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438

Ich mochte wohl ein wenig zu laut gesprochen
haben, denn ich sah, daß über den Tisch herüber
die Frau Kommerzienräthin Müller mir einen
strafenden Blick zuwarf, was aber sehr wenig
Eindruck auf mich machte, denn ich hatte nur noch
Augen und Sinn für das schöne Mädchen an
meiner Seite. — Plötzlich, wie eine Trunkenheit,
war die Liebe über mich gekommen, und machte
mich taub und blind für Alles, was nicht mit
dem Gegenstand meiner Leidenschaft in Verbindung
stand. Mein Freund Benno erkannte meinen Ge-
müthszustand sehr bald, und als die letzten Gäste
sich entfernt hatten, und wir auf unserem Zimmer
allein waren, fing er an, mich in gutmüthiger
Weise darüber zu necken, daß ich so rasch mein
Herz verloren hätte. Ich war aber bereits in
jenem Stadium des Verliebtseins, wo man es
nicht mehr erträgt, einen Scherz darüber zu hören,
und man nicht einmal den Namen der Geliebten
von einem Anderen nennen lassen mag. Ich gab
deshalb Benno eine ziemlich gereizte Antwort, und
war, als er darauf in ein lautes Lachen ausbrach,
im Begriff recht ernstlich böse zu werden, da er-
zählte er mir in aller Geschwindigkeit, daß für
den nächsten Nachmittag eine Parthie nach dem
nahegelegenen Walde verabredet worden sei, und
daß man auch Käthchen Schwarz dazu aufgefor-
dert habe. Die Aussicht, das geliebte Mädchen
morgen wieder zu sehen und Stunden lang in
ihrer Gesellschaft zu sein, erfüllte mich mit Ent-
zücken, und regte mich so auf, daß ich lange den
Schlaf nicht finden konnte. Ermüdet wäre ich doch
genug gewesen, denn ich hatte an diesem Tage
eine Fußwanderung von sieben Stunden gemacht,
und dann noch bis tief in die Nacht hinein getanzt.
Am folgenden Nachmittag wurde denn wirk-
lich die projektirte Waldparthie ausgeführt. Nach
dem Festprogramm, das Franz als offizieller
maltrs äs x1ui8ir entworfen hatte, fuhr die Ge-
sellschaft präcis um drei Uhr auf zwei Leiterwagen
zum Thore hinaus. Zu meiner großen Enttäuschung
war Käthchen nicht unter den jungen Damen im
Wagen der Familie Müller, und der zweite Wagen,
auf dem die andere Gesellschaft nach dem Walde
fuhr, war uns so weit voraus, daß ich trotz
meiner scharfen Augen die Insassen nicht erkennen
konnte. Direkt nach Käthchen mich zu erkundigen
wagte ich nicht, ich war dazu zu befangen und
fürchtete die Neckereien meines Freundes Benno.
So mußte ich denn in Geduld warten, bis wir
an Ort und Stelle waren, und mein Herz schlug
hoch auf, als ich dort, an einen Baumstamm ge-
lehnt, in halb liegender Stellung, die Geliebte
erblickte. Sie war so eifrig beschäftigt, aus grünen
Blättern einen Kranz zu flechten, daß sie unsere
Ankunft gar nicht bemerkte und erst als ich mich
neben sie in das Gras warf, blickte sie auf. Ein
dunkles Roth flog, da sie mich erkannte, ihr über
Stirn und Nacken, und war sie mir am Abend
vorher bei Kerzenschein und in ihrem Phantasie-
kostüm reizend erschienen, so fand ich sie jetzt im
vollen Tageslicht in dem einfachen weißen Ge-
wand, das als einziger Schmuck ein blauer Gürtel
um die schlanke Taille znsammenhielt, noch tausend-
mal schöner nnd holdseliger.
„Wie bin ich glücklich, Sie hier zu finden!"
rief ich in überwallendem Gefühl.
Sie sah mich forschend an. „Ist das mehr,
als eine bloße Phrase?" fragte sie leise.
Statt der Antwort beugte ich mich vor, und
sah ihr tief in die Augen. Sie mochte diese stumme
Sprache wohl verstanden haben, denn sie senkte
die langen, dunklen Wimpern, und ein tieferes
Roth färbte ihre schon glühenden Wangen noch
mehr. Da trat Franz zu uns, und einen zornigen
Blick auf mich werfend, sagte er zu Käthchen:
„Störe ich etwa?"
„Durchaus nicht," versicherte sie, und stand
von ihrem Platze auf, den Kranz, den sie eben
geflochten, noch in der Hand haltend.

„Für wen ist der Kranz bestimmt?" fragte
der Maler.
„Für Sie, angehender Rafael!" lachte Käth-
chen muthwillig, und als er sich geschmeichelt vor
ihr verneigte, setzte sie ihm den Kranz auf das
Haupt. Er war entzückt darüber, küßte ihr die
Hand und warf stolze, herausfordernde Blicke um
sich her, ohne zu ahnen, wie grotesk komisch fein
gutmüthiges, breites Gesicht mit der kleinen Stumpf-
nase unter dem grünen Kranz sich ausnahm. Er
schien entschlossen, den Platz an Käthchens Seite
nicht mehr aufzugeben, aber sie entschlüpfte ihm
bald, und gesellte sich zu dem Kreis junger Mäd-
chen, die beschäftigt wareu, auf einem im Schatten
ausgebreiteten weißen Tischtuch die mitgebrachten
Speisen und Getränke zu ordnen. Dann forderte
man die Gesellschaft auf, sich im Kreise zu lagern,
und die jungen Damen versorgten Alle mit Speise
und Trank. Käthchen hatte das Amt der Schenkin
übernommen. Meine Augen hingen mit Bewun-
derung an ihr, aber da Franz ihr wie ihr Schatten
folgte und sie keinen Augenblick verließ, so machte
ich keinen Versuch, mich ihr zu nähern, sondern
blieb ruhig im Grase liegen und unterhielt mich
mit einer von Benno's Schwestern, die in meiner
Nähe saß.
„Schlagen Sie nachher vor, daß wir Verstecken
spielen," flüsterte mir Käthchen leise zu, als sie
mir zum zweiten Mal das Glas füllte. — Ohne
zu wissen, was sie damit beabsichtigte, willfuhr
ich, nachdem dis Gesellschaft sich wieder von dem
ländlichen Mahle erhoben hatte, ihrem Wunsch,
und mein Vorschlag wurde von der jungen Welt
mit allgemeiner Akklamation ausgenommen. Käth-
chen klatschte fröhlich in die Hände und rief: „Ja,
wir wollen verstecken spielen, und Herr Franz
soll der Erste sein, der suchen muß, ich weiß noch
aus meiner Kinderzeit her, wo er sich als Pri-
maner zuweilen herabließ, mit uns Schulmädchen
zu spielen, daß man auch in dem besten Versteck
vor ihm nicht sicher ist."
Der Maler wollte protestiren, doch es half
ihm nichts. Mit Entzücken aber glaubte ich den
Plan der schlauen kleinen Hexe zu errathen. Franz
mußte sich vor ihr auf ein Knie niederlassen und
sie band ihm ein Tuch über die Augen, dessen
Enden sie fest verknotete, indem sie schelmisch
meinte, sonst sei ihm nicht zu trauen.
„Nun bin ich ihn glücklich los!" sagte sie leise
zu mir, „bis er das Tuch wieder aufknüpft, habe
ich längst ein Versteck, wo er mich nicht findet."
Dabei schlüpfte sie glatt und geschmeidig wie
eine Eidechse durch ein dichtes Brombeergestrüpp,
das an dieser Seite die Wiese, auf welcher wir
standen, von dem Walde schied. Ich folgte ihr
rasch in die hinter ihr zusammenschlagenden Büsche,
und weiter über den steinigen Boden, der mit
knorrigem Unterholz dicht bewachsen das Hin-
durchkommen stellenweise sehr schwierig machte;
aber Käthchens weißes Kleid schimmerte stets vor
mir, und so drang ich immer vorwärts, unbe-
kümmert um die Dornen, an denen ich meine
Hände ritzte, und die Zweige, die mir, wenn ich
in meiner Haft sie auseinanderzubiegen vergaß, in
das Gesicht schlugen. Endlich lichtete sich das
Dickicht, ein weicher moosiger Pfad, der durch
einen hohen Tannenwald führte, lag vor mir.
Hier war Käthchen stehen geblieben, und das vom
raschen Lauf glühende Gesicht mir zuwendend,
fragte sie: „Ist es nicht schön hier?"
Schön war es wirklich hier in dem dunkeln
Tannenforft, dessen Stämme so schlank und frei
in den blauen Himmel strebten, und durch dessen
Wipfel nur hier und da ein goldener Sonnen-
strahl auf das Moos fiel. Ein würziger Harz-
duft erfüllte die Luft, draußen brannte die August-
sonne heiß, aber hier in diesem grüngoldenen
Dämmerlicht war es schattig und kühl. Ich konnte
nicht reden, die Brust war mir zum Zerspringen
voll, ich fühlte das Blut in meinen Schläfen

hämmern, aber ich fand kein Wort, dieses gefähr-
liche Schweigen zu brechen. Auch Käthchen sprach
nicht, stumm nahm sie meinen dargereichten Arm,
und weiter und weiter gingen wir so Seite an
Seite. Meine Blicke hingen an ihrem schönen
Gesicht, das Spiel der Sonnenlichter, wie sie über
ihr blondes Haar und ihr weißes Kleid hintanzten,
entzückte mich. Alles Glück der Jugend und der
Liebe erfüllte mein Herz in diesen kurzen Augen-
blicken, als ich allein mit der Geliebten in der
stillen Waldeinsamkeit hinwandelte. Wie Mär-
chenzauber umfing es mich, Vergangenheit und
Zukunft und die Welt da draußen versanken hinter
mir; ich hätte mich kaum gewundert, wenn plötz-
lich wie in dem Tieck'fchen Märchen die Bäume
und Sträucher um uns her zu hohen, undurch-
dringlichen grünen Mauern zusammengewachsen
wären, und ich mit dem holden Mädchen den Weg
nie mehr zurückgefuuden hätte.
Eine Frage Käthchens rief mich plötzlich aus
dieser holden Traumwelt in die Wirklichkeit zurück.
„Wie lange bleiben Sie noch hier?" sagte sie,
und die blauen Augen sahen mit dem seltsam
verschleierten Blick zu mir auf.
„Warum mahnen Sie mich daran," rief ich,
„daß dieser Tag zu Ende gehen wird, und ich
morgen schon von hier scheiden muß!"
„Morgen?" wiederholte sie, und ihre Stimme
hatte einen so schmerzlich wehmüthigen Klang,
daß er mich bis in das innerste Herz traf. „Morgen
schon? — Aber gleichviel: ,scheint die Sonne noch
so schön, einmal muß sie untergehn/ und wenn
sie untergegangen ist, und das Dunkel herein-
bricht, dann ist es einerlei, ob sie Jahre oder
Minuten uns geleuchtet hat. Kümmern wir uns
nicht um das Morgen — das Heute gehört noch
uns, wir wollen den Augenblick genießen und
fröhlich fein."
Ich faßte ihre Hand und drückte einen heißen
Kuß auf die schlanken, weißen Finger, aber sie
machte sich los von mir, und mit einem jener
raschen, unvermittelten Uebergänge in ihrer Stim-
mung, die mich schon einige Mal befremdet hatten,
lachte sie plötzlich laut auf, und lief schnell vor
mir her tiefer in den Wald hinein, indem sie mir
neckend zurief: „Haschen Sie mich, wenn Sie
können!"
Ich folgte ihr, aber sie war so schnellfüßig,
daß ich sie nicht erreicht haben würde, wäre nicht
ihr Kleid von einem vorstehenden, dürren Ast er-
faßt worden, und sie dadurch zu einem momentanen
Stillstehen genöthigt worden.
„Gefangen!" rief ich, und legte den Arm um
ihre Taille, sie sanft an mich ziehend. Da schlugen
plötzlich Stimmen an unser Ohr, welche ungeduldig
unsere Namen riefen und zusammenschreckend ent-
wand sich Käthchen meinem Arm. Wir hatten ge-
glaubt, tief im Wald, weit entfernt von den An-
deren zu sein, und merkten jetzt, daß wir fast im
Kreis gegangen waren, denn durch die Büsche
schimmerte die Lichtung, auf der wir uns zuerst
gelagert hatten. Die schon im Ausbruch begriffene
Gesellschaft stand eben um die Leiterwagen, zur
Abfahrt bereit. Es mußte spät geworden sein,
wir hatten das Maß der Zeit verloren, und als
ob mich Käthchen mit ihrer Lust an poetischen
Citaten angesteckt hätte, traten mir jetzt die Verse
Schiller's auf die Lippen: „Dem Glücklichen schlägt
keine Stunde."
Mit leuchtenden Augen sah sie zu mir auf,
ihre Hand stahl sich wieder leise in die meinige,
und so standen wir zögernd und zaudernd, und
konnten uns nicht entschließen, aus unserem Ver-
steck hervor zu der wartenden Gesellschaft zu treten,
die immer ungeduldiger nach uns rief, während
der Maler eben von der entgegengesetzten Seite
aus dem Walde kam, und den Leuten athemlos
erzählte, er habe überall gesucht, aber nirgends
eine Spur von Fräulein Schwarz oder Herrn
Mindeck entdecken können, die sich ohne Zweifel
 
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