder war froh, den schrecklichen Thurm
hinter sich zu haben, obgleich Niemand wußte, ob
nicht noch fürchterlichere Kerker feiner warteten.
In den ersten Tagen schien es, als wollte man
den Unglücklichen für das Elend, das sie in Mainz
erduldet, gewissermaßen einen Ersatz geben, denn
nicht in Kerkern, sondern in den Sälen der Rath-
häuser wies man ihnen das Nachtquartier an,
auch wurden sie von den Einwohnern auf das
Beste verpflegt. Aber schon in Zweibrücken hat-
ten die herrlichen Tage ein Ende. Hier empfing
sie der Concierge mit Hohnlachen.
„Nun, Banditen," rief er ihnen zu, „in den
Hohlwegen geht euer Handwerk, aber auf freiem
Felde nicht. Wenn den Hauptmann der Teufel
geholt hat, kommt die Baude nach."
Den Tag über war die Hitze sehr groß ge-
wesen, so daß der Transport auf das Höchste er-
schöpft augekommen war. Man verlangte daher
Wasser, um sich zu erlaben.
„Für euch Räuber ist kein Wasser da," lau-
tete die Antwort des Unmenschen. „Ihr müßt
verhungern und verdursten und dann noch gerä-
dert werden."
Einem Unglücklichen, der dennoch um einen
Topf bat, um Wasser zu schöpfen, rief ein Ser-
geant zu: „Sauf: aus dem Tröge, Canaillen!"
Und in der That blieb ihnen allen nichts an-
deres übrig, als diesem Rathe zu folgen, wollten
sie anders die verdorrte Zunge letzen.
Fortan suchte man, gleichsam um die Gefange-
nen zu peinigen, auf dem weiteren Marsche nach
Metz die tiefsten und scheußlichsten Löcher als
Nachtquartier aus und fast nichts anderes als
Wasser und Brod wurde denselben gereicht. Nicht
selten wurden ehemalige Todtengewölbe zum Nacht-
quartier angewiesen, so z. B. in Malatour, fünf
Stunden von Dietz. Hier wurden in einen 20 Fuß
langen und 8 Fuß breiten Raum, in den man
auf 15 Stufen hinabstieg, 24 Menschen hinein-
gedrängt. Gleich beim Eintritt mußte man glau-
ben, daß es unmöglich sei, hier auch nur eine
einzige Stunde auszuhalten. An den Wänden
triefte eine stinkende Feuchtigkeit hinab und das
schon seit mehreren Jahren darin modernde Stroh
verbreitete in dem Gemache einen eklen Geruch,
daß man beinr ersten Aihemzuge glaubte, ersticken
zu müssen. Als am Abend die große Ocffnuug,
durch welche von oben her Licht und Luft ein-
drang, durch eine Fallthüre. geschloffen wurde,
kam man sich wie eingemauert vor. Die Nacht,
die man wachend verbrachte, schien eine Ewigkeit
 
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